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Buddenbrooks-Achter Teil-Siebentes Kapitel
日期:2022-04-02 10:42  点击:223
Thomas Buddenbrook war in seinem Herzen nicht einverstanden mit dem Wesen und der Entwicklung des kleinen Johann.
 
Er hatte einst, allem Kopfschütteln schnell verblüffter Philister zum Trotz, Gerda Arnoldsen heimgeführt, weil er sich stark und frei genug gefühlt hatte, unbeschadet seiner bürgerlichen Tüchtigkeit einen distinguierteren Geschmack an den Tag zu legen als den allgemein üblichen. Aber sollte nun das Kind, dieser lange vergebens ersehnte Erbe, der doch äußerlich und körperlich manche Abzeichen seiner väterlichen Familie trug, so ganz und gar dieser Mutter gehören? Sollte er, von dem er erhofft hatte, daß er einst mit glücklicherer und unbefangenerer Hand die Arbeit seines Lebens fortführen werde, der ganzen Umgebung, in der er zu leben und zu wirken berufen, ja seinem Vater selbst, innerlich und von Natur aus fremd und befremdend gegenüberstehen?
 
Gerdas Geigenspiel hatte für Thomas bislang, übereinstimmend mit ihren seltsamen Augen, die er liebte, zu ihrem schweren dunkelroten Haar und ihrer ganzen außerordentlichen Erscheinung, eine reizvolle Beigabe mehr zu ihrem eigenartigen Wesen bedeutet; jetzt aber, da er sehen mußte, wie die Leidenschaft der Musik, die ihm fremd war, so früh schon, so von Anbeginn und von Grund aus sich auch seines Sohnes bemächtigte, wurde sie ihm zu einer feindlichen Macht, die sich zwischen ihn und das Kind stellte, aus dem seine Hoffnungen doch einen echten Buddenbrook, einen starken und praktisch gesinnten Mann mit kräftigen Trieben nach außen, nach Macht und Eroberung machen wollten. Und in der reizbaren Verfassung, in der er sich befand, schien es ihm, als drohe diese feindselige Macht ihn zu einem Fremden in seinem eigenen Hause zu machen.
 
Er war nicht imstande, sich der Musik, wie Gerda und ihr Freund, dieser Herr Pfühl, sie betrieben, zu nähern, und Gerda, exklusiv und unduldsam in Dingen der Kunst, erschwerte ihm noch diese Annäherung in wirklich grausamer Weise.
 
Nie hatte er geglaubt, daß das Wesen der Musik seiner Familie so gänzlich fremd sei, wie es jetzt den Anschein gewann. Sein Großvater hatte gern ein wenig die Flöte geblasen, und er selbst hatte immer mit Wohlgefallen auf hübsche Melodien, die entweder eine leichte Grazie oder einige beschauliche Wehmut oder eine munterstimmende Schwunghaftigkeit an den Tag legten, gelauscht. Gab er aber seinem Geschmack an irgendeinem derartigen Gebilde Ausdruck, so konnte er gewärtig sein, daß Gerda die Achseln zuckte und mit einem mitleidigen Lächeln sagte: »Wie ist es möglich, mein Freund! Ein Ding so ganz ohne musikalischen Wert …«
 
Er haßte diesen »musikalischen Wert«, dieses Wort, mit dem sich für ihn kein anderer Begriff verband als der eines kalten Hochmutes. Es trieb ihn, sich, während Hanno dabeisaß, dagegen zu erheben. Mehr als einmal geschah es, daß er bei solchen Gelegenheiten aufbegehrte und ausrief: »Ach, Liebste, das Trumpfen auf diesen ›musikalischen Wert‹ scheint mir eine ziemlich dünkelhafte und geschmacklose Sache zu sein!«
 
Und sie erwiderte ihm: »Thomas, ein für allemal, von der Musik als Kunst wirst du niemals etwas verstehen, und so intelligent du bist, wirst du niemals einsehen, daß sie mehr ist als ein kleiner Nachtischspaß und Ohrenschmaus. In der Musik geht dir der Sinn für das Banale ab, der dir doch sonst nicht fehlt … und er ist das Kriterium des Verständnisses in der Kunst. Wie fremd dir die Musik ist, kannst du schon daraus ersehen, daß dein musikalischer Geschmack deinen übrigen Bedürfnissen und Anschauungen ja eigentlich gar nicht entspricht. Was freut dich in der Musik? Der Geist eines gewissen faden Optimismus, den du, wäre er in einem Buche eingeschlossen, empört oder ärgerlich belustigt in die Ecke werfen würdest. Schnelle Erfüllung jedes kaum erregten Wunsches … prompte, freundliche Befriedigung des kaum ein wenig aufgestachelten Willens … Geht es in der Welt etwa zu wie in einer hübschen Melodie?… Das ist läppischer Idealismus …«
 
Er verstand sie, er verstand, was sie sagte. Aber er vermochte ihr mit dem Gefühl nicht zu folgen und nicht zu begreifen, warum Melodien, die ihn ermunterten oder rührten, null und nichtig sein – und Musikstücke, die ihn herb und verworren anmuteten, den höchsten musikalischen Wert besitzen sollten. Er stand vor einem Tempel, von dessen Schwelle Gerda ihn mit unnachsichtiger Gebärde verwies … und kummervoll sah er, wie sie mit dem Kinde darin verschwand.
 
