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黑塞德语小说:德米安 Demian-Zweites Kapitel Kain 3
日期:2022-08-11 14:29  点击:276
Einst war ein Regentag, ich war von meinem Peiniger auf den Burgplatz bestellt worden, da stand ich nun und wartete und wühlte mit den Füßen im nassen Kastanienlaub, das noch immerzu von den schwarzen triefenden Bäumen fiel. Geld hatte ich nicht, aber ich hatte zwei Stücke Kuchen beiseite gebracht und trug sie bei mir, um dem Kromer wenigstens etwas geben zu können. Ich war es längst gewohnt, so irgendwo in einem Winkel zu stehen und auf ihn zu warten, oft sehr lange Zeit, und ich nahm es hin, wie der Mensch das Unabänderliche hinnimmt.
Endlich kam Kromer. Er blieb heute nicht lang. Er gab mir ein paar Knüffe in die Rippen, lachte, nahm mir den Kuchen ab, bot mir sogar eine feuchte Zigarette an, die ich jedoch nicht nahm, und war freundlicher als gewöhnlich.
„Ja,“ sagte er beim Weggehen, „daß ich’s nicht vergesse — du könntest das nächstemal deine Schwester mitbringen, die ältere. Wie heißt sie eigentlich?“
Ich verstand gar nicht, gab auch keine Antwort. Ich sah ihn nur verwundert an.
„Kapierst du nicht? Deine Schwester sollst du mitbringen.“
„Ja, Kromer, aber das geht nicht. Das darf ich nicht, und sie käme auch gar nicht mit.“
Ich war darauf gefaßt, daß das nur wieder eine Schikane und ein Vorwand sei. So machte er es oft, verlangte irgend etwas Unmögliches, setzte mich in Schrecken, demütigte mich, und ließ dann allmählich mit sich handeln. Ich mußte mich dann mit etwas Geld oder anderen Gaben loskaufen.
Diesmal war er ganz anders. Er wurde auf meine Weigerung hin fast gar nicht böse.
„Na ja,“ sagte er obenhin, „du wirst dir das überlegen. Ich möchte mit deiner Schwester bekannt werden. Es wird schon einmal gehen. Du nimmst sie einfach auf einen Spaziergang mit, und dann komme ich dazu. Morgen pfeife ich dir an, dann sprechen wir noch einmal drüber.“
Als er fort war, dämmerte mir plötzlich etwas vom Sinn seines Begehrens auf. Ich war noch völlig Kind, aber ich wußte gerüchtweise davon, daß Knaben und Mädchen, wenn sie etwas älter waren, irgendwelche geheimnisvolle, anstößige und verbotene Dinge miteinander treiben konnten. Und nun sollte ich also — es wurde mir ganz plötzlich klar, wie ungeheuerlich es war! Mein Entschluß, das nie zu tun, stand sofort fest. Aber was dann geschehen und wie Kromer sich an mir rächen würde, daran wagte ich kaum zu denken. Es begann eine neue Marter für mich, es war noch nicht genug.
Trostlos ging ich über den leeren Platz, die Hände in den Taschen. Neue Qualen, neue Sklaverei!
Da rief mich eine frische, tiefe Stimme an. Ich erschrak und fing zu laufen an. Jemand lief mir nach, eine Hand faßte mich sanft von hinten. Es war Max Demian.
Ich gab mich gefangen.
„Du bist es?“ sagte ich unsicher. „Du hast mich so erschreckt!“
Er sah mich an, und nie war sein Blick mehr der eines Erwachsenen, eines Überlegenen und Durchschauenden gewesen als jetzt. Seit langem hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen.
„Das tut mir leid,“ sagte er mit seiner höflichen und dabei sehr bestimmten Art. „Aber höre, man muß sich nicht so erschrecken lassen.“
„Nun ja, das kann doch passieren.“
„Es scheint so. Aber sieh: wenn du vor jemand, der dir nichts getan hat, so zusammenfährst, dann fängt der Jemand an nachzudenken. Es wundert ihn, es macht ihn neugierig. Der Jemand denkt sich, du seiest doch merkwürdig schreckhaft, und er denkt weiter: so ist man bloß, wenn man Angst hat. Feiglinge haben immer Angst; aber ich glaube, ein Feigling bist du eigentlich nicht. Nicht wahr? O freilich, ein Held bist du auch nicht. Es gibt Dinge, vor denen du Furcht hast; es gibt auch Menschen, vor denen du Furcht hast. Und das sollte man nie haben. Nein, vor Menschen sollte man niemals Furcht haben. Du hast doch keine vor mir? Oder?“
„O nein, gar nicht.“
„Eben, siehst du. Aber es gibt Leute, vor denen du Furcht hast?“
„Ich weiß nicht . . . Laß mich doch, was willst du von mir?“
Er hielt mit mir Schritt — ich war rascher gegangen, mit Fluchtgedanken — und ich fühlte seinen Blick von der Seite her.
