„Der Mensch kann nicht immer tun, was er am liebsten mag; wenn ich den ganzen Abend das Getue und Geschwätz der Leute hier sehen und anhören muß, kriege ich einen neuen Gichtanfall. Also erbarmen Sie sich des alten Brummbären.“
Hans schaute Irma an; sie lachte ihm mit solch lieblichem Erröten und solcher Verheißung in den strahlenden Augen zu, daß ihm vor seliger Erwartung schwindelte. Er ergriff ihr Händchen, drückte es so kräftig und lange, bis es ihr förmlich weh tat, und folgte onkel Heinz.
Irma seufzte und lächelte doch zugleich. Ihr gegenüber hing ein großer Spiegel; sie schaute hinein und dachte gerade, wie wunderhübsch sie doch eigentlich sei, als sie im Glase dem ernsten Blick der Großmama begegnete, welche sie ruhig und streng ansah. Das Mädchen wandte sich ab und wurde rot bis unter die Haarwurzeln. Aber sie befand sich in übermütiger Laune. Der Kummer, den sie erlitten, hatte sie zuerst fast zerschmettert; dann hatte die arge Niederlage ihrer Eitelkeit den Schmerz verdrängt, und das Gefühl des Unglücks und der Trauer hatte sich in Bitterkeit umgewandelt. Sie war an ihrem wundesten Punkt getroffen worden, nun raste sie weiter auf dem Wege, den sie einmal eingeschlagen hatte — und als Hans ihr an diesem Abend das Geleite gab und ihr beim Einsteigen in den Wagen zuflüsterte:
„Darf ich Ihnen morgen weitererzählen, Irma, was ich erbitten möchte, und was mich so unendlich glücklich machen würde?“ neigte sie ihr Köpfchen, zog die Hand zurück und lispelte kokett:
„Ich habe wirklich gar keine Ahnung, was das sein kann, aber wenn Sie mich zu Ihrer Vertrauten machen wollen, ist mir's recht.“
Nun stand sie in ihrem Schlafzimmer im weißen Unterröckchen vor dem Spiegel und bürstete ihr Goldhaar. Sie nahm die seidenen Locken in die Hände und streichelte sie liebkosend, wobei ihr einfiel, womit Otto von Hochstein sie so oft verglichen hatte: mit Kornähren, auf welche die Sonne schien, mit gesponnenen Sonnenstrahlen und flüssigem Gold. In einer bitteren Aufwallung wand sie ihre Locken plötzlich in einer dicken Flechte um den Kopf und tat dies so heftig und mit so harter Hand, daß verschiedene von den spinnwebenfeinen Goldfäden an ihren spitzen Fingerchen hängen blieben.
Da öffnete sich die Tür ihres Zimmers, und Ilse, bereits im Nachtgewand, das weiße Haar unter einer Haube verborgen, trat ein.
„Ist etwas geschehen, Großmama?“ fragte Irma erschreckt. „Ist dir nicht wohl?“
„Ich wollte noch mit dir sprechen, Kind.“
Irma schaute der Großmama in das feine Antlitz, das einen sehr strengen Ausdruck zeigte; und als ahne sie den Zweck dieser Unterredung, unterdrückte sie ein Gähnen, blickte nach der Wanduhr und sagte:
„Es ist schon so spät.“
„Das tut nichts. Ich finde keine Ruhe, bevor ich dich nicht gefragt habe, ob du die Absicht hast, Hans Reicher zu nehmen, wenn er sich um dich bewirbt?“
Irma wurde glühend rot.
„Ja,“ sagte sie, und fügte spottend hinzu:
„Findest du das nicht herrlich, solch guten Mann, auf den ihr alle so große Stücke haltet? Diesmal kannst du doch nichts gegen meine Wahl einwenden?“
„Liebst du Hans?“ fragte Ilse streng.
„Ich glaube. Und es ist schon sechs Wochen her, seit Hochstein seine Verlobung anzeigte. Da wird es hohe Zeit, daß er von mir Ähnliches hört.“