Er ließ nichts merken von der Sorge, mit der er die Entfremdung beobachtete, die zwischen ihm und seinem kleinen Sohne zuzunehmen schien, und der Anschein, als bewürbe er sich um des Kindes Gunst, wäre ihm furchtbar gewesen. Er hatte ja während des Tages nur wenig Muße, mit dem Kleinen zusammenzutreffen; gelegentlich der Mahlzeiten aber behandelte er ihn mit einer freundschaftlichen Kordialität, die einen Anflug von ermunternder Härte besaß. »Nun, Kamerad«, sagte er, indem er ihn ein paarmal auf den Hinterkopf klopfte und sich, seiner Frau gegenüber, neben ihn an den Speisetisch setzte … »Wie geht's! Was haben wir getrieben! Gelernt?… Und Klavier gespielt? Das ist recht! Aber nicht zu viel, sonst haben wir keine Lust mehr zum übrigen und bleiben Ostern sitzen!« Keine Muskel in seinem Gesicht verriet dabei die besorgte Spannung, mit der er erwartete, wie Hanno seine Begrüßung aufnehmen, wie sie erwidern werde; nichts verriet etwas von dem schmerzlichen Sichzusammenziehen seines Inneren, wenn das Kind einfach einen scheuen Blick aus seinen goldbraunen, umschatteten Augen zu ihm hingleiten ließ, der nicht einmal sein Gesicht erreichte, – und sich stumm über seinen Teller beugte.
 
Ungeheuerlich wäre es gewesen, sich über diese kindische Unbeholfenheit zu bekümmern. Während des Beisammenseins, in den Pausen etwa, beim Wechseln des Geschirrs, war es seine Pflicht, sich ein wenig mit dem Jungen zu beschäftigen, ihn ein bißchen zu prüfen, seinen praktischen Sinn für Tatsachen herauszufordern … Wieviel Einwohner besaß die Stadt? Welche Straßen führten von der Trave zur oberen Stadt hinauf? Wie hießen die zum Geschäft gehörigen Speicher? Frisch und schlagfertig hergesagt! – Aber Hanno schwieg. Nicht aus Trotz gegen seinen Vater, nicht um ihm wehe zu tun. Aber die Einwohner, die Straßen und selbst die Speicher, die ihm unter gewöhnlichen Umständen unendlich gleichgültig waren, flößten ihm, zum Gegenstand eines Examens erhoben, einen verzweifelten Widerwillen ein. Er mochte vorher ganz munter gewesen sein, mochte sogar mit seinem Vater geplaudert haben – sowie das Gespräch auch nur annähernd den Charakter einer kleinen Prüfung annahm, sank seine Stimmung unter Null, brach seine Widerstandskraft vollständig zusammen. Seine Augen verschleierten sich, sein Mund nahm einen verzagten Ausdruck an, und was ihn beherrschte, war ein großes schmerzliches Bedauern über die Unvorsichtigkeit, mit welcher Papa, der doch wissen mußte, daß solche Versuche zu nichts Gutem führten, nun sich selbst und allen die Mahlzeit verdorben habe. Mit Augen, die in Tränen schwammen, sah er auf seinen Teller nieder. Ida stieß ihn an und flüsterte ihm zu … die Straßen, die Speicher. Aber ach, das war ja unnütz, ganz unnütz! Sie mißverstand ihn. Er wußte ja die Namen, zum Teile wenigstens, ganz gut, und so leicht wäre es gewesen, Papas Wünschen bis zu einem gewissen Grade wenigstens entgegenzukommen, wenn es eben möglich gewesen wäre, wenn ihn nicht eben etwas unüberwindlich Trauriges daran gehindert hätte … Ein strenges Wort, ein Klopfen mit der Gabel auf den Messerblock von seiten seines Vaters schreckte ihn auf. Er warf einen Blick auf seine Mutter und Ida und versuchte zu sprechen; aber schon die ersten Silben wurden von Schluchzen erstickt; es ging nicht. »Genug!« rief der Senator zornig. »Schweig! Ich will gar nichts mehr hören! Du brauchst nichts herzusagen! Du darfst stumm und dumm vor dich hinbrüten dein Lebtag!« Und in schweigsamer Mißstimmung ward die Mahlzeit zu Ende geführt.
 
Diese träumerische Schwäche aber, dieses Weinen, dieser vollständige Mangel an Frische und Energie war der Punkt, an dem der Senator einsetzte, wenn er gegen Hannos leidenschaftliche Beschäftigung mit der Musik Bedenken erhob.
 
