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Buddenbrooks-Zehnter Teil-Viertes Kapitel
日期:2022-04-12 15:25  点击:239
Zu Beginn des Jahres 1873 ward dem Gnadengesuch Hugo Weinschenks vom Senate stattgegeben und der ehemalige Direktor ein halbes Jahr vor Ablauf der ihm zugemessenen Strafzeit auf freien Fuß gesetzt.
 
Würde Frau Permaneder ehrlich gesprochen haben, so hätte sie zugeben müssen, daß dieses Ereignis sie gar nicht sehr freudig berührte und daß sie es lieber gesehen hätte, wenn alles nun auch bis ans Ende geblieben wäre, wie es einmal war. Sie lebte mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin friedlich am Lindenplatze, im Verkehr mit dem Hause in der Fischergrube und mit ihrer Pensionsfreundin Armgard von Maiboom, geb. von Schilling, die seit dem Ableben ihres Gatten in der Stadt wohnte. Sie wußte längst, daß sie außerhalb der Mauern ihrer Vaterstadt eigentlich nirgends am richtigen und würdigen Platze war und verspürte mit ihren Münchener Erinnerungen, ihrem beständig schwächer und reizbarer werdenden Magen und ihrem wachsenden Ruhebedürfnis durchaus keine Neigung, auf ihre alten Tage noch einmal in eine große Stadt des geeinten Vaterlandes oder gar ins Ausland überzusiedeln.
 
»Liebes Kind«, sagte sie zu ihrer Tochter, »ich muß dich nun etwas fragen, etwas Ernstes!… Du liebst deinen Mann doch noch immer von ganzem Herzen? Du liebst ihn doch so, daß du ihm, wohin er sich jetzt auch wenden möge, mit eurem Kinde folgen willst, da seines Bleibens hier ja leider nicht ist?«
 
Und da Frau Erika Weinschenk, geb. Grünlich, hierauf unter Tränen, die alles mögliche bedeuten konnten, genau so pflichtgemäß antwortete, wie Tony selbst einstmals unter ähnlichen Umständen in ihrer Villa bei Hamburg ihrem Vater geantwortet hatte, so fing man an, mit einer nahen Trennung zu rechnen …
 
Es war ein Tag, beinahe so schauerlich wie der, an dem Direktor Weinschenk in Haft genommen war, als Frau Permaneder ihren Schwiegersohn in einer geschlossenen Droschke vom Gefängnisse abholte. Sie brachte ihn in ihre Wohnung am Lindenplatze, und dort blieb er, nachdem er verwirrt und ratlos Frau und Kind begrüßt, in dem Zimmer, das man ihm eingeräumt, und rauchte von früh bis spät Zigarren, ohne es zu wagen, auf die Straße zu gehen, ja meistens ohne die Mahlzeiten mit den Seinen gemeinsam zu nehmen, ein ergrauter und vollständig kopfscheuer Mensch.
 
Das Gefängnisleben hatte seiner körperlichen Gesundheit nichts anhaben können, denn Hugo Weinschenk war stets von durabler Konstitution gewesen; aber es stand doch äußerst traurig um ihn. Es war entsetzlich, zu sehen, wie dieser Mann – der höchstwahrscheinlich nichts anderes begangen hatte, als was die meisten seiner Kollegen ringsum mit gutem Mut alle Tage begingen, und der, wäre er nicht ertappt worden, ohne Zweifel erhobenen Hauptes und unberührt heiteren Gewissens seinen Pfad gewandert wäre – durch seinen bürgerlichen Fall, durch die Tatsache der gerichtlichen Verurteilung und diese drei Gefängnisjahre nun moralisch so vollkommen gebrochen war. Er hatte vor Gericht aus tiefster Überzeugung beteuert, und von Sachverständigen war es ihm bestätigt worden, daß das kecke Manöver, welches er seiner Gesellschaft und sich selbst zu Ehr' und Vorteil unternommen, in der Geschäftswelt als Usance gelte. Die Juristen aber, Herren, die nach seiner eigenen Meinung von diesen Dingen gar nichts verstanden, die unter ganz anderen Begriffen und in einer ganz anderen Weltanschauung lebten, hatten ihn wegen Betruges verurteilt, und dieser Spruch, dem die staatliche Macht zur Seite stand, hatte seine Selbstschätzung dermaßen zu erschüttern vermocht, daß er niemandem mehr ins Angesicht zu blicken wagte. Sein federnder Gang, die unternehmende Art, mit der er sich in der Taille seines Gehrockes gewiegt, mit den Fäusten balanciert und die Augen gerollt hatte, die ungemeine Frische, mit der er von der Höhe seiner Unwissenheit und Unbildung herab seine Fragen und Erzählungen zum besten gegeben hatte – alles war dahin! Es war so sehr dahin, daß den Seinen vor so viel Gedrücktheit, Feigheit und dumpfer Würdelosigkeit graute.
 
Nachdem Herr Hugo Weinschenk acht oder zehn Tage lang sich lediglich mit Rauchen beschäftigt hatte, fing er an, Zeitungen zu lesen und Briefe zu schreiben. Und dies hatte nach dem Verlaufe weiterer acht oder zehn Tage zur Folge, daß er in unbestimmten Wendungen erklärte, in London scheine sich ihm eine neue Position zu bieten, doch wolle er zunächst allein dorthin reisen, um die Sache persönlich zu regeln und erst, wenn alles in Richtigkeit sei, Frau und Kind zu sich rufen.
 
Er fuhr, von Erika begleitet, in geschlossenem Wagen zum Bahnhof und reiste ab, ohne irgendeinen seiner übrigen Verwandten noch einmal gesehen zu haben.
 
Einige Tage später traf, noch aus Hamburg, ein an seine Gattin gerichtetes Schreiben ein, in welchem er zu wissen tat, er sei entschlossen, sich keinesfalls eher mit Frau und Kind zu vereinigen oder auch nur von sich hören zu lassen, als bis er ihnen eine angemessene Existenz werde bieten können. Und dies war Hugo Weinschenks letztes Lebenszeichen. Niemand vernahm seitdem das geringste von ihm. Obgleich später Frau Permaneder, versiert in solchen Dingen und voll umsichtiger Tatkraft wie sie war, mehrere Aufrufe nach ihrem Schwiegersohn ergehen ließ, um, wie sie mit wichtiger Miene erklärte, der Scheidungsklage wegen böswilligen Verlassens eine volle Begründung zu geben, war und blieb er verschollen, und so kam es, daß Erika Weinschenk mit der kleinen Elisabeth nach wie vor bei ihrer Mutter in der hellen Etage am »Lindenplatze« verblieb. 

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