Ruth beugte sich zu ihrer Mutter und entgegnete leise:
„Ich finde, daß sie zu viel mit dem Baron tanzt, Mama. Das ist nun schon das viertemal, und sie ist so aufgeregt.“
„Ach was, das hat doch nichts zu sagen! Nach dem heutigen Abend sieht sie ihn vielleicht nie wieder. Überdies sind Ludwig und Agnes auch fast unzertrennlich.“
„Das ist etwas andres. Jetzt sehe ich sie überhaupt nicht mehr. Ob sie hinausgegangen sind?“
„Vielleicht für einen Moment. Es ist arg heiß im Saal. Das machen die vielen Menschen. Laß Irma nur nicht merken, daß du unruhig bist, Ruth; wirklich, das wäre nicht richtig. Da sind sie schon wieder.“
In der Tat kehrten Irma und ihr Kavalier in den Saal zurück. Der Ball näherte sich seinem Ende. In einer Ecke, hinter einer Gruppe hochstämmiger grüner Blattpflanzen und Rosen konnten sie ungestört plaudern.
„Dies ist der seligste Abend meines Lebens,“ begann Hochstein. „Es ist beinahe zu schön für einen gewöhnlichen Sterblichen: mir ist, als weilte ich unter den Göttern des Olymps.“
Irma lachte. „Wie mag Ihnen da wohl zu Mute sein?“
„Ich möchte die ganze Welt ans Herz drücken, mir ist, als ob das Leben all seine Schönheit und Herrlichkeit über mich ausschüttete, als ob alles, was ich je geträumt, Wirklichkeit würde, so daß ich mein Glück kaum fassen kann!“
Die Musik, die eine Pause gemacht, begann aufs neue. Irma stand auf.
„Das ist der letzte Walzer,“ erklärte sie, „den hab' ich versprochen.“
Schon legte der Baron ihren Arm in den seinen.
„Mir?“ bat er flehend.
„Nein, nein, Hans Reicher,“ stammelte sie.
Er fing an zu lachen.
„O, das ist wohl der Herr mit dem wütenden Gesicht, der uns, so oft wir vorbeitanzten, ansah, als wollte er uns fressen?“
Irma lächelte; sie konnte sich Hans schwer mit einem wütenden Gesicht vorstellen. Leise aber sagte sie:
„Ich hab's ihm versprochen.“
„Nun gut, er kann mich fordern, wenn er will. Ein Duell um Ihretwillen wird ihm wie mir etwas Göttliches sein!“
Irma schaute entsetzt auf. Hochsteins samtschwarze Augen strahlten, unwillkürlich senkte sie die ihren.
Da schlang er den Arm um sie; sie fühlte sich emporgehoben, ihr war, als schwebte sie. Schneller und immer schneller ward das Tempo. So hatte sie noch nie getanzt. Sie vergaß alles: Hans, der sie, die Lippen zusammengepreßt, mit einem tieftraurigen Ausdruck in seinen treuen Augen ansah; ihre Herzensangst, als der Baron vom Duellieren sprach — sie fühlte nur, wie schön das Leben war, entzückend. Mit geschlossenen Augen und halb geöffneten Lippen gab sie sich dem Zauber dieser Stunde hin und fühlte sich von seligem Traum umfangen.
„Irma, mein Kind, es ist genug, du machst dich zu müde.“
Es war die Stimme ihrer Mutter, die sie zur Besinnung brachte. Noch ganz schwindlig schaute sie sich um, während Hochstein sie zu einem Stuhl führte.
„Gnädige Frau, dies war der letzte Tanz. Die Musik geht schon fort.“
„Um so besser,“ versetzte Ruth, „komm Irma!“
„Auf Wiedersehen, meine Damen.“
Der Baron entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung.
„Es ist mir gar nicht lieb, daß onkel Heinz die jungen Leute zur Bowle eingeladen hat,“ sagte Ruth.
„Weshalb, Mama?“
„Weil ich finde, daß du dich zu viel mit jenem jungen Manne unterhältst. Das fällt auf.“
„Aber Mama, wir haben ein paarmal zusammen getanzt. Was tut denn das?“
„Nichts, doch du hättest auch mit andern tanzen können, mit Hans zum Beispiel.“
Irma schwieg und schwebte auf den Professor zu, der mit einigen Studenten plauderte.
„Onkel, nun kommt deine Einladung an die Reihe.“
„Ja, kleiner Schelm,“ und er kniff ihr in die glühenden Wangen. „Heute ist unser Kind in seinem Element, was?“
Irma wurde rot, weil der alte Herr sie in Gegenwart der jungen Leute so behandelte, aber sie war doch zu glücklich, um etwas anderes zu tun, als lächelnd zu nicken.
Professor Fuchs zog ihren Arm in den seinen.
„Darf ich die Damen und Herren bitten!“ rief er und eröffnete den Zug; paarweise folgten die übrigen. Die Kellner hatten im Garten eine lange Tafel hergerichtet. Auf der blau und rot karrierten Tischdecke prangte die Riesenbowle, umgeben von den goldschimmernden Gläsern, rechts und links flankiert von zwei großen Blumensträußen.
Wie es zuging, wußte sie selbst nicht, aber wieder fand Irma ihren Platz neben Hochstein. Bald schallte fröhlicher Gesang und Gelächter durch den Garten. Unter ohrbetäubendem Jubel stimmte Professor Fuchs das alte Studentenlied an:
Hochgesang und Rebensaft
Lieben wir ja alle!
Darum trinken wir mit Kraft
Schäumende Pokale!