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Buddenbrooks-Siebenter Teil-Siebentes Kapitel
日期:2022-03-21 14:17  点击:215
»Und du fragst mich nicht?! Du gehst über mich hinweg?!«
 
»Ich habe gehandelt, wie ich handeln mußte!«
 
»Du hast über alle Grenzen verwirrt und vernunftlos gehandelt!«
 
»Vernunft ist nicht das Höchste auf Erden!«
 
»Oh, keine Phrasen!… Es handelt sich um die einfachste Gerechtigkeit, die du in empörender Weise außer acht gelassen hast!«
 
»Ich bemerke dir, mein Sohn, daß du deinerseits in deinem Tone die Ehrfurcht außer acht läßt, die du mir schuldest!«
 
»Und ich entgegne dir, meine liebe Mutter, daß ich diese Ehrfurcht noch niemals vergessen habe, daß aber meine Eigenschaft als Sohn zu Null wird, sobald ich dir in Sachen der Firma und der Familie als männliches Oberhaupt und an der Stelle meines Vaters gegenüberstehe!« …
 
»Ich will nun, daß du schweigst, Thomas!«
 
»O nein! ich werde nicht schweigen, bis du deine maßlose Torheit und Schwäche erkennst!«
 
»Ich disponiere über mein Vermögen wie es mir beliebt!«
 
»Billigkeit und Vernunft setzen deinem Belieben Schranken!«
 
»Nie hätte ich gedacht, daß du mich so zu kränken vermöchtest!«
 
»Nie hätte ich gedacht, daß du mir so rücksichtslos ins Gesicht zu schlagen vermöchtest …!«
 
»Tom!… Aber Tom!« ließ sich Frau Permaneders verängstigte Stimme vernehmen. Sie saß, die Hände ringend, am Fenster des Landschaftszimmers, während ihr Bruder mit furchtbar erregten Schritten den Raum durchmaß und die Konsulin, aufgelöst in Zorn und Schmerz, auf dem Sofa saß, indem sie sich mit einer Hand auf das Polster stützte und die andere bei einem heftigen Wort auf die Tischplatte niederfallen ließ. Alle drei trugen Trauer um Klara, die nicht mehr auf Erden weilte, und alle drei waren bleich und außer sich …
 
Was ging vor? Etwas Entsetzliches, Grauenerregendes, etwas, was den Beteiligten selbst als monströs und unglaublich erschien! Ein Streit, eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen Mutter und Sohn!
 
Es war im August, an einem schwülen Nachmittage. Zehn Tage schon, nachdem der Senator seiner Mutter mit aller Vorsicht die beiden Briefe von Sievert und Klara Tiburtius überreicht hatte, war ihm die schwere Aufgabe geworden, die alte Dame mit der Todesnachricht zu treffen. Dann war er zum Begräbnis nach Riga gereist, war zusammen mit seinem Schwager Tiburtius zurückgekehrt, der einige Tage bei der Familie seiner entschlafenen Gattin verbracht, und auch Christian im Hamburger Krankenhause besucht hatte … und jetzt, da der Pastor seit zwei Tagen sich wieder in seiner Heimat befand, hatte die Konsulin ihrem Sohne mit ersichtlichem Zögern diese Eröffnung gemacht …
 
»Hundertsiebenundzwanzigtausendfünfhundert Kurantmark!« rief er und schüttelte die gefalteten Hände vor seinem Gesicht. »Sei's um die Mitgift! Hätte er doch die Achtzigtausend behalten mögen, obgleich kein Kind vorhanden ist! Aber das Erbe! Klaras Erbe ihm zuzusprechen! Und du fragst mich nicht! Du gehst über mich hinweg!« …
 
»Thomas, um Christi willen, laß mir Gerechtigkeit widerfahren! Konnte ich denn anders? Konnte ich es denn?!… Sie, die nun bei Gott, und all dem entrückt ist, sie schreibt mir von ihrem Sterbebette aus … mit Bleistift … mit zitternder Hand … ›Mutter‹, schreibt sie, ›wir werden uns hier unten niemals wiedersehen, und dies sind, das fühle ich so deutlich, meine letzten Zeilen … Mit meinem letzten Bewußtsein schreibe ich sie, das meinem Manne gilt … Gott hat uns nicht mit Kindern gesegnet; aber was mein gewesen wäre, wenn ich Dich überlebt hätte, laß es, wenn Du mir dereinst dorthin nachfolgst – laß es ihm zufallen, damit er es zu seinen Lebzeiten genieße! Mutter, es ist meine letzte Bitte … die Bitte einer Sterbenden … Du wirst sie mir nicht abschlagen …‹ Nein, Thomas! ich habe sie ihr nicht abgeschlagen; ich konnte es nicht! Ich habe ihr depeschiert, und sie ist in Frieden hinübergegangen …« Die Konsulin weinte heftig.
 
»Und man gönnt mir nicht eine Silbe! Man verheimlicht mir alles! Man geht über mich hinweg!« wiederholte der Senator.
 
