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Buddenbrooks-Achter Teil-Erstes Kapitel
日期:2022-03-21 14:19  点击:210
Wenn Herr Hugo Weinschenk, seit einiger Zeit Direktor im Dienste der städtischen Feuerversicherungsgesellschaft, mit seinem geschlossenen Leibrock, seinem schmalen, schwarzen, auf männliche und ernste Art in die Mundwinkel hineingewachsenen Schnurrbart und seiner etwas hängenden Unterlippe, wiegenden und selbstbewußten Schrittes über die große Diele schritt, um sich von den vorderen Büros in die hinteren zu begeben, wobei er seine beiden Fäuste vor sich hertrug und die Ellenbogen in legerer Weise an den Seiten bewegte, bot er das Bild eines tätigen, wohlsituierten und imponierenden Mannes.
 
Andererseits war Erika Grünlich, nun zwanzigjährig: ein großes, erblühtes Mädchen, frischfarbig und hübsch vor Gesundheit und Kraft. Führte der Zufall sie die Treppe hinab oder an das obere Geländer, wenn eben Herr Weinschenk des Weges kam – und der Zufall tat dies nicht selten – so nahm der Direktor den Zylinder von seinem kurzen, schwarzen Haupthaar, das an den Schläfen schon zu ergrauen begann, wiegte sich stärker in der Taille seines Gehrockes und begrüßte das junge Mädchen mit einem erstaunten und bewundernden Blick seiner kühn umherschweifenden, braunen Augen … worauf Erika davonlief, sich irgendwo auf eine Fensterbank setzte und vor Ratlosigkeit und Verwirrung eine Stunde lang weinte.
 
Fräulein Grünlich war unter Therese Weichbrodts Obhut in Züchten herangewachsen, und ihre Gedanken gingen nicht weit. Sie weinte über Herrn Weinschenks Zylinder, die Art, mit der er bei ihrem Anblick seine Brauen emporzucken und wieder fallen ließ, seine höchst königliche Haltung und seine balancierenden Fäuste. Ihre Mutter inzwischen, Frau Permaneder, sah weiter.
 
Die Zukunft ihrer Tochter bekümmerte sie seit Jahren, denn Erika war, verglichen mit anderen heiratsfähigen Mädchen, ja im Nachteile. Frau Permaneder verkehrte nicht nur nicht in der Gesellschaft, sie lebte in Feindschaft mit ihr. Die Annahme, daß man sie in den ersten Kreisen auf Grund ihrer zweimaligen Scheidung als minderwertig betrachte, war ihr ein wenig zur fixen Idee geworden, und sie sah Verachtung und Gehässigkeit da, wo wahrscheinlich oft nichts als Gleichgültigkeit vorhanden war. Wahrscheinlich zum Beispiel würde Konsul Hermann Hagenström, dieser freisinnige und loyale Kopf, den der Reichtum heiter und wohlwollend machte, sie auf der Straße gegrüßt haben, wenn der Blick, mit dem sie zurückgeworfenen Hauptes an seinem Gesichte vorbeisah, diesem »Gänseleberpastetengesicht«, das sie, mit einem ihrer starken Worte, »haßte wie die Pest«, es ihm nicht aufs strengste verboten hätte. So kam es, daß auch Erika der Sphäre ihres Onkels, des Senators, durchaus fern stand, daß sie keine Bälle besuchte und, Herrenbekanntschaften zu machen, sich ihr wenig Gelegenheit bot.
 
Dennoch war es, besonders seit sie selbst, wie sie sagte, »abgewirtschaftet« hatte, Frau Antonies heißester Wunsch, daß ihre Tochter die Hoffnungen erfüllen möge, die ihr, der Mutter, fehlgeschlagen, und eine Heirat machen, welche, vorteilhaft und glücklich, der Familie zur Ehre gereichen, und die Schicksale der Mutter vergessen lassen würde. In erster Linie ihrem älteren Bruder gegenüber, der in letzter Zeit so geringe Hoffnungsfreudigkeit an den Tag legte, sehnte Tony sich nach einem Beweise, daß das Glück der Familie noch nicht erschöpft, daß sie keineswegs schon am Ende angelangt sei … Ihre zweite Mitgift, die 17000 Taler, die Herr Permaneder mit so viel Kulanz wieder herausgegeben hatte, lagen für Erika bereit, und kaum hatte Frau Antonie, scharfäugig und erfahren, die zarte Verbindung bemerkt, die sich zwischen ihrer Tochter und dem Direktor angesponnen hatte, als sie schon den Himmel mit Gebeten anzugehen begann, Herr Weinschenk möge Visite machen.
 
