Als sie wieder zu sich kam, lag sie in ihrem Zimmer auf der Chaiselongue. Über sie gebeugt stand die Großmama, die ihr Stirn und Schläfen mit kölnischem Wasser badete und sie so unendlich liebevoll und zärtlich besorgt anschaute, daß Irma die Arme um den Hals der alten Dame schlang und in ein fassungsloses, leidenschaftliches Schluchzen ausbrach.
Kein Wort des Tadels oder Vorwurfs kam über Frau Gontraus Lippen. Sie küßte das Kind, preßte es an sich und suchte es zu beruhigen.
Irma weinte und weinte, als sollte ihr das Herz brechen.
„Es ist furchtbar hart,“ flüsterte Ilse endlich, „aber du mußt darüber hinwegkommen, Liebling, du mußt.“
„Ich kann nicht, er war mein ein und mein alles, Großmama, und mein Vertrauen zu ihm war grenzenlos.“
„Armes Kind, fühlst du denn nicht, wie furchtbar er dich beleidigt, wie schändlich er dich behandelt hat?“
„Ich weiß nicht,“ stöhnte die Kleine, „ich fühle nur, daß ich ihn liebe.“
Ilse seufzte, aber sie sah ein, daß Trostesworte vorläufig noch wirkungslos blieben. Nur allmählich konnte es gelingen, bei Irma das Gefühl der Gekränktheit und des beleidigten Stolzes wachzurufen, das ihr über diese erste bittere Enttäuschung hinweghelfen würde.
Als Professor Fuchs das Vorgefallene erfuhr, wurde er wütend, und ein heftiger Gichtanfall packte ihn. Er entwarf die wahnsinnigsten Pläne, wollte Hochsteins Handlungsweise überall verkünden und ihn dadurch bei seinen Korpsbrüdern unmöglich machen, wollte ihn fordern oder ihm wenigstens auf die Bude rücken und ihm die schöne Visage zerbläuen.
Nur mit Mühe gelang es seiner alten Freundin, ihn zur Vernunft zu bringen und ihm klar zu machen, daß stolzes Schweigen das Beste und Würdigste sei.
Während der nächsten Wochen schien es, als sei Irma durch diesen Schlag vollständig geknickt. Mit beunruhigend blassem Gesichtchen und mattem Lächeln ging sie umher, und eine große Mutlosigkeit hatte sich ihrer bemächtigt. Ihre schelmische Munterkeit, ihr kecker Übermut waren vollständig verschwunden. Ein freundliches Wort, eine Liebkosung trieb ihr Tränen in die Augen, und alle Pläne Ilses, ihr eine Zerstreuung zu verschaffen, beantwortete sie mit einem gleichgültigen: „Nein, lieber nicht, Großmama.“
Selbst ihre Toilette machte ihr keine Freude, und das war ein böses Zeichen. Das kleine, eitle Geschöpf, das sonst mit einem Ernst, als gälte es die wichtigsten Dinge, über eine hübsche Bluse oder einen neuen Anzug zu reden pflegte, zog des Morgens das erste beste an, was ihr unter die Hände kam; das prachtvolle Haar wurde nicht wie früher sorgfältig frisiert, sondern nachlässig und lose aufgesteckt, ohne daß Irma den Spiegel zu Rate zog. Am liebsten saß sie ganze Tage allein auf ihrem Zimmer, und nur mit Mühe ließ sie sich überreden, hinunter zu kommen. Ilse litt es freilich nicht, daß sie sich ganz absonderte, und zwang sie im Familienkreise zu erscheinen.
onkel Fritz und Tante Marianne wußten zwar nicht genau, was vorgefallen war, aber so weit waren sie doch eingeweiht, daß sie sich Irmas verändertes Wesen erklären konnten. Sie sowohl wie Maud spielten mit keiner Silbe auf die Veranlassung an, sondern taten im Gegenteil, als merkten sie nichts. Beide hegten großes Mitleid für die Kleine und bemühten sich in ungesuchter Weise, sie etwas aufzuheitern.