„Wenn dir das jetzt schon auffällt, dann sollst du Mama erst in Konzerttoilette sehen,“ meinte Irma; „früher trug sie immer weiß, jetzt meist schwarzen oder dunklen Samt. Ich sage dir, sie sieht dann aus wie eine Fürstin.“
„Du mußt eigentlich sehr stolz sein, Irma, als die Tochter von so genialen Eltern. Dein Bruder ist auch sehr talentvoll,“ sagte Maud. „Hast du selbst nie Musikstunden gehabt?“
„Jawohl, als ich klein war, bekam ich Klavierstunden. Wie konnte es anders sein in einer solchen Umgebung? Ich hatte gutes Gehör und würde es wahrscheinlich zu etwas gebracht haben, wäre ich das Kind gewöhnlicher Eltern gewesen; wirkliches Talent besaß ich nicht, und da erklärten Papa und Mama es für besser, wenn ich aufhörte. Dilettanten und Klimperer gäb's in der Musik gerade genug.“
„Hast du dich nie unglücklich gefühlt?“ fragte Maud sanft, „daß du in dieser Hinsicht eigentlich zu kurz gekommen bist? Ich wenigstens würde mich von der Natur für stiefmütterlich behandelt halten, wenn ich solche Eltern, solchen Bruder und selbst keine künstlerischen Anlagen besäße.“
„Ich nicht,“ versetzte Irma lachend und betrachtete ihre schöne, schlanke Gestalt und ihr Engelsköpfchen, von einem Heiligenschein goldblonder Locken umrahmt, mit Wohlgefallen in dem großen Spiegel.
„Du bist freilich sehr hübsch,“ fuhr Maud, über diese Eitelkeit geärgert, fort, „doch Talent zu besitzen ist viel mehr wert.“
„Vielleicht! Aber drei Talente in einer Familie, das ist wirklich genug. Ich würde es als eine schwere Bürde ansehen, wenn ich noch ein viertes vorstellen müßte.“
Agnes lachte. „Was für ein närrisches kleines Mädchen bist du, Irma! Aber sie hat recht, Maud. Es braucht doch nicht jede Frau etwas Besonderes zu sein.“
„Das habe ich auch nicht behauptet; Irma beachtet nur zu wenig, daß jetzt von den Frauen etwas anderes verlangt wird, wie in früheren Zeiten.“
„Ach was,“ rief Irma. „onkel Heinz würde sagen, die Hauptsache ist bei einer Frau zu allen Zeiten, daß sie anmutig, sanft und lieb ist.“
„Das läßt sich alles vereinigen,“ versetzte Maud so ruhig, als hätte sie den Stich nicht verstanden; „eine geistig hochstehende Frau kann schön, anmutig und lieb sein, das paßt sehr gut zusammen.“
„Na, dann gratulier' ich deinem John, der kriegt ein vollkommenes Wesen,“ fuhr Irma gereizt fort, denn oft konnte sie Mauds etwas pedantische, überlegene Art zu sprechen, nicht ausstehen.
Die Amerikanerin zuckte die Achseln, und Agnes flüsterte Irma zu.
„Nun vergißt du ja onkel Heinz' Behauptung, daß Liebsein das Anziehendste an einem jungen Mädchen ist.“
Schmollend verzog Irma ihr hübsches Mündchen, dann leuchtete es in ihren Zügen auf, und sie trat zu Maud.
„Ich war unartig,“ sagte sie, ihr die Hand reichend, „sei nur nicht böse.“
Die großen Vergißmeinnichtaugen blickten unschuldig und kindlich in das schmale, dunkle und doch hübsche Antlitz der andern. Maud begriff nicht, warum ihr Tränen in die Augen traten; sie war doch sonst nicht so weichherzig. Plötzlich schlang sie die Arme um Irmas Hals und küßte sie.
„Ich reizte dich,“ flüsterte sie. „Ich glaube, ich möchte dich gar nicht anders haben als du bist.“
Endlich brach der große Tag an, der zu Fritz' und Mariannes Heimkehr bestimmt war. Ilse konnte kaum daran glauben. Einundzwanzig Jahre waren verflossen, seit die blonde Marianne ihrem Manne nach San Franzisko gefolgt war. Ihre Mutter stellte sie sich noch immer vor als das feine, zarte Mädchen, kaum dem Kindesalter entwachsen, und nun kehrte sie heim als Frau und Mutter erwachsener Kinder, von denen die Älteste übers Jahr auch schon in die Ehe treten sollte.