Er tat es. Er erschien in der ersten Etage, ward von den drei Damen, Großmutter, Tochter und Enkelin, empfangen, plauderte zehn Minuten lang und versprach, nachmittags um die Kaffeezeit einmal zu zwangloser Unterhaltung wiederzukommen.
 
Auch das geschah, und man lernte einander kennen. Der Direktor war aus Schlesien gebürtig, woselbst sein alter Vater noch lebte; seine Familie indes schien nicht in Betracht zu kommen, und Hugo Weinschenk vielmehr ein self-made man zu sein. Er besaß das nicht angeborene, nicht ganz sichere, etwas übertriebene und etwas mißtrauische Selbstbewußtsein eines solchen, seine Formen waren nicht eben vollkommen, und seine Konversation von Herzen ungewandt. Übrigens zeigte sein etwas kleinbürgerlich geschnittener Gehrock einige blanke Stellen, seine Manschetten mit den großen Jettknöpfen waren nicht ganz frisch und sauber, und am Mittelfinger der linken Hand war infolge irgendeines Unglücksfalles der Nagel völlig verdorrt und kohlschwarz … ein ziemlich unerfreulicher Anblick, der aber nicht hinderte, daß Hugo Weinschenk ein hochachtungswerter, fleißiger, energischer Mensch mit 12000 Kurantmark jährlicher Einkünfte und in Erika Grünlichs Augen sogar ein schöner Mann war.
 
Frau Permaneder hatte rasch die Lage überblickt und abgeschätzt. Sie sprach sich gegen die Konsulin und den Senator offen darüber aus. Es war klar, daß die Interessen sich entgegenkamen und sich ergänzten. Direktor Weinschenk war, wie Erika, ohne jegliche gesellschaftliche Verbindung; die beiden waren geradezu aufeinander angewiesen und von Gott ersichtlich füreinander bestimmt. Wollte der Direktor, der sich den Vierzig näherte, und dessen Haupthaar sich zu melieren begann, einen Hausstand gründen, was seiner Stellung zukam und seinen Verhältnissen entsprach, so eröffnete ihm die Verbindung mit Erika Grünlich den Eintritt in eine der ersten Familien der Stadt und war geeignet, ihn in seinem Berufe zu fördern, in seiner Position zu befestigen. Was aber Erikas Wohlfahrt betraf, so durfte Frau Permaneder sich sagen, daß wenigstens ihre eigenen Schicksale in diesem Falle ausgeschlossen seien. Mit Herrn Permaneder wies Hugo Weinschenk nicht die geringste Ähnlichkeit auf, und von Bendix Grünlich unterschied er sich durch seine Eigenschaft als solid situierter Beamter mit festem Gehalt, die eine weitere Karriere nicht ausschloß.
 
Mit einem Worte: es war auf beiden Seiten viel guter Wille vorhanden, die Nachmittagsbesuche Direktor Weinschenks wiederholten sich in rascher Folge, und im Januar – dem Januar des Jahres 1867 – gestattete er sich, mit einigen kurzen, männlichen und geraden Worten um Erika Grünlichs Hand zu bitten.
 
Von nun an gehörte er zur Familie, begann an den »Kindertagen« teilzunehmen und ward von den Angehörigen seiner Braut mit Zuvorkommenheit aufgenommen. Ohne Zweifel empfand er sofort, daß er unter ihnen nicht recht am Platze war; aber er verkleidete dies Gefühl mit einer desto kühneren Haltung, und die Konsulin, onkel Justus, Senator Buddenbrook – wenn auch nicht gerade die Damen Buddenbrook aus der Breiten Straße – waren gegenüber diesem tüchtigen Büromenschen, diesem gesellschaftlich unerfahrenen Manne der harten Arbeit zu taktvoller Nachsicht bereit.
 
