Nun folgte eine geschäftige Zeit. Jeden Tag hatten die Mädchen Einkäufe zu machen. Tischler, Stukkateure, Tapezierer, Maler und Zimmerleute schafften um die Wette. Es wurde gut und eifrig gearbeitet, und ehe vier Wochen vergangen waren, sah das Haus, in dem die Familie Müller aus Amerika wohnen sollte, schon recht hübsch und einladend aus. Die Mädchen richteten alles nach eigenem Geschmack ein. Die Eltern hatten nur im allgemeinen angegeben, wie jedes Zimmer möbliert und ausgestattet werden sollte.
Anfangs fanden Großmutter Ilse und Irma es ziemlich ungemütlich. In der Schlafstube standen eiserne Bettstellen ohne Vorhänge, auf dem feingeflochtenen Eisendraht nur eine Matratze von Seegras. Keine Mulldraperien um den Toilettentisch, und vor den hohen Fenstern nur Binsenvorhänge. Die Tapeten ließen sich leicht mit Wasser reinigen. Die Möbel waren zierlich, aber höchst einfach in Form und Stil, die Stühle meist mit Sitzen von feinem Flechtwerk. Wenig Zierrat, alles konnte bequem umgestellt und gesäubert werden. Nirgends Portieren oder Übergardinen; das waren, wie die Mädchen behaupteten, nur Staubfänger. In allen Zimmern und Gängen elektrische Klingeln und Beleuchtung. In der Küche ein Lift, um das Essen nach oben zu befördern, und Hähne zu kaltem und heißem Wasser in sämtlichen Schlafstuben. Kein Luxus, aber viel Komfort. Tante Elisabeth, die auch einmal die Wohnung besichtigte, mißbilligte alle diese Neuerungen auf's höchste und jammerte über die Unsummen, welche die modernen Einrichtungen verschlangen. Sie tadelte ihre Nichten, daß sie mit jugendlicher Unbesonnenheit zu Werke gegangen wären, und meinte, ihr Bruder könnte trotz seiner Vorliebe für amerikanische Verhältnisse solche Tollheiten unmöglich gut heißen. Aber Maud brachte sie dadurch zum Schweigen, daß sie ihr erwiderte, es wäre alles ganz genau nach den Wünschen und Anordnungen ihrer Eltern eingerichtet.
Die Tante begnügte sich nun damit, mißbilligend den Kopf zu schütteln und, heimgekehrt, der alten Grete ihr Leid zu klagen und auf die neumodischen Leute zu sticheln, die in ihren Häusern alles durch Maschinen verrichten ließen und sich durch alle möglichen Bequemlichkeiten über die Maßen verwöhnten.
Als das Haus fertig war und auch der Garten mit seinen breiten Kiespfaden und dem Tennisplatz im Hintergrunde sich in schönster Ordnung befand, mußten Ilse und Irma doch gestehen, daß es sehr nett aussah, wenn sie es zuerst auch ein wenig kalt und nüchtern gefunden hatten. Sämtliche Zimmer waren geräumig und hell, während das gar zu grelle Sonnenlicht durch Markisen gedämpft werden konnte. Von allen Seiten drang frische Luft herein, wo es aber nötig war, gab es Doppelfenster, die dem Zug den Eintritt wehrten. Nirgends etwas überflüssiges, nirgends ein Mangel an dem Nötigen und Nützlichen; überall herrschte auch eine harmonische Übereinstimmung der Farben, die dem Auge wohl tat. Maud und Agnes legten mit ihrer Arbeit Ehre ein, und auch Karl hatte tapfer mitgeholfen. Kein Wunder, daß sie der Ankunft ihrer Eltern mit größter Ungeduld entgegensahen.
Herr und Frau Müller befanden sich schon seit einiger Zeit auf der Heimreise und konnten in etwa acht Tagen eintreffen. Kurz zuvor kamen auch Irmas Eltern mit Gustav aus Berlin, um die Verwandten aus Amerika willkommen zu heißen. Maud und Agnes waren entzückt von ihrer Tante Ruth und deren Mann. Am Tage nach ihrer Ankunft gaben sie im Familienkreise ein Konzert, bei dem auch onkel Heinz nicht fehlte. Er war immer glückselig, wenn Ruth im Hause ihrer Mutter als Gast weilte, seine Zuneigung zu ihr blieb sich stets gleich, und auch ihren Gatten verehrte er als großen Künstler.
Ruth von Holten war eine stattliche, schöne Frau in der Vollkraft ihres Lebens. Sie glich sehr ihrer Mutter, als diese jünger war und ehe Schmerz und Kummer ihren Zügen einen sanften wehmütigen Ausdruck verliehen hatten. Ihr Name als Sängerin war auch im Auslande rühmlichst bekannt; überall erregte sie mit ihrer schönen, in vorzüglicher Schule gebildeten Stimme und ihrem warmen Vortrage Aufsehen. Ihr Gatte, ein großer Geigenkünstler, war ihr in den ersten Jahren ihrer Ehe ein guter Lehrmeister gewesen. Wo das geniale Paar sich zeigte, ward es mit Jubel empfangen. Auch Gustav fing an, sich als Klavierspieler einen Namen zu machen. Er war ein stiller, junger Mensch, mit den verträumten Augen seines Vaters. Er freute sich, die Cousinen aus Amerika kennen zu lernen, aber die heitere, schalkhafte Agnes setzte ihn oft in Verlegenheit. Er ging ihr wie auch Irma aus dem Wege, die zwar große Stücke auf ihn hielt, ihn aber häufig mit seinem linkischen Wesen und seiner Schüchternheit jungen Damen gegenüber neckte. Er fühlte sich mehr zu Maud hingezogen, die ruhig und ernst mit ihm sprach, ihn nach seinen Studien fragte und sich nicht allein als Musikfreundin und Kennerin, sondern auch als selbst musikalisch ausgebildet zeigte. Die Mädchen waren begeistert, wenn Tante Ruth, onkel Heinrich und Gustav im Familienkreise musizierten, vielleicht mit noch mehr Liebe und Hingabe als vor einem großen Publikum. Für die Künstlerfamilie war es eine Erquickung, ein wahres Aufatmen, einmal einige Wochen im Elternhause zu weilen und gleichzeitig die Mutter und den alten Freund der Familie, onkel Heinz, durch ihr Spiel und ihren Gesang glücklich zu machen. —
„Ich bin ganz verliebt in Tante Ruth,“ erklärte Maud, als die drei Mädchen im Schlafzimmer der Cousinen sich noch über den Abend aussprachen.
Agnes schaute sie verwundert an, denn Maud war eine sehr ruhige Natur, die nicht leicht in Entzückung geriet.