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Buddenbrooks-Sechster Teil-Erstes Kapitel
日期:2022-03-21 12:14  点击:236
Thomas Buddenbrook nahm das erste Frühstück in seinem hübschen Speisezimmer fast immer allein, denn seine Gattin pflegte sehr spät das Schlafzimmer zu verlassen, da sie während des Vormittags oft einer Migräne und allgemeiner Mißstimmung unterworfen war. Der Konsul begab sich dann sofort in die Mengstraße, wo die Kontors der Firma verblieben waren, nahm das zweite Frühstück im Zwischengeschoß gemeinsam mit seiner Mutter, Christian und Ida Jungmann und traf mit Gerda erst wieder um vier Uhr beim Mittagessen zusammen.
 
Das geschäftliche Treiben bewahrte dem Erdgeschoß Leben und Bewegung; die Stockwerke aber des großen Mengstraßenhauses lagen nun recht leer und vereinsamt da. Die kleine Erika war von Mademoiselle Weichbrodt als interner Zögling aufgenommen worden, die arme Klothilde hatte sich mit ihren vier oder fünf Möbeln bei der Witwe eines Gymnasiallehrers, einer Doktorin Krauseminz, in wohlfeile Pension begeben, selbst der Bediente Anton hatte das Haus verlassen, um zu den jungen Herrschaften überzugehen, wo er nötiger war, und wenn Christian im Klub weilte, so saßen um vier Uhr die Konsulin und Mamsell Jungmann an dem runden Tisch, in den kein einziges Brett mehr eingelassen war, und der sich in dem weiten Speisetempel mit seinen Götterbildern verlor, nun ganz allein beieinander.
 
Mit dem Tode des Konsuls Johann Buddenbrook war das gesellschaftliche Leben in der Mengstraße erloschen, und die Konsulin sah, abgesehen von dem Besuche dieses oder jenes Geistlichen, keine anderen Gäste mehr um sich als am Donnerstag die Glieder ihrer Familie. Ihr Sohn aber und seine Gattin hatten bereits ihr erstes Diner hinter sich, ein Diner, bei dem im Speise- und Wohnzimmer gedeckt worden war, ein Diner mit Kochfrau, Lohndienern und Kistenmakerschen Weinen, eine Mittagsgesellschaft, die um fünf Uhr begonnen, und deren Gerüche und Geräusche um elf Uhr noch fortgeherrscht hatten, bei der alle Langhals', Hagenströms, Huneus', Kistenmakers, Överdiecks und Möllendorpfs zugegen gewesen waren, Kaufleute und Gelehrte, Ehepaare und Suitiers, die mit Whist und ein paar Ohren voll Musik geschlossen hatte, und von der man an der Börse noch acht Tage lang in den lobendsten Ausdrücken sprach. Wahrhaftig, es hatte sich gezeigt, daß die junge Frau Konsulin zu repräsentieren verstand … Der Konsul hatte an jenem Abend, allein geblieben mit ihr in den von hinabgebrannten Kerzen erleuchteten Räumen, zwischen den durcheinandergerückten Möbeln, in dem dichten, süßen und schweren Dunst von feinen Speisen, Parfüms, Weinen, Kaffee, Zigarren und den Blumen der Toiletten und Tafelaufsätze, ihre Hände gedrückt und gesagt: »Sehr brav, Gerda! Wir haben uns nicht zu schämen brauchen. Dergleichen ist sehr wichtig … Ich habe gar keine Lust, mich viel mit Bällen abzugeben und die jungen Leute hier umherspringen zu lassen; dazu reicht auch der Raum nicht. Aber den gesetzten Leuten muß es schmecken bei uns. So ein Diner kostet ein wenig mehr … aber das ist nicht übel angelegt.«
 
»Du hast recht«, hatte sie geantwortet und die Spitzen geordnet, durch die ihre Brust wie Marmor hindurchschimmerte. »Auch ich ziehe durchaus die Diners den Bällen vor. Ein Diner wirkt so außerordentlich beruhigend … Ich hatte heute nachmittag musiziert und fühlte mich ein wenig merkwürdig … Jetzt ist mein Gehirn so tot, daß hier der Blitz einschlagen könnte, ohne daß ich bleich oder rot würde.«
 
*
 
Als um halb zwölf Uhr heute der Konsul sich neben seiner Mutter am Frühstückstische niederließ, las sie ihm folgenden Brief vor:
 
München, den 2. April 1857.
Am Marienplatz Nr. 5.
 
Meine liebe Mama,
 
ich bitte um Verzeihung, denn es ist eine Schande, daß ich noch nicht geschrieben habe, während ich doch schon acht Tage hier bin; ich bin zu sehr in Anspruch genommen worden von allem, was es hier zu sehen gibt – aber davon später. Nun frage ich erst einmal, ob es Euch Lieben, Dir und Tom und Gerda und Erika und Christian und Thilda und Ida und allen gut geht; das ist das Wichtigste.
 