Sie war vonnöten; denn immer wieder galt es, mit einem belebenden und ablenkenden Worte eine Stille zu verscheuchen, die sich an der Familientafel im Eßsaale ausbreitete, wenn etwa der Direktor sich in allzu neckischer Art mit Erikas Wangen und Armen beschäftigte, wenn er sich gesprächsweise erkundigte, ob Orangemarmelade eine Mehlspeise sei, – »Mehlschpeis'« sagte er mit kecker Betonung – oder wenn er der Meinung Ausdruck gab, »Romeo und Julia« sei ein Stück von Schiller … Dinge, die er unter sorglosem Händereiben, den Oberkörper schräg gegen die Stuhllehne zurückgeworfen, mit vieler Frische und Festigkeit hervorbrachte.
 
Am besten verständigte er sich mit dem Senator, der über Politik und Geschäftliches hin eine Unterhaltung mit ihm sicher zu steuern wußte, ohne daß ein Unglück geschah. Vollkommen verzweifelt aber gestaltete sich sein Verhältnis zu Gerda Buddenbrook. Die Persönlichkeit dieser Dame befremdete ihn in solchem Grade, daß er außerstande war, einen auch nur für zwei Minuten ausreichenden Gesprächsstoff für sie zu finden. Da er wußte, daß sie die Violine spielte, und diese Tatsache starken Eindruck auf ihn gemacht hatte, so beschränkte er sich darauf, bei jedem Zusammentreffen am Donnerstag aufs neue die scherzhafte Frage an sie zu richten: »Wie geht's der Geige?« – Nach dem dritten Male aber bereits enthielt die Senatorin sich jeder Antwort hierauf.
 
Christian seinerseits pflegte seinen neuen Verwandten mit gekrauster Nase zu beobachten und am nächsten Tage sein Benehmen und seine Sprechweise eingehend nachzuahmen. Der zweite Sohn des seligen Konsul Johann Buddenbrook war in Öynhausen von seinem Gelenkrheumatismus genesen; aber eine gewisse Steifheit der Glieder dauerte noch fort, und die periodische »Qual« in seiner linken Seite – dort, wo »alle Nerven zu kurz« waren – sowie die sonstigen Störungen, denen er sich ausgesetzt fühlte: Atmungs- und Schluckbeschwerden, Unregelmäßigkeiten des Herzens und Neigung zu Lähmungserscheinungen oder Furcht davor – waren keineswegs aus der Welt geschafft. Auch war sein Äußeres kaum dasjenige eines Mannes, der erst am Ende der Dreißiger steht. Sein Schädel war vollständig entblößt; nur am Hinterkopf und an den Schläfen stand noch ein wenig seines dünnen, rötlichen Haares, und seine kleinen, runden Augen, die mit unruhigem Ernste umherschweiften, lagen tiefer als jemals in ihren Höhlen. Gewaltiger aber auch und knochiger, als jemals, sprang seine große, gehöckerte Nase zwischen den hageren und fahlen Wangen hervor, über dem dichten, rotblonden Schnurrbart, der den Mund überhing … Und die Hose aus durablem und elegantem englischen Stoff umschlotterte seine dürren, gekrümmten Beine.
 
Seit seiner Heimkehr bewohnte er wie ehemals ein Zimmer am Korridor der ersten Etage im Hause seiner Mutter, hielt sich jedoch mehr im »Klub« als in der Mengstraße auf, denn dort wurde ihm das Leben nicht sehr angenehm gemacht. Riekchen Severin nämlich, Ida Jungmanns Nachfolgerin, die nun die Dienstboten der Konsulin regierte und den Hausstand führte, ein untersetztes, 27jähriges Geschöpf vom Lande, mit roten, gesprungenen Wangen und aufgeworfenen Lippen, hatte mit bäuerlichem Sinn für Tatsachen erkannt, daß auf diesen beschäftigungslosen Geschichtenerzähler, der abwechselnd albern und elend war, und über den die Respektsperson, der Senator, mit erhobener Augenbraue hinwegsah, nicht viel Rücksicht zu nehmen sei, und sie vernachlässigte ganz einfach seine Bedürfnisse. »Je, Herr Buddenbrook!« sagte sie. »Ich hab' nu keine Zeit für Ihnen!« Worauf Christian sie mit krauser Nase anblickte, als wollte er sagen: Schämst du dich gar nicht?… und mit steifen Gelenken seines Weges ging.
 