„Nimm einmal an,“ fing er wieder an, „daß ich es gut mit dir meine. Angst brauchst du jedenfalls vor mir nicht zu haben. Ich möchte gern ein Experiment mit dir machen, es ist lustig und du kannst etwas dabei lernen, was sehr brauchbar ist. Paß einmal auf! — Also ich versuche manchmal eine Kunst, die man Gedankenlesen heißt. Es ist gar keine Hexerei dabei, aber wenn man nicht weiß, wie es gemacht wird, dann sieht es ganz eigentümlich aus. Man kann die Leute sehr damit überraschen. — Nun, wir probieren einmal. Also ich habe dich gern, oder ich interessiere mich für dich, und möchte nun herausbringen, wie es in dir drinnen aussieht. Dazu habe ich den ersten Schritt schon getan. Ich habe dich erschreckt — du bist also schreckhaft. Es gibt also Sachen und Menschen, vor denen du Angst hast. Woher kann das kommen? Man braucht vor niemand Angst zu haben. Wenn man jemand fürchtet, dann kommt es daher, daß man diesem Jemand Macht über sich eingeräumt hat. Man hat zum Beispiel etwas Böses getan, und der andre weiß das — dann hat er Macht über dich. Du kapierst? Es ist doch klar, nicht?“
Ich sah ihm hilflos ins Gesicht, das war ernst und klug wie stets, und auch gütig, aber ohne alle Zärtlichkeit, es war eher streng. Gerechtigkeit oder etwas Ähnliches lag darin. Ich wußte nicht, wie mir geschah; er stand wie ein Zauberer vor mir.
„Hast du verstanden?“ fragte er noch einmal.
Ich nickte. Sagen konnte ich nichts.
„Ich sagte dir ja, es sieht komisch aus, das Gedankenlesen, aber es geht ganz natürlich zu. Ich könnte dir zum Beispiel auch ziemlich genau sagen, was du über mich gedacht hast, als ich einmal dir die Geschichte von Kain und Abel erzählt hatte. Nun, das gehört nicht hierher. Ich halte es auch für möglich, daß du einmal von mir geträumt hast. Lassen wir das aber! Du bist ein gescheiter Junge, die meisten sind so dumm! Ich rede gern hie und da mit einem gescheiten Jungen, zu dem ich Vertrauen habe. Es ist dir doch recht?“
„O ja. Ich verstehe nur gar nicht —“
„Bleiben wir einmal bei dem lustigen Experiment! Wir haben also gefunden: der Knabe S. ist schreckhaft — er fürchtet jemanden — er hat wahrscheinlich mit diesem andern ein Geheimnis, das ihm sehr unbequem ist. — Stimmt das ungefähr?“
Wie im Traum unterlag ich seiner Stimme, seinem Einfluß. Ich nickte nur. Sprach da nicht eine Stimme, die nur aus mir selber kommen konnte? Die alles wußte? Die alles besser, klarer wußte als ich selber?
Kräftig schlug mir Demian auf die Schulter.
„Es stimmt also. Ich konnte mir’s denken. Jetzt bloß noch eine einzige Frage: weißt du, wie der Junge heißt, der da vorhin wegging?“
Ich erschrak heftig, mein angetastetes Geheimnis krümmte sich schmerzhaft in mir zurück, es wollte nicht ans Licht.
„Was für ein Junge? Es war kein Junge da, bloß ich.“
Er lachte.
„Sag’s nur!“ lachte er. „Wie heißt er?“
Ich flüsterte: „Meinst du den Franz Kromer?“
Befriedigt nickte er mir zu.
