„Hab' nur keine Angst. Mein John ist Ingenieur und wird übers Jahr zweiter Direktor einer großen Dampfmaschinenfabrik. Aber er muß auch praktisch lernen und daher dient er eine Zeitlang als einfacher Arbeiter.“
„Ein gewöhnlicher Heizer,“ nahm Irma das Wort, und ihre blauen Augen wurden immer größer vor Verwunderung, „mit 'nem Arbeitskittel und schwarzem Gesicht und schmutzigen Händen?“
Maud ärgerte sich ein bißchen, Agnes aber brach in lustiges Gelächter aus.
„Was bist du doch für ein dummes Gänschen, Irma; wenn er sich gewaschen und umgezogen hat, sieht ihm niemand seine Beschäftigung an. John geht nicht in seinem Arbeitsrock in Gesellschaft.“
„Überdies,“ fiel Maud ein, „ist ein Arbeiter bei uns gerade so gut ein Gentleman wie jeder andere, es kommt nur auf die Persönlichkeit an. Uns ist gelehrt, daß keine Arbeit schändet.“
„Da hast du ganz recht,“ meinte Ilse, „aber du mußt es meiner kleinen Irma nicht übelnehmen, daß sie etwas erstaunt ist. Sind die Sitten und Gebräuche in Amerika auch anders, im Grunde genommen haben wir doch dieselben Ansichten. So willst du uns also bald wieder verlassen, Maud?“
„In einem Jahr kommt John, um mich zu holen, Großmama.“
„Und du, Agnes.“
„O, du behältst mich zunächst bei dir, vielleicht für immer; ich habe keinen Verlobten in Amerika.“
Die jungen Mädchen schrieben ihre Briefe, und dann gingen sie mit Irma auf Wohnungssuche. Ilse wollte nach einem Wagen schicken, Maud aber erklärte, sie fände es bequemer zu Fuß zu gehen, dann könnten sie sich besser umschauen. Die Großmama mußte den Gedanken, sie zu begleiten, aufgeben, denn sie fürchtete die Anstrengung, auch bedurften ihre energischen Enkelinnen ihres Rates nicht, denn sie wußten genau, was sie brauchten. So konnte sie ihnen die Sache getrost überlassen. Irma ging zum Vergnügen mit. Sie gesellte sich zu Agnes, während Maud und Karl vorauswanderten, und eifrig beratschlagten. Die deutsche Cousine wunderte sich immer mehr und mehr über den Takt, die Ruhe und Geschäftskenntnisse, welche die fremden jungen Mädchen an den Tag legten. Sie erkundigten sich nach allem, sprachen mit Hauseigentümern und Verwaltern, machten solche praktische Bemerkungen, daß sogar die Männer sie erstaunt betrachteten, und endlich glückte es ihnen, dicht vor der Stadt ein geräumiges, von einem hübschen Garten umgebenes Haus zu mieten. Maud schlug vor, der Besitzer solle noch denselben Abend mit dem Kontrakt zu Frau Gontrau kommen, da die Sache eile. Das Haus konnten sie sofort beziehen, es sah sehr gut erhalten aus und bedurfte nur geringer Reparaturen.
„Ich glaube, daß ich arg dumm bin,“ sagte Irma seufzend, als sie, munter plaudernd, den Heimweg antraten. „Erst fand ich es sehr komisch, daß ihr allein herkamet und ein Haus für eure Eltern mieten solltet. Meinen Eltern würde es nie einfallen, mir einen solchen Auftrag zu geben. Ich würde es auch nicht können, denn noch nie in meinem Leben bin ich handelnd aufgetreten.“
„Dann wird es hohe Zeit,“ fand Maud. „Wie alt bist du eigentlich, Irma?“
„Siebzehn.“
„Agnes ist achtzehn, und ich werde nächstens zwanzig.“
„O, du kommst mir wie dreißig vor,“ rief Irma, „das heißt,“ fuhr sie erschrocken fort, „nicht in deinem Äußern, denn mit dem hübschen kurzen Gelock siehst du wie sechzehn aus, aber in deinem Tun und Lassen. Du bist so schrecklich verständig, ganz wie eine Frau.“
„Das will ich meinen,“ sagte Maud ruhig.
„Mach nur nicht so ein erschrecktes Gesicht, Irmachen,“ nahm Agnes freundlich das Wort. „Du brauchst nicht handelnd aufzutreten; du bist gerade so ein liebes, hübsches, kleines Ding, das sein Leben lang verhätschelt und beschützt werden muß.“
„Das möchte ich auch. Mir ist so bange vor emanzipierten Frauen.“
Maud mußte lachen. „Wir sind nicht emanzipiert. Wir haben nur gelernt, uns wenn nötig selbst zu helfen und unabhängig und frei aufzutreten, wo es gerade angebracht ist.“
„Aber ich will nicht unabhängig auftreten,“ beharrte Irma. „Wenn ich mal heirate, will ich von meinem Manne ganz abhängig sein, ihn als mir überlegen betrachten, als meinen Herrn und Gebieter; er aber muß mich verwöhnen, verhätscheln und in mir das kostbarste und schönste Wesen sehen, das ihm anvertraut ist. Er muß mich geradezu anbeten.“
„Das würde mir nicht genügen,“ erwiderte Maud und ihre Mundwinkel zuckten verächtlich. „Ich will meinem Manne Gefährtin und Helferin sein, keine Puppe, kein Schmuckstück.“