»Meinst du, ich habe immer eine Kerze?« sagte er zu Tony … »Selten! Meistens muß ich mit einem Streichholz zu Bette gehen …« Oder er erklärte auch – denn das Taschengeld, das seine Mutter ihm noch bewilligen konnte, war gering –: »Schlechte Zeiten!… Ja, das war früher alles anders! Was meinst du wohl?… ich muß mir jetzt oft fünf Schillinge für Zahnpulver leihen!«
 
»Christian!« rief Frau Permaneder. »Wie unwürdig! Mit einem Streichholz! Fünf Schillinge! Sprich doch wenigstens nicht davon!« Sie war entrüstet, empört, in ihren heiligsten Gefühlen beleidigt; allein das änderte nichts …
 
Die fünf Schillinge für Zahnpulver entlieh Christian von seinem alten Freunde Andreas Gieseke, Doktor beider Rechte. Er hatte Glück mit dieser Freundschaft, und sie ehrte ihn; denn der Rechtsanwalt Gieseke, dieser Suitier, der die Würde zu wahren wußte, war im vergangenen Winter, als der alte Kaspar Överdieck sanft entschlummert und Doktor Langhals an seine Stelle gerückt war, zum Senator erwählt worden. Seinen Lebenswandel aber beeinflußte das nicht. Man wußte, daß ihm, der seit seiner Verheiratung mit einem Fräulein Huneus inmitten der Stadt ein geräumiges Haus besaß, auch in der Vorstadt St. Gertrud jene kleine, grünbewachsene und behaglich ausgestattete Villa gehörte, die von einer noch jungen und außerordentlich hübschen Dame unbestimmter Herkunft ganz allein bewohnt ward. Über der Haustür prangte in zierlich vergoldeten Buchstaben das Wort »Quisisana«, und in der ganzen Stadt war das friedliche Häuschen bekannt unter diesem Namen, den man übrigens mit sehr weichen S- und sehr getrübten A-Lauten sprach. Christian Buddenbrook aber, als bester Freund des Senators Gieseke, hatte sich Zutritt verschafft in Quisisana, und er hatte dort auf die nämliche Art reüssiert wie zu Hamburg bei Aline Puvogel und bei ähnlichen Gelegenheiten in London, in Valparaiso und an so vielen anderen Punkten der Erde. Er hatte »ein bißchen erzählt«, er war »ein bißchen nett« gewesen, und er verkehrte nun in dem grünen Häuschen mit der gleichen Regelmäßigkeit wie Senator Gieseke selbst. Ob dies mit dem Wissen und Einverständnis des letzteren geschah, das steht dahin; sicher aber ist, daß Christian Buddenbrook in Quisisana ganz kostenlos dieselbe freundliche Zerstreuung fand, die Senator Gieseke mit dem schweren Gelde seiner Gattin bezahlen mußte.
 
Kurze Zeit nach der Verlobung Hugo Weinschenks mit Erika Grünlich machte der Direktor seinem Schwager den Vorschlag, in das Versicherungsbüro einzutreten, und in der Tat arbeitete Christian vierzehn Tage lang im Dienste der Brandkasse. Leider jedoch zeigte sich dann, daß nicht allein die Qual in seiner linken Seite, sondern auch seine übrigen, schwer bestimmbaren Übel sich hierdurch verstärkten, daß übrigens der Direktor ein überaus heftiger Vorgesetzter war, der gelegentlich eines Mißgriffes keinen Anstand genommen hatte, seinen Schwager einen »Seehund« zu nennen … und Christian war genötigt, diesen Posten wieder zu verlassen.
 
Was aber Madame Permaneder anging, so war sie glücklich, so äußerte ihre lichte Gemütsstimmung sich in Aperçus wie dieses, daß das irdische Leben doch hin und wieder auch seine guten Seiten habe. Wahrhaftig, sie erblühte aufs neue in diesen Wochen, die, mit ihrer belebenden Geschäftigkeit, ihren vielfältigen Plänen, ihren Wohnungssorgen und ihrem Ausstattungsfieber, sie allzu deutlich an die Zeit ihres eignen ersten Verlöbnisses gemahnten, als daß sie sie nicht verjüngt und mit grenzenloser Hoffnungsfreudigkeit erfüllt hätten. Viel von dem graziösen Übermut ihrer Mädchentage kehrte in ihre Mienen und ihre Bewegungen zurück, ja, die Stimmung eines ganzen Jerusalemsabends entweihte sie durch eine so ausgelassene Fröhlichkeit, daß selbst Lea Gerhardt das Buch ihres Vorfahren sinken ließ und mit den großen, unwissenden und mißtrauischen Augen der Tauben im Saale umherblickte …
 