Hannos Gesundheit war immer zart gewesen. Besonders seine Zähne hatten von jeher die Ursache von mancherlei schmerzhaften Störungen und Beschwerden ausgemacht. Das Hervorbrechen der Milchzähne mit seiner Gefolgschaft von Fieber und Krämpfen hatte ihm beinah das Leben gekostet, und dann hatte sein Zahnfleisch stets zur Entzündung und zur Bildung von Geschwüren geneigt, die Mamsell Jungmann, wenn sie reif waren, mit einer Stecknadel zu öffnen pflegte. Jetzt, zur Zeit des Zahnwechsels, waren die Leiden noch größer. Schmerzen kamen, die fast über Hannos Kräfte gingen, und schlaflos, unter leisem Stöhnen und Weinen in einem matten Fieber, das keine andere Ursache als eben den Schmerz hatte, verbrachte er ganze Nächte. Die Zähne, die äußerlich so schön und weiß wie die seiner Mutter, dabei aber außerordentlich weich und verletzlich waren, wuchsen falsch, sie bedrängten einander, und damit allen diesen Übelständen gesteuert würde, mußte der kleine Johann einen furchtbaren Menschen in sein junges Leben eintreten sehen: Herrn Brecht, den Zahnarzt Brecht in der Mühlenstraße …
 
Schon der Name dieses Mannes gemahnte gräßlich an jenes Geräusch, das im Kiefer entsteht, wenn mit Ziehen, Drehen und Heben die Wurzeln eines Zahnes herausgebrochen werden, und ließ Hannos Herz sich in der Angst zusammenziehen, die er erlitt, wenn er, gegenüber der treuen Ida Jungmann, im Wartezimmer des Herrn Brecht in einem Lehnstuhl kauerte und, während er die scharf riechende Luft dieser Räumlichkeiten atmete, illustrierte Journale besah, bis der Zahnarzt mit seinem ebenso höflichen wie grauenerregenden »Bitte« in der Tür des Operationszimmers erschien …
 
Eine Anziehungskraft, einen seltsamen Reiz besaß dieses Wartezimmer, und das war ein stattlicher bunter Papagei mit giftigen kleinen Augen, der in einem Winkel inmitten eines Messingbauers saß und aus unbekannten Gründen Josephus hieß. Mit der Stimme eines wütenden alten Weibes pflegte er zu sagen: »Nehmen Sie Platz … Einen Momang …« und obgleich dies unter den obwaltenden Umständen wie ein abscheulicher Hohn klang, war Hanno Buddenbrook ihm mit einem Gemisch von Liebe und Grauen zugetan. Ein Papagei … ein großer, bunter Vogel, welcher Josephus hieß und reden konnte! War er nicht wie entwischt aus einem Zauberwalde, aus einem der Grimmschen Märchen, die Ida zu Hause vorlas?… Auch das »Bitte«, mit dem Herr Brecht die Tür öffnete, wiederholte Josephus aufs eindringlichste, und so geschah es, daß man seltsamerweise lachend das Operationszimmer betrat und sich auf den großen, unheimlich konstruierten Stuhl am Fenster setzte, neben dem die Tretmaschine stand.
 
Was Herrn Brecht persönlich betraf, so sah er ganz ähnlich aus wie Josephus, denn ebenso hart und krumm bog seine Nase sich auf den schwarz und grau melierten Schnurrbart hinab, wie der Schnabel des Papageis. Das Schlimme aber, das eigentlich Entsetzliche an ihm bestand darin, daß er nervös und selbst den Qualen nicht gewachsen war, die zuzufügen sein Amt ihn zwang. »Wir müssen zur Extraktion schreiten, Fräulein«, sagte er zu Ida Jungmann und erblich. Dann, wenn Hanno in einem matten, kalten Schweiße und mit übergroßen Augen, unfähig, zu protestieren, unfähig, davonzulaufen, in einem Seelenzustand, der sich absolut durch nichts von dem eines hinzurichtenden Delinquenten unterschied, Herrn Brecht, die Zange im Ärmel, auf sich zukommen sah, so konnte er bemerken, daß auf der kahlen Stirn des Zahnarztes kleine Schweißtropfen perlten, und daß sein Mund ebenfalls von Angst verzogen war … Und wenn der abscheuliche Vorgang vorüber, wenn Hanno, bleich, zitternd, mit tränenden Augen und entstelltem Gesicht, sein Blut in die blaue Schale zu seiner Seite spie, so mußte Herr Brecht einen Augenblick irgendwo Platz nehmen, sich die Stirn trocknen und ein wenig Wasser trinken …
 
Man versicherte den kleinen Johann, daß dieser Mann ihm viel Gutes tue und ihn vor vielen noch größeren Schmerzen bewahre; aber wenn Hanno die Pein, die Herr Brecht ihm zugefügt, mit dem positiven und fühlbaren Vorteil verglich, den er ihm verdankte, so überwog die erstere zu sehr, als daß er nicht alle diese Besuche in der Mühlenstraße zu den schlimmsten aller unnützen Qualen hätte rechnen müssen. Im Hinblick auf die Weisheitszähne, die dermaleinst kommen würden, mußten vier Backzähne, die soeben, weiß, schön und noch vollkommen gesund herangewachsen waren, entfernt werden, und das nahm, da man das Kind nicht überanstrengen wollte, vier Wochen in Anspruch. Was für eine Zeit! Diese langgezogene Marter, in der schon die Angst vor dem Bevorstehenden wieder einsetzte, wenn noch die Erschöpfung nach dem Überstandenen herrschte, ging zu weit. Als der letzte Zahn gezogen war, lag Hanno acht Tage lang krank, und zwar aus reiner Ermattung.
 
