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Buddenbrooks-Sechster Teil-Siebentes Kapitel
日期:2022-03-21 12:46  点击:256
Gleich morgens um acht Uhr, sobald er das Bett verlassen hatte, über die Wendeltreppe hinter der kleinen Pforte ins Souterrain hinabgestiegen war, ein Bad genommen und seinen Schlafrock wieder angelegt hatte, begann Konsul Buddenbrook sich mit öffentlichen Dingen zu beschäftigen. Dann nämlich erschien, mit seinen roten Händen und seinem intelligenten Gesicht, mit einem Topfe warmen Wassers, den er sich aus der Küche geholt, und den übrigen Utensilien, Herr Wenzel, Barbier und Mitglied der Bürgerschaft, in der Badestube, und während der Konsul sich, zurückgebeugten Hauptes, in einem großen Lehnstuhle niederließ und Herr Wenzel Schaum zu schlagen begann, entspann sich fast immer ein Gespräch, das, mit Nachtruhe und Witterung beginnend, alsbald zu Ereignissen in der großen Welt überging, sich hierauf mit intim städtischen Angelegenheiten beschäftigte und mit ganz eng geschäftlichen und familiären Gegenständen zu schließen pflegte … Dies alles zog die Prozedur sehr in die Länge, denn immer, wenn der Konsul sprach, mußte Herr Wenzel das Messer von seinem Gesicht entfernen.
 
»Wohl geruht, Herr Konsul?«
 
»Danke, Wenzel. Gutes Wetter heute?«
 
»Frost und ein bißchen Schneenebel, Herr Konsul. Vor der Jacobikirche haben die Jungens schon wieder 'ne Schleisterbahn, zehn Meter lang, daß ich beinah' hingeschlagen wär', als ich vom Bürgermeister kam. Hol' sie der Düwel …«
 
»Schon Zeitungen gesehen?«
 
»Die Anzeigen und die Hamburger Nachrichten, ja. Nichts als Orsinibomben … Schauderhaft. Auf dem Weg in die Oper … Eine nette Gesellschaft da drüben …«
 
»Na, es hat nichts zu bedeuten, denke ich. Mit dem Volke hat das nichts zu tun, und der Effekt ist nun bloß, daß die Polizei und der Druck auf die Presse und all das verdoppelt wird. Er ist auf seiner Hut … Ja, es ist eine ewige Unruhe, das muß wahr sein, denn er ist immer auf Unternehmungen angewiesen, um sich zu halten. Aber meinen Respekt hat er – ganz einerlei. Mit den Traditionen kann man wenigstens kein Dujack sein, wie Mamsell Jungmann sagt, und das mit der Bäckereikasse und den billigen Brotpreisen zum Beispiel hat mir wahrhaftig imponiert. Er tut ohne Zweifel eine Menge fürs Volk …«
 
»Ja, das sagte Herr Kistenmaker vorhin auch schon.«
 
»Stephan? Wir sprachen gestern darüber.«
 
»Und mit Friedrich Wilhelm von Preußen, das steht schlimm, Herr Konsul, das wird nichts mehr. Man sagt schon, daß der Prinz endgültig Regent werden soll …«
 
»Oh, darauf muß man gespannt sein. Er hat sich schon jetzt als ein liberaler Kopf gezeigt, dieser Wilhelm, und steht sicher der Konstitution nicht mit dem geheimen Ekel seines Bruders gegenüber … Es ist doch am Ende nur der Gram, der ihn aufreibt, den armen Mann … Was Neues aus Kopenhagen?«
 
»Gar nichts, Herr Konsul. Sie wollen nicht. Da hat der Bund gut erklären, daß die Gesamtverfassung für Holstein und Lauenburg rechtswidrig ist … Sie sind da oben ganz einfach nicht dafür zu haben, sie aufzuheben …«
 
»Ja, es ist ganz unerhört, Wenzel. Sie fordern den Bundestag ja zur Exekution heraus, und wenn er ein bißchen alerter wäre … Ach ja, diese Dänen! Ich erinnere mich lebhaft, wie ich mich schon als ganz kleiner Junge beständig über einen Gesangvers ärgerte, der anfing: ›Gib mir, gib allen denen, die sich von Herzen sehnen …‹ wobei ich ›denen‹ im Geiste immer mit ›ä‹ schrieb und nicht begriff, daß der Herrgott auch den Dänen irgend etwas geben sollte …«
 
»Sehen Sie sich mit der spröden Stelle vor, Wenzel, Sie lachen … Nun, und jetzt wieder mit unserer direkten Hamburger Eisenbahn! Das hat schon diplomatische Kämpfe gekostet und wird noch welche kosten, bis sie in Kopenhagen die Konzession geben …«
 