»Ja, ich habe geschwiegen, Thomas; denn ich fühlte, daß ich die letzte Bitte meines sterbenden Kindes erfüllen mußte … und ich weiß, daß du versucht hättest, es mir zu verbieten!«
 
»Ja! bei Gott! Das hätte ich!«
 
»Und du hättest das Recht nicht dazu gehabt, denn drei meiner Kinder sind einig mit mir!«
 
»Oh, mich dünkt, meine Meinung wiegt die zweier Damen und eines maroden Narren auf …«
 
»Du sprichst so lieblos von deinen Geschwistern, wie hart zu mir!«
 
»Klara war eine fromme aber unwissende Frau, Mutter! Und Tony ist ein Kind, – das übrigens bis zur Stunde ebenfalls nichts gewußt hat, denn es hätte ja zur Unzeit geplaudert, nicht wahr? Und Christian?… Ja, er hat sich Christians Einwilligung verschafft, dieser Tiburtius … Wer hätte dergleichen von ihm erwartet?!… Weißt du noch nicht, begreifst du noch nicht, was er ist, dieser ingeniöse Pastor? Ein Wicht ist er! Ein Erbschleicher …!«
 
»Schwiegersöhne sind immer Filous«, sagte Frau Permaneder mit dumpfer Stimme.
 
»Ein Erbschleicher! Was tut er? Er fährt nach Hamburg, er setzt sich an Christians Bett und redet auf ihn ein. ›Ja!‹ sagt Christian. ›Ja, Tiburtius. Gott befohlen. Haben Sie einen Begriff von der Qual in meiner linken Seite?…‹ Oh, Dummheit und Schlechtigkeit sind gegen mich verschworen –!« Und der Senator – außer sich, an das Schmiedeeisengitter der Ofennische gelehnt – drückte seine beiden verschlungenen Hände gegen die Stirn.
 
Dieser Paroxysmus von Entrüstung entsprach nicht den Umständen! Nein, es waren nicht diese 127500 Kurantmark, die ihn in einen Zustand versetzten, wie ihn noch niemals irgend jemand an ihm beobachtet hatte! Es war vielmehr dies, daß in seinem vorher schon gereizten Empfinden sich auch dieser Fall noch der Kette von Niederlagen und Demütigungen anreihte, die er während der letzten Monate im Geschäft und in der Stadt hatte erfahren müssen … Nichts fügte sich mehr! Nichts ging mehr nach seinem Willen! War es so weit gekommen, daß man im Hause seiner Väter in den wichtigsten Angelegenheiten »über ihn hinwegging« …? Daß ein Rigaer Pastor ihn rücklings übertölpelte?… Er hätte es verhindern können, aber sein Einfluß war gar nicht erprobt worden! Die Ereignisse waren ohne ihn ihren Gang gegangen! Aber ihm schien, daß das früher nicht hätte geschehen können, daß es früher nicht gewagt haben würde, zu geschehen! Es war eine neue Erschütterung des eigenen Glaubens an sein Glück, seine Macht, seine Zukunft … Und es war nichts als seine innere Schwäche und Verzweiflung, die vor Mutter und Schwester während dieses Auftrittes hervorbrach.
 
Frau Permaneder stand auf und umarmte ihn.
 
»Tom«, sagte sie, »beruhige dich doch! Komm doch zu dir! Ist es so schlimm? Du machst dich ja krank! Tiburtius braucht ja nicht gar so lange zu leben … und nach seinem Tode fällt ja das Erbteil an uns zurück! Und es soll ja auch geändert werden, wenn du willst! Kann es nicht geändert werden, Mama?«
 
Die Konsulin antwortete nur mit Schluchzen.
 
»Nein … ach nein!« sagte der Senator, indem er sich zusammenraffte und mit der Hand eine schwach ablehnende Geste beschrieb. »Es ist, wie es ist. Meint ihr, ich werde in die Gerichte laufen und gegen meine Mutter prozessieren, um dem internen Skandal einen öffentlichen hinzuzufügen? Es gehe wie es will …« schloß er und ging mit erschlafften Bewegungen zur Glastür, wo er noch einmal stehenblieb.
 
»Nur glaubt nicht, daß es zum besten mit uns steht«, sagte er gedämpft. »Tony hat 80000 Kurantmark verloren … und Christian hat außer seiner Mitgift von 50000, die er vertan, schon an die 30000 Vorschuß verbraucht … die sich vermehren werden, da er ohne Verdienst ist und eine Kur in Öynhausen gebrauchen wird … Nun fällt nicht nur Klaras Mitgift für immer, sondern dereinst auch ihr ganzer Vermögensanteil für unbestimmbare Zeit aus der Familie hinaus … Und die Geschäfte gehen schlecht, sie gehen zum Verzweifeln, genau seit der Zeit, daß ich mehr als Hunderttausend an mein Haus gewandt habe … Nein, es steht nicht gut um eine Familie, in der Veranlassung gegeben wird zu Auftritten wie dieser hier. Glaubt mir – glaubt mir das eine: Wäre Vater am Leben, wäre er hier bei uns zugegen: er würde die Hände falten und uns alle der Gnade Gottes empfehlen.« 

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