Übrigens beeinflußten diese Zahnbeschwerden nicht nur seine Gemütsstimmung, sondern auch die Funktionen einzelner Organe. Die Behinderungen beim Kauen hatten immer wieder Verdauungsstörungen, ja auch Anfälle von gastrischem Fieber zur Folge, und diese Magenverstimmungen standen im Zusammenhange mit vorübergehenden Anfällen von verstärktem oder geschwächtem unregelmäßigen Herzschlag und Schwindelgefühlen. Bei all dem bestand unvermindert, ja verstärkt, das seltsame Leiden fort, das Doktor Grabow »pavor nocturnus« nannte. Kaum eine Nacht verging, ohne daß der kleine Johann ein- oder zweimal emporfuhr und händeringend, mit allen Anzeichen der unerträglichsten Angst nach Hilfe oder Erbarmen rief, als stände er in Flammen, als wollte man ihn erwürgen, als geschähe etwas unsäglich Grauenhaftes … Am Morgen wußte er nichts mehr von allem. – Doktor Grabow suchte dieses Leiden mit einem abendlichen Trunk von Heidelbeersaft zu behandeln; allein das half ganz und gar nichts.
 
Die Hemmungen, denen Hannos Körper unterworfen war, die Schmerzen, die er erlitt, verfehlten nicht, in ihm jenes ernsthafte Gefühl vorzeitiger Erfahrenheit hervorzurufen, das man Altklugheit nennt, und wenn es auch, gleichsam als würde es von einer überwiegenden Begabung mit gutem Geschmacke niedergehalten, nicht oft und durchaus nicht aufdringlich zutage trat, so äußerte es sich doch hie und da in Form einer wehmütigen Überlegenheit … »Wie geht es dir, Hanno?« fragte jemand von seinen Verwandten, seine Großmutter, die Damen Buddenbrook aus der Breiten Straße … und ein kleines, resigniertes Emporziehen des Mundes, ein Zucken seiner vom blauen Matrosenkragen bedeckten Achseln war die ganze Antwort.
 
»Gehst du gern zur Schule?«
 
»Nein«, antwortete Hanno ruhig und mit einer Offenheit, welche angesichts ernsterer Dinge es nicht der Mühe wert erachtet, in solchen Angelegenheiten zu lügen.
 
»Nicht? Oh! Man muß aber doch lernen: Schreiben, Rechnen, Lesen …«
 
»Und so weiter«, sagte der kleine Johann.
 
Nein, er ging nicht gern in die alte Schule, diese ehemalige Klosterschule mit Kreuzgängen und gotisch gewölbten Klassenzimmern. Fehlen wegen Unwohlseins und gänzliche Unaufmerksamkeit, wenn seine Gedanken bei irgendeiner harmonischen Verbindung oder den noch unenträtselten Wundern eines Musikstückes weilten, das er von seiner Mutter und Herrn Pfühl gehört, förderten ihn nicht eben in den Wissenschaften, und die Hilfslehrer und Seminaristen, die ihn in diesen unteren Klassen unterrichteten, und deren gesellschaftliche Unterlegenheit, geistige Gedrücktheit und körperliche Ungepflegtheit er empfand, flößten ihm neben der Furcht vor Strafe eine heimliche Mißachtung ein. Herr Tietge, der Rechenlehrer, ein kleiner Greis in fettigem schwarzen Rock, der schon zur Zeit des verstorbenen Marcellus Stengel im Dienste der Anstalt gewirkt hatte, und der auf eine unmögliche Weise in sich hineinschielte, was er durch Brillengläser, rund und dick wie Schiffsluken, zu korrigieren suchte, – Herr Tietge gemahnte den kleinen Johann in jeder Stunde, wie fleißig und scharfsinnig sein Vater stets beim Rechnen gewesen sei … Beständig nötigten Herrn Tietge starke Hustenanfälle, den Boden des Katheders mit seinem Auswurf zu bedecken.
 
Hannos Verhältnis zu seinen kleinen Kameraden war im allgemeinen ganz fremder und äußerlicher Natur; nur mit einem von ihnen verknüpfte ihn, und zwar seit den ersten Schultagen, ein festes Band, und das war ein Kind von vornehmer Herkunft, aber gänzlich verwahrlostem Äußeren, ein Graf Mölln mit dem Vornamen Kai.
 