Erika sollte sich von ihrer Mutter nicht trennen. Mit dem Einverständnis des Direktors, ja, auf seinen Wunsch hin, war beschlossen worden, daß Frau Antonie – wenigstens vorderhand – bei den Weinschenks wohnen, daß sie der unerfahrenen Erika im Haushalte zur Seite stehen sollte … und dies grade war es, was in ihr die köstliche Empfindung hervorrief, als hätte niemals ein Bendix Grünlich, niemals ein Alois Permaneder gelebt, als zergingen alle Mißerfolge, Enttäuschungen und Leiden ihres Lebens zu nichts, und als dürfe sie mit frischen Hoffnungen nun noch einmal von vorne beginnen. Zwar ermahnte sie Erika zur Dankbarkeit gegen Gott, der ihr den einzig geliebten Mann beschere, während sie selbst, die Mutter, ihre erste und herzliche Neigung mit Pflicht und Vernunft habe ertöten müssen; zwar war es Erikas Name, den sie zusammen mit dem des Direktors mit vor Freude unsicherer Hand in die Familienpapiere schrieb … aber sie, sie selbst, Tony Buddenbrook, war die eigentliche Braut. Sie war es, die noch einmal mit kundiger Hand Portieren und Teppiche prüfen, noch einmal Möbel- und Ausstattungsmagazine durchstöbern, noch einmal eine vornehme Wohnung besichtigen und mieten durfte! Sie war es, die noch einmal das fromme und weitläufige Elternhaus verlassen und aufhören sollte, bloß eine geschiedene Frau zu sein; der noch einmal die Möglichkeit sich auftat, ihr Haupt zu erheben und ein neues Leben zu beginnen, geeignet, die allgemeine Aufmerksamkeit zu erwecken und das Ansehen der Familie zu fördern … Ja, war es ein Traum? Schlafröcke erschienen auf der Bildfläche! Zwei Schlafröcke für sie und Erika, aus weichem, gewirktem Stoff, mit breiten Schleppen und dichten Reihen von Sammetschleifen, vom Halsverschluß bis zum Saume hinunter!
 
Die Wochen aber verstrichen, und Erika Grünlichs Brautzeit neigte sich ihrem Ende entgegen. Das junge Paar hatte in einigen wenigen Häusern Besuche gemacht, denn der Direktor, ernster und in geselligen Dingen unerfahrener Arbeitsmensch, wie er war, gedachte seine Mußestunden der intimen Häuslichkeit zu widmen … ein Verlobungsdiner hatte Thomas, Gerda, das Brautpaar, Friederike, Henriette und Pfiffi Buddenbrook mit der nächsten Freundschaft des Senators in dem großen Saale des Fischergrubenhauses vereint, wobei es wiederum befremdete, daß der Direktor nicht aufhörte, Erikas dekolletierten Hals zu klopfen … und die Hochzeit nahte heran.
 
Die Säulenhalle war, wie einst, als Frau Grünlich die Myrten trug, der Schauplatz der Trauung. Frau Stuht aus der Glockengießerstraße, dieselbe, die in den ersten Kreisen verkehrte, war der Braut beim Faltenarrangement ihres weißen Atlaskleides und beim Anlegen des grünen Schmuckes behilflich gewesen, Senator Buddenbrook war erster, und Christians Freund, Senator Gieseke, zweiter Brautführer, zwei ehemalige Pensionsfreundinnen Erikas fungierten als Brautjungfern, Direktor Hugo Weinschenk sah stattlich und männlich aus und trat, auf dem Wege zum improvisierten Altar, nur einmal auf Erikas herabwallenden Schleier, Pastor Pringsheim, die Hände unterm Kinn gefaltet, zelebrierte mit aller verklärten Feierlichkeit, die ihm eigen, und alles verlief nach Brauch und Würde. Als die Ringe gewechselt wurden, und das tiefe und das helle »Ja« – beide ein wenig heiser – in der Stille erklangen, brach Frau Permaneder, überwältigt von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in lautes Weinen aus – es war noch immer ihr unbedenkliches und unverhohlenes Kinderweinen – während die Damen Buddenbrook, von denen Pfiffi zur Feier des Tages eine goldene Kette an ihrem Pincenez trug, wie immer bei solchen Gelegenheiten ein wenig säuerlich dareinlächelten … Mlle. Weichbrodt jedoch, Therese Weichbrodt, die in den letzten Jahren noch sehr viel kleiner geworden war, als früher, Sesemi, die ovale Brosche mit dem Porträt ihrer Mutter an ihrem dünnen Hälschen, sprach mit jener übergroßen Festigkeit, welche eine tiefe innere Rührung verbergen soll: »Sei glöcklich, du gutes Kend!«
 