»Ja, Herr Konsul, und das Dumme ist, daß die Altona-Kieler Eisenbahngesellschaft und genau besehen ganz Holstein dagegen ist; das sagte Bürgermeister Doktor Överdieck vorhin auch schon. Sie haben eine verfluchte Angst für den Aufschwung von Kiel …«
 
»Versteht sich, Wenzel. Solche neue Verbindung zwischen Ost- und Nordsee … Und Sie sollen sehn, die Altona-Kieler wird nicht aufhören, zu intriguieren. Sie sind imstande, eine Konkurrenzbahn zu bauen: Ostholsteinisch, Neumünster-Neustadt, ja, das ist nicht ausgeschlossen. Aber wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, und direkte Fahrt nach Hamburg müssen wir haben.«
 
»Herr Konsul nehmen sich der Sache warm an.«
 
»Tja … soweit das in meinen Kräften steht, und soweit mein bißchen Einfluß reicht … Ich interessiere mich für unsere Eisenbahnpolitik, und das ist Tradition bei uns, denn mein Vater hat schon seit 51 dem Vorstand der Büchener Bahn angehört, und daran liegt es denn auch wohl, daß ich mit meinen zweiunddreißig Jahren hineingewählt bin; meine Verdienste sind ja noch nicht beträchtlich …«
 
»Oh, Herr Konsul; nach Herrn Konsuls Rede damals in der Bürgerschaft …«
 
»Ja, damit habe ich wohl etwas Eindruck gemacht, und der gute Wille ist jedenfalls vorhanden. Ich kann nur dankbar sein, wissen Sie, daß mein Vater, Großvater und Urgroßvater mir die Wege geebnet haben, und daß viel von dem Vertrauen und dem Ansehen, das sie sich in der Stadt erworben haben, ohne weiteres auf mich übertragen wird, denn sonst könnte ich mich gar nicht so regen … Was hat zum Beispiel nach 48 und zu Anfang dieses Jahrzehnts mein Vater nicht alles für die Reformation unseres Postwesens getan! Denken Sie mal, Wenzel, wie er in der Bürgerschaft gemahnt hat, die Hamburger Diligencen mit der Post zu vereinigen, und wie er anno 50 beim Senate, der damals ganz unverantwortlich langsam war, mit immer neuen Anträgen zum Anschluß an den deutsch-österreichischen Postverein getrieben hat … Wenn wir jetzt einen niedrigen Portosatz für Briefe haben und die Kreuzbandsendungen und die Freimarken und Briefkasten und die telegraphischen Verbindungen mit Berlin und Travemünde, er ist nicht der Letzte, dem wir dafür zu danken haben, und wenn er und ein paar andere Leute den Senat nicht immer wieder gedrängt hätten, so wären wir wohl ewig hinter der dänischen und der Thurn- und Taxischen Post zurückgeblieben. Nun, und wenn ich jetzt in solchen Sachen meine Meinung sage, so hört man darauf …«
 
»Das weiß Gott, Herr Konsul, da sagen Herr Konsul ein wahres Wort. Und was die Hamburger Bahn betrifft: Das ist keine drei Tage her, daß Bürgermeister Doktor Överdieck zu mir gesagt hat: ›Wenn wir erst so weit sind, daß wir in Hamburg ein geeignetes Terrain für den Bahnhof ankaufen können, dann schicken wir Konsul Buddenbrook mit; Konsul Buddenbrook ist bei solchen Verhandlungen besser zu gebrauchen als mancher Jurist‹ … Das waren seine Worte …«
 
»Na, das ist mir sehr schmeichelhaft, Wenzel. Aber geben Sie da überm Kinn noch ein bißchen Schaum; das muß da noch sauberer werden.«
 