Es war ein Junge von Hannos Statur, aber nicht wie dieser mit einem dänischen Matrosenhabit, sondern mit einem ärmlichen Anzug von unbestimmter Farbe bekleidet, an dem hie und da ein Knopf fehlte, und der am Gesäß einen großen Flicken zeigte. Seine Hände, die aus den zu kurzen Ärmeln hervorsahen, erschienen imprägniert mit Staub und Erde und von unveränderlich hellgrauer Farbe, aber sie waren schmal und außerordentlich fein gebildet, mit langen Fingern und langen, spitz zulaufenden Nägeln. Und diesen Händen entsprach der Kopf, welcher, vernachlässigt, ungekämmt und nicht sehr reinlich, von Natur mit allen Merkmalen einer reinen und edlen Rasse ausgestattet war. Das flüchtig in der Mitte gescheitelte, rötlichgelbe Haar war von einer alabasterweißen Stirn zurückgestrichen, unter welcher, tief und scharf zugleich, hellblaue Augen blitzten. Die Wangenknochen traten ein wenig hervor, und die Nase, mit zarten Nüstern und schmalem, ganz leicht gebogenem Rücken, war, wie der Mund mit etwas geschürzter Oberlippe, schon jetzt von charakteristischem Gepräge.
 
Hanno Buddenbrook hatte den kleinen Grafen schon vor Beginn der Schulzeit zwei- oder dreimal ganz flüchtig zu sehen bekommen, und zwar auf Spaziergängen, die er mit Ida gen Norden durchs Burgtor hinaus gemacht. Dort nämlich, weit draußen, unfern des ersten Dorfes, war irgendwo ein kleines Gehöft, ein winziges, fast wertloses Anwesen, das überhaupt keinen Namen hatte. Man gewann, blickte man hin, den Eindruck eines Misthaufens, einer Anzahl Hühner, einer Hundehütte und eines armseligen, katenartigen Gebäudes, mit tief hinunterreichendem, rotem Dache. Dies war das Herrenhaus, und dort wohnte Kais Vater, Eberhard Graf Mölln.
 
Er war ein Sonderling, den selten jemand zu sehen bekam, und der, beschäftigt mit Hühner-, Hunde- und Gemüsezucht, abgeschieden von aller Welt auf seinem kleinen Gehöfte hauste: ein großer Mann mit Stulpenstiefeln, einer grünen Friesjoppe, kahlem Kopfe, einem ungeheuren ergrauten Rübezahlbarte, einer Reitpeitsche in der Hand, obgleich er durchaus kein Pferd besaß, und einem unter der buschigen Braue ins Auge geklemmten Monokel. Es gab, außer ihm und seinem Sohne, weit und breit keinen Grafen Mölln mehr im Lande. Die einzelnen Zweige der ehemals reichen, mächtigen und stolzen Familie waren nach und nach verdorrt, abgestorben und vermodert, und nur eine Tante des kleinen Kai, mit der sein Vater aber nicht in Korrespondenz stand, war noch am Leben. Sie veröffentlichte unter einem abenteuerlichen Pseudonym Romane in Familienblättern. – Was den Grafen Eberhard betraf, so erinnerte man sich, daß er, um sich vor allen Störungen durch Anfragen, Angebote und Bettelei zu schützen, während längerer Zeit, nachdem er das Anwesen vorm Burgtor bezogen, ein Schild an seiner niedrigen Haustür geführt hatte, auf dem zu lesen gewesen: »Hier wohnt Graf Mölln ganz allein, braucht nichts, kauft nichts und hat nichts zu verschenken.« Als das Schild seine Wirkung getan und niemand ihn mehr belästigte, hatte er es wieder entfernt.
 
Mutterlos – denn die Gräfin war an seiner Geburt gestorben, und irgendein ältliches Frauenzimmer führte das Hauswesen – war der kleine Kai hier wild wie ein Tier unter den Hühnern und Hunden herangewachsen, und hier hatte – von fern und mit großer Scheu – Hanno Buddenbrook ihn gesehen, wie er gleich einem Kaninchen im Kohle umhersprang, sich mit jungen Hunden balgte und mit seinen Purzelbäumen die Hühner erschreckte.
 
