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Der Trotzkopf-55
日期:2023-02-09 15:39  点击:290
Die Kleine schüttelte den Kopf. »Die Madel sind schon [pg 112]so groß,« antwortete sie im süddeutschen Dialekt und ohne Befangenheit, »die können doch nit meine Freundinnen sein!«
 
Nellie fand gleich einen Ausweg, sie kniete sich zu dem Kinde nieder und sagte: »Jetzt bin ich ein klein Madel wie du und du kannst mit mich spielen.«
 
Lilli lachte. »Nein, du bist groß,« sagte sie, »aber du gefallst mir. Und du auch,« wandte sie sich zu Ilse, die neben Nellie stand. »Du hast halt so schöne Lockerl wie ich. Weißt, du sollst meine Freundin sein, mit dir will ich spielen.«
 
Sie ergriff Ilses Hand und sah dieselbe mit ihren großen Augen treuherzig an. Das junge Mädchen war ganz entzückt von der Zutraulichkeit der Kleinen und küßte und liebkoste sie.
 
Natürlich waren sämtliche Pensionärinnen ganz hingerissen von dem Kinde, das wie eine zarte Elfe in ihrer Mitte stand. Lange blonde Locken fielen ihm über die Schulter herab und die schwarzen Augen mit den feingeschnittenen, dunklen Augenbrauen darüber bildeten einen wunderbaren Kontrast zu denselben. Das gestickte, sehr kurze weiße Kleidchen ließ Hals und Arme frei. Eine hochrote, seidene Schärpe vervollständigte den höchst eleganten Anzug.
 
»O du süßes, entzückendes Geschöpfchen!« »Du Engelsbild! Kleine Fee!« und mit ähnlichen überschwenglichen Ausdrücken überschütteten die Pensionärinnen das Kind. Fräulein Raimar war unbemerkt eingetreten und hörte diese Ausrufe kopfschüttelnd an.
 
Sie trat in den Kreis und nahm Lilli bei der Hand. »Komm,« sagte sie zu ihr, »du sollst erst umgekleidet werden. Du möchtest dich erkälten in dem leichten Anzuge.«
 
»Bitt’ schön, laß mich hier, Fräulein,« bat das Kind. »Ich hab’ gar nit kalt. Schau, ich geh’ halt immer so. Die Madel sind so gut, es gefallt mir hier!«
 
Fräulein Raimar ließ sich nicht erbitten. »Komm nur, Kind,« sagte sie gütig, »du wirst die Mädchen alle wiedersehen zum Abendessen.«
 
[pg 113]
Die abgeschlagene Bitte verstimmte Lilli nicht. »Laß Ilse mit mir gehen, Fräulein,« bat sie.
 
Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt. Als Ilse mit dem Kinde das Zimmer verlassen hatte, wandte sich die Vorsteherin mit ernsten, ermahnenden Worten an ihre Zöglinge.
 
»Ich bitte euch, in Zukunft Lilli nicht wieder so große Schmeicheleien in das Gesicht zu sagen. Wollt ihr sie eitel und oberflächlich machen? Sie ist ein sehr schönes Kind und wird bereits manche Aeußerung hierüber gehört haben, es giebt ja unvernünftige Leute genug. Wir wollen nicht in diesen Fehler verfallen, und ich denke, ihr werdet mir beistehen und in Zukunft vorsichtiger sein. – Lilli bleibt bei uns. Ich hatte noch nichts davon zu euch gesprochen, weil ihr Eintritt in die Pension noch nicht fest beschlossen war.«
 
»Wo wohnen Lillis Eltern?« fragte Flora.
 
»In Wien,« entgegnete das Fräulein. »Der Vater ist tot und die Mutter ist eine bedeutende Schauspielerin. Weil sie sich in ihrem Berufe wenig um die Erziehung ihres Kindes kümmern kann, hat sie es in eine Pension gegeben.«
 
»Lillis Mutter ist ein schönes Frau,« bemerkte Nellie.
 
»Wo hast du sie gesehen?« fragte die Vorsteherin etwas erstaunt.
 
»O, ich habe ihr vorbeigehen sehen,« entgegnete Nellie leicht errötend.
 
»Sie konnte leider nicht länger verweilen,« wandte sich Fräulein Raimar an die junge Lehrerin, »mit dem Schnellzuge fährt sie heute abend wieder fort.«
 
Die jungen Mädchen hatten die Damen dicht umringt und horchten auf jedes Wort. Sie hätten so »furchtbar« gern recht Ausführliches über Lillis Mutter erfahren, die als »bedeutende Schauspielerin« ihre Gemüter lebhaft erregte und interessierte. Aber sie erfuhren nichts. Das Gespräch wurde abgebrochen und Fräulein Raimar führte die Wißbegierigen recht unsanft in die Wirklichkeit zurück. 

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