»Ja, kurz und gut, wir müssen uns regen! Nichts gegen Överdieck, aber er ist eben bei Jahren, und wenn ich Bürgermeister wäre, so ginge alles ein wenig schneller, meine ich. Ich kann nicht sagen, welche Genugtuung ich empfinde, daß nun die Arbeiten für die Gasbeleuchtung begonnen haben und endlich die fatalen Öllampen mit ihren Ketten verschwinden; ich darf mir gestehen, daß ich auch nicht ganz unbeteiligt an diesem Erfolge bin … Ach, was gibt es nicht noch alles zu tun! Denn, Wenzel, die Zeiten ändern sich, und wir haben eine Menge von Verpflichtungen gegen die neue Zeit. Wenn ich an meine erste Jugend denke … Sie wissen besser, als ich, wie es damals bei uns aussah. Die Straßen ohne Trottoirs und zwischen den Pflastersteinen fußhoher Graswuchs und die Häuser mit Vorbauten und Beischlägen und Bänken … Und unsere Bauten aus dem Mittelalter waren durch Anbauten verhäßlicht und bröckelten nur so herunter, denn die einzelnen Leute hatten wohl Geld, und niemand hungerte; aber der Staat hatte gar nichts, und alles wurstelte so weiter, wie mein Schwager Permaneder sagt, und an Reparaturen war nicht zu denken. Das waren ganz behäbige und glückliche Generationen damals, und der Intimus meines Großvaters, wissen Sie, der gute Jean Jacques Hoffstede, spazierte umher und übersetzte kleine unanständige Gedichte aus dem Französischen … aber beständig so weiter konnte es nicht gehen; es hat sich vieles geändert und wird sich noch immer mehr ändern müssen … Wir haben nicht mehr 37000 Einwohner, sondern schon über 50, wie Sie wissen, und der Charakter der Stadt ändert sich. Da haben wir Neubauten, und die Vorstädte, die sich ausdehnen, und gute Straßen und können die Denkmäler aus unserer großen Zeit restaurieren. Aber das ist am Ende bloß äußerlich. Das meiste vom Wichtigsten steht noch aus, mein lieber Wenzel; und nun bin ich wieder bei dem ceterum censeo meines seligen Vaters angelangt: der Zollverein, Wenzel, wir müssen in den Zollverein, das sollte gar keine Frage mehr sein, und Sie müssen mir alle helfen, wenn ich dafür kämpfe … Als Kaufmann, glauben Sie mir, weiß ich da besser Bescheid als unsere Diplomaten, und die Angst, an Selbständigkeit und Freiheit einzubüßen, ist lächerlich in diesem Falle. Das Inland, die Mecklenburg und Schleswig-Holstein, würde sich uns erschließen, und das ist um so wünschenswerter, als wir den Verkehr mit dem Norden nicht mehr so vollständig beherrschen wie früher … genug … bitte, das Handtuch, Wenzel«, schloß der Konsul, und wenn dann noch über den augenblicklichen Kurs des Roggens ein Wort gesagt worden war, der auf 55 Taler stehe und noch immer verflucht zum Fallen inkliniere, wenn vielleicht noch eine Bemerkung über irgendein Familienereignis in der Stadt gefallen war, so verschwand Herr Wenzel durch das Souterrain, um auf der Straße sein blankes Schaumgefäß aufs Pflaster zu entleeren, und der Konsul stieg über die Wendeltreppe ins Schlafzimmer hinauf, wo er Gerda, die unterdessen erwacht war, auf die Stirn küßte und sich ankleidete.
 
Diese kleinen Morgengespräche mit dem aufgeweckten Barbier bildeten die Einleitung zu den lebhaftesten und tätigsten Tagen, über und über ausgefüllt mit Denken, Reden, Handeln, Schreiben, Berechnen, Hin- und Widergehen … Dank seinen Reisen, seinen Kenntnissen, seinen Interessen war Thomas Buddenbrook in seiner Umgebung der am wenigsten bürgerlich beschränkte Kopf, und sicherlich war er der erste, die Enge und Kleinheit der Verhältnisse zu empfinden, in denen er sich bewegte. Aber draußen in seinem weiteren Vaterlande war auf den Aufschwung des öffentlichen Lebens, den die Revolutionsjahre gebracht hatten, eine Periode der Erschlaffung, des Stillstandes und der Umkehr gefolgt, zu öde, um einen lebendigen Sinn zu beschäftigen, und so besaß er denn Geist genug, um den Spruch von der bloß symbolischen Bedeutung alles menschlichen Tuns zu seiner Lieblingswahrheit zu machen und alles, was an Wollen, Können, Enthusiasmus und aktivem Schwung sein eigen war, in den Dienst des kleinen Gemeinwesens zu stellen, in dessen Bezirk sein Name zu den ersten gehörte – sowie in den Dienst dieses Namens und des Firmenschildes, das er ererbt … Geist genug, seinen Ehrgeiz, es im kleinen zu Größe und Macht zu bringen, gleichzeitig zu belächeln und ernst zu nehmen.
 
Kaum hatte er, von Anton bedient, im Speisezimmer das Frühstück genommen, so machte er Straßentoilette und begab sich in sein Kontor an der Mengstraße. Er verweilte dort nicht viel länger als eine Stunde. Er schrieb zwei oder drei dringende Briefe und Telegramme, erteilte diese oder jene Weisung, gab gleichsam dem großen Triebrade des Geschäftes einen kleinen Stoß und überließ dann die Überwachung des Fortganges dem bedächtigen Seitenblick des Herrn Marcus.
 