In der Schulstube hatte er ihn wiedergefunden, und seine Scheu vor dem verwilderten Äußeren des kleinen Grafen hatte wohl anfangs fortbestanden. Aber nicht lange, so hatte ein sicherer Instinkt ihn die unsoignierte Hülle durchschauen lassen, hatte ihn auf diese weiße Stirn, diesen schmalen Mund, diese länglich geschnittenen, hellblauen Augen achten lassen, die mit einer Art zorniger Befremdung dareingeblickt hatten, und eine große Sympathie für diesen Kameraden unter allen übrigen hatte ihn ganz erfüllt. Dennoch war er viel zu zurückhaltend, als daß er den Mut gefunden hätte, die Freundschaft einzuleiten, und ohne die rücksichtslose Initiative des kleinen Kai wären die beiden einander wohl fremd geblieben. Ja, das leidenschaftliche Tempo, mit dem Kai sich ihm genähert, hatte den kleinen Johann anfangs sogar erschreckt. Dieser kleine, verwahrloste Gesell hatte mit einem Feuer, einer stürmisch aggressiven Männlichkeit um die Gunst des stillen, elegant gekleideten Hanno geworben, der gar nicht zu widerstehen gewesen war. Zwar konnte er ihm beim Unterricht nicht behilflich sein, denn seinem ungezähmten und frei umherschweifenden Sinn war das Einmaleins etwas ebenso Abscheuliches wie dem träumerisch abwesenden des kleinen Buddenbrook; aber er hatte ihn mit allem beschenkt, was sein gewesen war, mit Glaskugeln, Holzkreiseln und sogar mit einer kleinen, verbogenen Blechpistole, obgleich sie das Beste war, was er besaß … Hand in Hand mit ihm, in den Pausen, hatte er ihm von seinem Heim, von den jungen Hunden und Hühnern erzählt, und hatte ihn mittags, obgleich stets Ida Jungmann, ein Päckchen belegten Butterbrotes in der Hand, ihren Pflegling vor der Schultür zum Spazierengehen erwartete, so weit wie möglich begleitet. Bei dieser Gelegenheit hatte er erfahren, daß der kleine Buddenbrook zu Hause Hanno genannt wurde, und sofort hatte er sich dieses Kosenamens bemächtigt, um seinen Freund nun nie mehr anders zu nennen.
 
Eines Tages hatte er verlangt, daß Hanno, statt nach dem Mühlenwall, mit ihm nach seines Vaters Besitz spazierengehe, um neugeborene Meerschweinchen zu besehen, und Fräulein Jungmann hatte endlich den Bitten der beiden nachgegeben. Sie waren nach dem gräflichen Anwesen hinausgewandert, hatten den Misthaufen, das Gemüse, die Hunde, Hühner und Meerschweinchen in Augenschein genommen und waren schließlich auch in das Haus eingetreten, woselbst in einem niedrigen, langgestreckten Raume zu ebener Erde Graf Eberhard, ein Bild trotziger Vereinsamung, lesend an einem schweren Bauerntisch gesessen und unwirsch nach dem Begehren gefragt hatte …
 
Ida Jungmann war nicht zu bewegen gewesen, diesen Besuch zu wiederholen; vielmehr hatte sie darauf bestanden, daß, wollten die beiden beieinander sein, Kai lieber Hanno besuchen sollte, und so hatte der kleine Graf denn zum ersten Male mit aufrichtiger Bewunderung, aber doch ohne Scheu das prachtvolle Vaterhaus seines Freundes betreten. Von da an hatte er oft und öfter sich eingestellt, und nun konnte nur im Winter hoch liegender Schnee ihn hindern, den weiten Weg am Nachmittage noch einmal zurückzulegen, um ein paar Stunden bei Hanno Buddenbrook zu verbringen.
 
Man saß in dem großen Kinderzimmer im zweiten Stockwerk zusammen und erledigte seine Schularbeiten. Es gab da lange Rechenaufgaben zu lösen, die, nachdem man beide Seiten der Schiefertafel mit Additionen, Subtraktionen, Multiplikationen und Divisionen bedeckt hatte, am Ende und als Resultat ganz einfach Null ergeben mußten – wo nicht, so steckte irgendwo ein Fehler, der gesucht, gesucht werden mußte, bis man das kleine bösartige Tier gefunden hatte und vertilgen konnte: und hoffentlich steckte er nicht zu hoch, weil sonst beinahe das Ganze noch einmal geschrieben werden mußte. Ferner galt es, sich mit deutscher Grammatik zu beschäftigen, die Kunst der Komparation zu erlernen und ganz reinlich und gradlinig Betrachtungen untereinander zu schreiben, wie zum Beispiel: »Horn ist durchsichtig, Glas ist durchsichtiger, Luft ist am durchsichtigsten.« Worauf man sein Diktatheft zur Hand nahm, um Sätze zu studieren wie diesen: »Unsere Hedwig ist zwar sehr willig, aber den Kehricht auf dem Estrich fegt sie niemals ordentlich zusammen.« Bei dieser Übung voller Versuchungen und Fußangeln hatte die Absicht bestanden, daß man Hedwig, willig und fegt mit einem ch, Estrich mit g und Kehricht womöglich ebenfalls mit einem g schreiben sollte, und das hatte man denn auch gründlich besorgt, weshalb nun die Korrektur vorgenommen werden mußte. War aber alles fertig, so packte man ein und setzte sich auf das Fensterbrett, um Ida vorlesen zu hören.
 
Die gute Seele las vom Katerlieschen, von dem, der auszog, das Fürchten zu lernen, von Rumpelstilzchen, Rapunzel und Froschkönig – mit tiefer, geduldiger Stimme und halb geschlossenen Augen, denn sie sagte die Märchen, die sie in ihrem Leben schon allzuoft gelesen, beinahe ganz aus dem Kopfe her, und dabei schlug sie mechanisch die Blätter mit dem benetzten Zeigefinger um.
 
