Und da Ilse neben ihm saß, stieß er mit ihr an und fragte:
„Schwester, Dein Geliebter heißt?“ worauf sie lachend versetzte: „Heinrich“ und alle im Chor:
Heinrich, er soll leben!
Soll leben, soll leben!
Heinrich, er soll leben!
Er lebe hoch!!
Das „Hoch“ wurde lange ausgehalten, und nun ging's weiter die ganze Tafelrunde durch, unter Necken und Scherzen. Die jungen Leute trieben es fast zu toll. Ludwig und Agnes flüsterten miteinander, und dann nannten beide einen fremden Namen, den niemand je gehört. Gustav und Flora gaben sich einfacher, aber das junge Mädchen wurde verlegen und stammelte so schüchtern: „Gustav,“ daß sie den Namen noch zweimal wiederholen mußte. Die größte Heiterkeit erregte Tante Elisabeth, die erst erklärte, sich mit solchen Narrenspossen nicht abzugeben und auf dem Punkt stand böse zu werden, als ihr Bruder Fritz ausrief:
„Unsinn, Elisabeth, in deinem zehnten Jahr warst du sterblich verliebt in den Küster unserer Kirche; er schielte und hieß Georg.“
Alle jubelten und lachten. „Georg, er soll leben!“ schallte es hell durch die Abendluft. Vielleicht war es der Einfluß der Bowle, aber so viel steht fest, daß die alte Jungfer ihren Ärger vergaß und mitlachte.
Baron von Hochstein sah Irma tief in die Augen und rief dann: „Maria!“
Einen Augenblick vorher hatte er sie gefragt, wie sie hieße, und sie hatte geantwortet:
„Irma Maria.“
Während des nun folgenden Gesangs löste er, ohne daß es in der dämmerigen Beleuchtung außer ihr jemand bemerkt hätte, gewandt eine der hellblauen Schleifen, mit denen ihr Kleid verziert war, drückte einen Kuß darauf und ließ sie in der Tasche verschwinden.
„Das ist nicht erlaubt,“ flüsterte sie; aber sie fühlte mehr als sie sah, wie flehend er sie anschaute, und schwieg.
Endlich mußte doch an die Rückfahrt gedacht werden. Es war höchste Zeit. Als die älteren Damen hörten, wie spät es schon war, erschraken sie. Der Befehl zum Anspannen wurde gegeben. Das ganz aus Rand und Band geratene junge Volk schlug vor, wieder den Weg zu Fuß über den Wasserfall zu machen und erst an den Stallungen einzusteigen; das würde eine entzückende Mondscheinpromenade sein.
Verschiedene Ausrufe wie: „Ach ja! Das wollen wir! Himmlisch! Bitte, Großmama!“ ließen sich hören; Fritz aber erklärte kurz und bündig:
„Daraus wird nichts; wir fahren den andern Weg, der ist um eine gute Stunde kürzer!“
Hochstein half Irma in den Wagen und flüsterte ihr zu, wie scheußlich er es fände, daß er und seine Freunde nicht mitfahren könnten.
„Adieu, adieu! Herzlichen Dank, Herr Professor!“ klang es von allen Seiten, dann setzten die Fuhrwerke sich in Bewegung. Das letzte, was Irma zu unterscheiden vermochte, war die schlanke Gestalt ihres Anbeters, der sein Cerevis schwenkte und sie, sie allein, grüßte.
Der Wagen bog um die Ecke, und plötzlich schien es ihr, als sei alles dunkel und trübe geworden. Jetzt bemerkte sie erst, daß sie neben Hans Reicher saß. Sie fühlte sich so glücklich, daß es ihr leid tat, den armen Jungen unfreundlich behandelt zu haben.
„Sind Sie mir böse?“ fragte sie sanft.
„Weshalb?“
„Weil, nun weil ich den letzten Walzer nicht mit Ihnen tanzte, wie ich versprochen hatte.“
Er tat, als müsse er sich erst besinnen. „Ach ja, richtig, den letzten Walzer? Nein, durchaus nicht. Ich war froh über Ihr Vergessen, weil ich eine andere junge Dame engagiert hatte.“
Hans log. Er war still hinausgegangen, um seine Enttäuschung und seinen Ärger niederzukämpfen, doch sein Stolz verbot ihm, Irma zu zeigen, wie tief sie ihn verletzt hatte.