Er zeigte sich und sprach in Sitzungen und Versammlungen, verweilte an der Börse unter den gotischen Arkaden am Marktplatz, tat Inspektionsgänge an den Hafen, in die Speicher, verhandelte als Reeder mit Kapitänen … und es folgten, unterbrochen nur durch ein flüchtiges Frühstück mit der alten Konsulin und das Mittagessen mit Gerda, nach welchem er eine halbe Stunde auf dem Diwan mit einer Zigarre und der Zeitung verbrachte, bis in den Abend hinein eine Menge von Arbeiten: handelte es sich nun um sein eigenes Geschäft oder um Zoll, Steuer, Bau, Eisenbahn, Post, Armenpflege; auch in Gebiete, die ihm eigentlich fernlagen und in der Regel den »Gelehrten« zustanden, verschaffte er sich Einsicht, und besonders in Finanzangelegenheiten bewies er rasch eine glänzende Begabung …
 
Er hütete sich, das gesellige Leben zu vernachlässigen. Zwar ließ in dieser Beziehung seine Pünktlichkeit zu wünschen übrig, und beständig erst in der letzten Sekunde, wenn seine Gattin, in großer Toilette, und der Wagen unten schon eine halbe Stunde gewartet hatten, erschien er mit einem »Pardon, Gerda; Geschäfte …« um sich hastig in den Frack zu werfen. Aber an Ort und Stelle, bei Diners, Bällen und Abendgesellschaften verstand er es doch, ein lebhaftes Interesse an den Tag zu legen, sich als liebenswürdigen Causeur zu zeigen … und er und seine Gattin standen den anderen reichen Häusern an Repräsentation nicht nach; seine Küche, sein Keller galten für »tip-top«, er war als verbindlicher, aufmerksamer und umsichtiger Gastgeber geschätzt, und der Witz seiner Toaste erhob sich über das Durchschnittsniveau. Stille Abende aber verbrachte er in Gerdas Gesellschaft, indem er rauchend ihrem Geigenspiel lauschte oder ein Buch mit ihr las, deutsche, französische und russische Erzählungen, die sie auswählte …
 
So arbeitete er und zwang den Erfolg, denn sein Ansehen wuchs in der Stadt, und trotz der Kapitalsentziehungen durch Christians Etablierung und Tonys zweite Heirat hatte die Firma vortreffliche Jahre. Bei alledem aber gab es manches, was für Stunden seinen Mut lähmte, die Elastizität seines Geistes beeinträchtigte, seine Stimmung trübte.
 
Da war Christian in Hamburg, dessen Sozius, Herr Burmeester, im Frühling dieses Jahres 58 ganz plötzlich einem Schlaganfalle erlag. Seine Erben entzogen der Firma das Kapital des Verstorbenen, und der Konsul widerriet es seinem Bruder dringend, sie mit seinen eigenen Mitteln fortzuführen, denn er wisse wohl, wie schwer es sei, ein größer zugeschnittenes Geschäft mit plötzlich stark vermindertem Kapital zu halten. Aber Christian drang auf die Fortdauer seiner Selbständigkeit, er übernahm Aktiva und Passiva von H. C. F. Burmeester & Comp. … und Unannehmlichkeiten standen zu befürchten.
 
Da war ferner des Konsuls Schwester Klara in Riga … Daß ihre Ehe mit dem Pastor Tiburtius ohne Kindersegen geblieben war, mochte hingehen, denn Klara Buddenbrook hatte sich niemals Kinder gewünscht und besaß ohne Zweifel höchst wenig mütterliches Talent. Aber ihre Gesundheit ließ, ihren und ihres Mannes Briefen zufolge, allzuviel zu wünschen übrig, und die Gehirnschmerzen, an denen sie schon als junges Mädchen gelitten, traten, so hieß es, neuerdings periodisch in fast unerträglichem Grade auf.
 
Das war beunruhigend. Eine dritte Sorge aber bestand darin, daß auch hier, an Ort und Stelle selbst, für das Fortleben des Familiennamens noch immer keine Sicherheit gegeben war. Gerda behandelte diese Frage mit einem souveränen Gleichmut, der einer degoutierten Ablehnung äußerst nahe kam. Thomas verschwieg seinen Kummer. Die alte Konsulin aber nahm die Sache in die Hand und zog Grabow beiseite. »Doktor, unter uns, da muß endlich etwas geschehen, nicht wahr? Ein bißchen Bergluft in Kreuth und ein bißchen Seeluft in Glücksburg oder Travemünde scheint da nicht anzuschlagen. Was meinen Sie …« Und Grabow, weil sein angenehmes Rezept: »Strenge Diät; ein wenig Taube, ein wenig Franzbrot« in diesem Falle doch wohl wieder einmal nicht energisch genug eingegriffen haben würde, verordnete Pyrmont und Schlangenbad …
 
Das waren drei Bedenken. Und Tony? – Arme Tony! 

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