Dann folgte, im Kreise der weißen Götterfiguren, welche in unveränderlich gelassenen Stellungen aus der blauen Tapete hervortraten, ein ebenso solennes, wie solides Festmahl, gegen dessen Ende die Neuvermählten verschwanden, um ihre Reise durch einige Großstädte anzutreten … Das war um die Mitte des April; und während der folgenden vierzehn Tage vollbrachte Frau Permaneder, unterstützt vom Tapezierer Jacobs, eines ihrer Meisterstücke: die vornehme Herrichtung jener geräumigen ersten Etage, die in einem Hause der mittleren Bäckergrube gemietet worden war, und deren mit Blumen reichlich geputzte Räume dann das heimkehrende Paar umfingen.
 
Und es begann Tony Buddenbrooks dritte Ehe.
 
Ja, diese Bezeichnung war zutreffend, und der Senator selbst hatte eines Donnerstags, als Weinschenks nicht zugegen waren, die Sache bei diesem Namen genannt, was Frau Permaneder sich mit Behagen hatte gefallen lassen. In der Tat, alle Sorgen des Hausstandes fielen auf sie, aber auch Freude und Stolz nahm sie für sich in Anspruch, und eines Tages, als sie unversehens mit der Konsulin Julchen Möllendorpf geb. Hagenström auf der Straße zusammentraf, blickte sie ihr mit einem so triumphierenden und herausfordernden Ausdruck ins Gesicht, daß Frau Möllendorpf sich dazu verstand, zuerst zu grüßen … Stolz und Freude wurden in ihrer Miene und Haltung zur ernsten Feierlichkeit, wenn sie die Verwandten, die kamen, das neue Heim zu besichtigen, darin umherführte, während Erika Weinschenk selbst fast ebenfalls wie ein bewundernder Gast dabei erschien.
 
Die Schleppe ihres Schlafrockes hinter sich herziehend, die Schultern ein wenig emporgezogen, den Kopf zurückgelehnt und am Arme den mit Atlasschleifen besetzten Schlüsselkorb – sie schwärmte für Atlasschleifen – zeigte Frau Antonie den Besuchern die Möbel, die Portieren, das durchsichtige Porzellan, das blitzende Silberzeug, die großen Ölgemälde, die der Direktor angeschafft hatte: lauter Stilleben von Eßwaren und unbekleidete Frauengestalten, denn dies war Hugo Weinschenks Geschmack – und ihre Bewegungen schienen zu sagen: Seht, dahin habe ich es noch einmal gebracht im Leben. Es ist fast so vornehm wie bei Grünlich und sicherlich vornehmer als bei Permaneder!
 
Die alte Konsulin kam, in grau und schwarz gestreifter Seide, einen diskreten Patschuliduft um sich verbreitend, ließ ihre hellen Augen geruhig über alles hingleiten und legte, ohne laute Bewunderung zu äußern, eine anerkennende Befriedigung an den Tag. Der Senator kam mit Frau und Kind, amüsierte sich mit Gerda über Tonys glückselige Überheblichkeit und verhinderte mit Mühe, daß sie ihren angebeteten kleinen Hanno mit Korinthenbrot und Portwein erstickte … Es kamen die Damen Buddenbrook, welche einstimmig bemerkten, alles sei so schön, daß sie ihrerseits, bescheidene Mädchen wie sie seien, nicht darin wohnen möchten … Die arme Klothilde kam, grau, geduldig und hager, ließ sich auslachen und trank vier Tassen Kaffee, worauf sie auch alles übrige in gedehnten und freundlichen Worten belobte … Dann und wann, wenn im »Klub« niemand anwesend gewesen war, erschien auch Christian, nahm ein Gläschen Benediktiner, erzählte, daß er jetzt willens sei, die Agentur für eine Champagner- und Kognakfirma zu übernehmen – darauf verstehe er sich, und es sei eine leichte, angenehme Arbeit, man sei sein eigner Herr, schreibe sich hie und da ein bißchen in sein Notizbuch und habe im Handumdrehen dreißig Taler verdient – lieh sich hierauf vierzig Schilling von Frau Permaneder, um der ersten Liebhaberin vom Stadttheater ein Bukett überreichen zu können, kam, Gott weiß, infolge welcher Ideenverbindung, auf »Maria« und das »Laster« in London zu sprechen, verfiel in die Geschichte des räudigen Hundes, der in einer Schachtel von Valparaiso nach San Franzisko gereist war, und erzählte nun, da er im Zuge war, mit einer solchen Fülle, Schwunghaftigkeit und Komik, daß er einen Saal voll Menschen hätte unterhalten können.
 