„Bravo! Du bist ein fixer Kerl, wir werden noch Freunde werden. Nun muß ich dir aber etwas sagen: dieser Kromer, oder wie er heißt, ist ein schlechter Kerl. Sein Gesicht sagt mir, daß er ein Schuft ist! Was meinst du?“
„O ja,“ seufzte ich auf, „er ist schlecht, er ist ein Satan! Aber er darf nichts wissen! Um Gottes willen, er darf nichts wissen. Kennst du ihn? Kennt er dich?“
„Sei nur ruhig! Er ist fort, und er kennt mich nicht — noch nicht. Aber ich möchte ihn ganz gern kennenlernen. Er geht in die Volksschule?“
„Ja.“
„In welche Klasse?“
„In die fünfte. — Aber sag ihm nichts! Bitte, bitte sag ihm nichts!“
„Sei ruhig, es passiert dir nichts. — Vermutlich hast du keine Lust, mir ein wenig mehr von diesem Kromer zu erzählen?“
„Ich kann nicht! Nein, laß mich!“
Er schwieg eine Weile.
„Schade,“ sagte er dann, „wir hätten das Experiment noch weiter führen können. Aber ich will dich nicht plagen. Aber nicht wahr, das weißt du doch, daß deine Furcht vor ihm nichts Richtiges ist? So eine Furcht macht uns ganz kaputt, die muß man loswerden. Du mußt sie loswerden, wenn ein rechter Kerl aus dir werden soll. Begreifst du?“
„Gewiß, du hast ganz recht . . . aber es geht nicht. Du weißt ja nicht . . .“
„Du hast gesehen, daß ich manches weiß, mehr als du gedacht hättest. — Bist du ihm etwa Geld schuldig?“
„Ja, das auch, aber das ist nicht die Hauptsache. Ich kann es nicht sagen, ich kann nicht!“
„Es hilft also nichts, wenn ich dir soviel Geld gebe, wie du ihm schuldig bist? — Ich könnte es dir gut geben.“
„Nein, nein, das ist es nicht. Und ich bitte dich: sage niemand davon! Kein Wort! Du machst mich unglücklich!“
„Verlaß dich auf mich, Sinclair. Eure Geheimnisse wirst du mir später einmal mitteilen —“
„Nie, nie!“ rief ich heftig.
„Ganz wie du willst. Ich meine nur, vielleicht wirst du mir später einmal mehr sagen. Nur freiwillig, versteht sich. Du denkst doch nicht, ich werde es machen wie der Kromer selber?“
„O nein — aber du weißt ja gar nichts davon!“
„Gar nichts. Ich denke nur darüber nach. Und ich werde es nie so machen wie Kromer es macht, das glaubst du mir. Du bist ja mir auch nichts schuldig.“
Wir schwiegen eine lange Zeit, und ich wurde ruhiger. Aber Demians Wissen wurde mir immer rätselhafter.
„Ich geh jetzt nach Hause,“ sagte er, und zog im Regen seinen Lodenmantel fester zusammen. „Ich möchte dir nur eins nochmals sagen, weil wir schon so weit sind — du solltest diesen Kerl loswerden! Wenn es gar nicht anders geht, dann schlage ihn tot! Es würde mir imponieren und gefallen, wenn du es tätest. Ich würde dir auch helfen.“
Ich bekam von neuem Angst. Die Geschichte von Kain fiel mir plötzlich wieder ein. Es wurde mir unheimlich, und ich begann sachte zu weinen. Zu viel Unheimliches war um mich her.
„Nun gut,“ lächelte Max Demian. „Geh nur nach Hause! Wir machen das schon. Obwohl Totschlagen das Einfachste wäre. In solchen Dingen ist das Einfachste immer das Beste. Du bist in keinen guten Händen bei deinem Freund Kromer.“
Ich kam nach Hause, und mir schien, ich sei ein Jahr lang weg gewesen. Alles sah anders aus. Zwischen mir und Kromer stand etwas wie Zukunft, etwas wie Hoffnung. Ich war nicht mehr allein! Und erst jetzt sah ich, wie schrecklich allein ich wochen- und wochenlang mit meinem Geheimnis gewesen war. Und sofort fiel mir ein, was ich mehrmals durchgedacht hatte: daß eine Beichte vor meinen Eltern mich erleichtern und mich doch nicht ganz erlösen würde. Nun hatte ich beinahe gebeichtet, einem andern, einem Fremden, und Erlösungsahnung flog mir wie ein starker Duft entgegen! 

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