Bei dieser Unterhaltung aber geschah das Merkwürdige, daß in dem kleinen Kai sich das Bedürfnis zu regen und auszubilden begann, es dem Buche gleichzutun und selbst etwas zu erzählen, und das war um so erwünschter, als man die gedruckten Märchen allmählich alle kannte, und auch Ida sich dann und wann ein wenig ausruhen mußte. Kais Geschichten waren anfangs kurz und einfach, wurden dann aber kühner und komplizierter und gewannen an Interesse dadurch, daß sie nicht gänzlich in der Luft standen, sondern von der Wirklichkeit ausgingen und diese in ein seltsames und geheimnisvolles Licht rückten … Besonders gern vernahm Hanno die Erzählung von einem bösen, aber außerordentlich mächtigen Zauberer, der einen schönen und hochbegabten Prinzen mit Namen Josephus in der Gestalt eines bunten Vogels bei sich gefangen halte und alle Menschen mit seinen tückischen Künsten quäle. Schon aber wachse in der Ferne der Auserwählte heran, welcher dereinst an der Spitze einer unwiderstehlichen Armee von Hunden, Hühnern und Meerschweinchen gegen den Zauberer furchtlos zu Felde ziehen und den Prinzen, sowie die ganze Welt, besonders aber Hanno Buddenbrook vermittels eines Schwertstreiches von ihm erlösen werde. Dann werde, befreit und entzaubert, Josephus in sein Reich zurückkehren, König werden und Hanno sowohl wie Kai zu sehr hohen Würden emporsteigen lassen …
 
Senator Buddenbrook, der hie und da, wenn er das Kinderzimmer passierte, die Freunde beisammen sah, hatte gegen diesen Verkehr nichts einzuwenden, denn es war leicht zu beobachten, daß die beiden einander vorteilhaft beeinflußten. Hanno wirkte besänftigend, zähmend und geradezu veredelnd auf Kai, der ihn zärtlich liebte, die Weiße seiner Hände bewunderte und sich ihm zuliebe die seinen von Fräulein Jungmann mit Bürste und Seife behandeln ließ. Und wenn Hanno seinerseits ein wenig Frische und Wildheit von dem kleinen Grafen empfing, so war das mit Freude zu begrüßen, denn Senator Buddenbrook verhehlte sich nicht, daß die beständige weibliche Obhut, unter welcher der Junge stand, nicht eben geeignet war, die Eigenschaften der Männlichkeit in ihm anzureizen und zu entwickeln.
 
Die Treue und Hingebung der guten Ida Jungmann, die nun schon länger als drei Jahrzehnte den Buddenbrooks diente, war ja mit Gold nicht zu bezahlen. Sie hatte die vorhergehende Generation mit Aufopferung gehegt und gepflegt: Hanno aber trug sie auf Händen, sie hüllte ihn gänzlich in Zärtlichkeit und Sorgfalt ein, sie liebte ihn abgöttisch und ging in ihrem naiven und unerschütterlichen Glauben an seine absolut bevorzugte und bevorrechtigte Stellung in der Welt oftmals bis zum Absurden. Sie war, galt es, für ihn zu handeln, von erstaunlicher und manchmal peinlicher Unverfrorenheit. Gelegentlich eines Einkaufs beim Konditor zum Beispiel unterließ sie es niemals, sehr ungeniert in die ausgestellten Schalen hineinzugreifen, um ihm diese oder jene Süßigkeit zuzustecken, ohne dafür zu bezahlen – denn konnte der Mann sich nicht nur geehrt fühlen? Und vor einem umlagerten Schaufenster war sie sofort bei der Hand, die Leute in ihrem westpreußischen Dialekt freundlich, aber entschieden um Platz für ihren Schützling zu ersuchen. Ja, er war in ihren Augen etwas so ganz Besonderes, daß sie kaum je ein anderes Kind würdig gehalten hatte, mit ihm in Berührung zu kommen. Was den kleinen Kai betraf, so war die beiderseitige Zuneigung stärker gewesen als ihr Mißtrauen; auch hatte der Name sie ein wenig bestochen. Gesellten sich aber auf dem Mühlenwall, wenn sie sich mit Hanno auf einer Bank niedergelassen hatte, andere Kinder mit ihrer Begleitung zu ihnen, so erhob Fräulein Jungmann sich beinahe sogleich und ging unter irgendeinem Vorwande von Verspätung oder Zugwind von dannen. Die Erklärungen, die sie dem kleinen Johann dafür zuteil werden ließ, waren geeignet, in ihm die Vorstellung zu erwecken, als seien alle seine Altersgenossen mit Skrofeln und »Bösen Säften« schwer behaftet, – nur er nicht. Und das trug nicht gerade dazu bei, seine sowieso schon mangelnde Zutraulichkeit und Unbefangenheit zu stärken.
 