Er geriet in Begeisterung, er redete in Zungen. Er sprach Englisch, Spanisch, Plattdeutsch und Hamburgisch, er schilderte chilenische Messerabenteurer und Diebsaffären aus Whitechapel, verfiel darauf, einen Blick in seinen Vorrat von Couplets tun zu lassen und sang oder sprach mit mustergültigem Mienenspiel und einem pittoresken Talent in den Handbewegungen:
 
»Ick güng so ganz pomad'
So up de Esplanad',
Da güng so'n lüttje Deern
So vor mir up;
Die hatt' so'n feinen Pli
Mi so'n französ'schen cu
Und 'n groten Deller achter up'm Kopp
Ick seg: ›Mein liebes Kind,
Wei Sie so nüdlich sind,
Erlauben Sie mir Ihren Arm vielleicht?‹
Sie dreit sik um so recht
Und – kiekt – mi an – und segt – –:
›Ga man na Hus, mi Jung, und si vergneugt!‹«
Und kaum war er hiermit fertig, als er zu Berichten aus dem Zirkus Renz überging und die ganze Entree eines englischen Sprechclowns in einer Art wiederzugeben begann, daß man sich einbilden konnte, vor der Manege zu sitzen. Man vernahm das übliche Geschrei schon hinter der Gardine, das »Machen Sie mich die Türe auf!«, die Streitigkeiten mit dem Stallmeister und dann, in breitem und jammerndem Englisch-Deutsch, eine Reihe von Erzählungen. Es war die Geschichte von dem Manne, der im Schlafe eine Maus verschluckt und sich deshalb zum Tierarzt begibt, welcher ihm seinerseits rät, nunmehr auch eine Katze zu verschlucken … Die Geschichte von »Meiner Großmutter, frisch und gesund wie die Frau war«, in welcher ebendieser Großmutter auf dem Wege zum Bahnhofe tausend Abenteuer begegnen und ihr schließlich, frisch und gesund wie die Frau war, der Zug vor der Nase davonfährt … worauf Christian die Pointe mit einem triumphierenden »Musik, Herr Kapellmeister!« abbrach und selbst, wie erwachend, ganz erstaunt schien, daß die Musik nicht einsetzte …
 
Und dann, ganz plötzlich, verstummte er, veränderte sich sein Gesicht, erschlafften seine Bewegungen. Seine kleinen, runden, tiefliegenden Augen begannen mit unruhigem Ernst nach allen Richtungen zu wandern, er strich mit der Hand an seiner linken Seite hinunter, es war, als horche er in sein Inneres hinein, woselbst Seltsames geschah … Er trank noch ein Gläschen Likör, ward noch einmal ein wenig aufgeräumter, versuchte noch eine Geschichte zu erzählen und brach dann in ziemlich deprimierter Stimmung auf.
 
Frau Permaneder, die in dieser Zeit ausnehmend lachlustig war und sich köstlich amüsiert hatte, begleitete ihren Bruder in ausgelassener Laune zur Treppe. »Adieu, Herr Agent!« sagte sie. »Minnesänger! Mädchenfänger! Altes Schaf! Komm bald mal wieder!« Und sie lachte aus vollem Halse hinter ihm drein und kehrte in ihre Wohnung zurück.
 
Aber Christian Buddenbrook focht das nicht an; er überhörte es, denn er war in Gedanken. Na, dachte er, nun will ich mal ein bißchen nach Quisisana gehen. Und den Hut etwas schief auf dem Kopf, gestützt auf seinen Stock mit der Nonnenbüste, langsam, steif und ein wenig lahmend ging er die Treppe hinab. 

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