Senator Buddenbrook wußte von solchen Einzelheiten nicht; aber er sah, daß die Entwicklung seines Sohnes von Natur und infolge äußerer Einflüsse vorläufig keineswegs die Richtung einschlug, die er ihr zu geben wünschte. Hätte er seine Erziehung in die Hand nehmen, täglich und stündlich auf seinen Geist wirken können! Aber die Zeit fehlte ihm dazu, und mit Schmerz mußte er sehen, wie gelegentliche Versuche dazu kläglich mißlangen und das Verhältnis zwischen Vater und Kind nur kälter und fremder machten. Ein Bild schwebte ihm vor, nach dem er seinen Sohn zu modeln sich sehnte: das Bild von Hannos Urgroßvater, wie er selbst ihn als Knabe gekannt – ein heller Kopf, jovial, einfach, humoristisch und stark … Konnte er so nicht werden? War das unmöglich? Und warum?… Hätte er wenigstens die Musik unterdrücken und verbannen können, die den Jungen dem praktischen Leben entfremdete, seiner körperlichen Gesundheit sicherlich nicht nützlich war und seine Geisteskräfte absorbierte! Grenzte sein träumerisches Wesen nicht manchmal geradezu an Unzurechnungsfähigkeit?
 
Eines Nachmittags war Hanno drei Viertelstunden vorm Essen, das um vier Uhr stattfand, allein in die erste Etage hinabgestiegen. Er hatte eine Zeitlang am Flügel geübt und hielt sich nun müßig im Wohnzimmer auf. Halb liegend saß er auf der Chaiselongue, nestelte an dem Schifferknoten auf seiner Brust, und indem seine Augen, ohne etwas zu suchen, seitwärts glitten, gewahrte er auf dem zierlichen Nußholzschreibtisch seiner Mutter eine offene Ledermappe – die Mappe mit den Familienpapieren. Er stützte den Ellbogen auf das Rückenpolster und das Kinn in die Hand und betrachtete die Sachen ein Weilchen aus der Ferne. Ohne Zweifel hatte Papa sich heute nach dem zweiten Frühstück damit beschäftigt und sie zu weiterem Gebrauche liegenlassen. Eines stak in der Mappe, lose Blätter, die draußen lagen, waren vorläufig mit einem metallenen Lineal beschwert, das große Schreibheft mit goldnem Schnitt und verschiedenartigem Papier lag offen da.
 
Hanno glitt nachlässig von der Ottomane hinunter und ging zum Schreibtisch. Das Buch war an jener Stelle aufgeschlagen, wo in den Handschriften mehrerer seiner Vorfahren und zuletzt in der seines Vaters der ganze Stammbaum der Buddenbrooks mit Klammern und Rubriken in übersichtlichen Daten geordnet war. Mit einem Bein auf dem Schreibsessel kniend, das weichgewellte hellbraune Haar in die flache Hand gestützt, musterte Hanno das Manuskript ein wenig von der Seite, mit dem mattkritischen und ein bißchen verächtlichen Ernste einer vollkommenen Gleichgültigkeit und ließ seine freie Hand mit Mamas Federhalter spielen, der halb aus Gold und halb aus Ebenholz bestand. Seine Augen wanderten über all diese männlichen und weiblichen Namen hin, die hier unter- und nebeneinander standen, zum Teile in altmodisch verschnörkelter Schrift mit weit ausladenden Schleifen, in gelblich verblaßter oder stark aufgetragener schwarzer Tinte, an der Reste von Goldstreusand klebten … Er las auch, ganz zuletzt, in Papas winziger, geschwind über das Papier eilender Schrift, unter denen seiner Eltern seinen eigenen Namen – Justus, Johann, Kaspar, geb. d. 15. April 1861 –, was ihm einigen Spaß machte, richtete sich dann ein wenig auf, nahm mit nachlässigen Bewegungen Lineal und Feder zur Hand, legte das Lineal unter seinen Namen, ließ seine Augen noch einmal über das ganze genealogische Gewimmel hingleiten: und hierauf, mit stiller Miene und gedankenloser Sorgfalt, mechanisch und verträumt, zog er mit der Goldfeder einen schönen, sauberen Doppelstrich quer über das ganze Blatt hinüber, die obere Linie ein wenig stärker als die untere, so, wie er jede Seite seines Rechenheftes verzieren mußte … Dann legte er einen Augenblick prüfend den Kopf auf die Seite und wandte sich ab.
 
Nach Tische rief der Senator ihn zu sich und herrschte ihn mit zusammengezogenen Brauen an.
 
»Was ist das. Woher kommt das. Hast du das getan?«
 
Er mußte sich einen Augenblick besinnen, ob er es getan habe, und dann sagte er schüchtern und ängstlich: »Ja.« »Was heißt das! Was ficht dich an! Antworte! Wie kommst du zu dem Unfug!« rief der Senator, indem er mit dem leicht zusammengerollten Heft auf Hannos Wange schlug.
 
Und der kleine Johann, zurückweichend, stammelte, indem er mit der Hand nach seiner Wange fuhr: »Ich glaubte … ich glaubte … es käme nichts mehr …« 

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