Ach, was habe ich in diesen Tagen nicht zu sehen bekommen! Da ist die Pinakothek und die Glyptothek und das Hofbräuhaus und das Hoftheater und die Kirchen und viele andere Dinge. Ich muß davon mündlich erzählen, sonst schreibe ich mich tot. Auch eine Wagenfahrt im Isartal haben wir schon gemacht, und für morgen ist ein Ausflug an den Würmsee in Aussicht genommen. Das geht immer so weiter; Eva ist sehr lieb zu mir, und Herr Niederpaur, der Brauereidirektor, ist ein gemütlicher Mann. Wir wohnen an einem sehr hübschen Platz inmitten der Stadt, mit einem Brunnen in der Mitte, wie bei uns auf dem Markt, und unser Haus steht ganz in der Nähe des Rathauses. Ich habe niemals ein solches Haus gesehen! Es ist von oben bis unten ganz kunterbunt bemalt, mit heiligen Georgs, die den Drachen töten, und alten bayerischen Fürsten in vollem Ornat und Wappen. Stellt Euch vor!
 
Ja, München gefällt mir ganz ausnehmend. Die Luft soll sehr nervenstärkend sein, und mit meinem Magen ist es im Augenblick ganz in Ordnung. Ich trinke mit großem Vergnügen sehr viel Bier, um so mehr, als das Wasser nicht ganz gesund ist; aber an das Essen kann ich mich noch nicht recht gewöhnen. Es gibt zuwenig Gemüse und zuviel Mehl, zum Beispiel in den Soßen, deren sich Gott erbarmen möge. Was ein ordentlicher Kalbsrücken ist, das ahnt man hier gar nicht, denn die Schlachter zerschneiden alles aufs jämmerlichste. Und mir fehlen sehr die Fische. Und dann ist es doch ein Wahnsinn, beständig Gurken- und Kartoffelsalat mit Bier durcheinander zu schlucken! Mein Magen gibt Töne von sich dabei.
 
Überhaupt muß man ja an mancherlei sich erst gewöhnen, könnt Ihr Euch denken, man befindet sich eben in einem fremden Lande. Da ist die ungewohnte Münze, da ist die Schwierigkeit, sich mit den einfachen Leuten, dem Dienstpersonal zu verständigen, denn ich spreche ihnen zu rasch und sie mir zu kauderwelsch – und dann ist da der Katholizismus; ich hasse ihn, wie Ihr wißt, ich halte gar nichts davon …
 
Hier fing der Konsul an zu lachen, indem er, ein Stück Butterbrot mit geriebenem Kräuterkäse in der Hand, sich in das Sofa zurücklehnte.
 
»Ja, Tom, du lachst …«, sagte seine Mutter, und ließ ein paarmal den Mittelfinger ihrer Hand auf das Tischtuch fallen. »Aber mir gefällt es völlig an ihr, daß sie an dem Glauben ihrer Väter festhält und die unevangelischen Schnurrpfeifereien verabscheut. Ich weiß, daß du in Frankreich und Italien eine gewisse Sympathie für die päpstliche Kirche gefaßt hast, aber das ist nicht Religiosität bei dir, Tom, sondern etwas anderes, und ich verstehe auch, was; aber obgleich wir duldsam sein sollen, ist Spielerei und Liebhaberei in diesen Dingen in hohem Grade strafbar, und ich muß Gott bitten, daß er dir und deiner Gerda – denn ich weiß, sie gehört ebenfalls nicht gerade zu den Gefesteten, mit den Jahren den nötigen Ernst darin gibt. Diese Bemerkung wirst du deiner Mutter verzeihen.«
 
»Oben auf dem Brunnen«, las sie weiter, »den ich von meinem Fenster aus sehen kann, steht eine Maria, und manchmal wird er bekränzt, und dann knien dort Leute aus dem Volke mit Rosenkränzen und beten, was ja recht hübsch aussieht, aber es steht geschrieben: Gehe in dein Kämmerlein. Oft sieht man hier Mönche auf der Straße, und sie sehen recht ehrwürdig aus. Aber stelle Dir vor, Mama, gestern fuhr in der Theatinerstraße irgendein höherer Kirchenmann in seiner Kutsche an mir vorüber, vielleicht war es der Erzbischof, ein älterer Herr – genug, und dieser Herr wirft mir aus dem Fenster ein paar Augen zu wie ein Gardeleutnant! Du weißt, Mutter, ich halte nicht so sehr große Stücke auf Deine Freunde, die Missionare und Pastoren, aber Tränen-Trieschke ist sicherlich nichts gegen diesen Suitier von einem Kirchenfürsten …«
 
»Pfui!« schaltete die Konsulin bekümmert ein.
 
»Echt Tony!« sagte der Konsul.
 
»Wieso, Tom?«
 
»Na, sollte sie ihn nicht ein bißchen provoziert haben … zur Prüfung? Ich kenne doch Tony! Und jedenfalls hat dieses ›Paar Augen‹ sie köstlich amüsiert … was wohl die Absicht des alten Herrn gewesen ist.«
 
Hierauf ging die Konsulin nicht ein, sondern fuhr zu lesen fort: »Vorgestern hatten Niederpaurs Abendgesellschaft, was wunderhübsch war, obgleich ich der Unterhaltung nicht immer folgen konnte und den Ton manchmal ziemlich équivoque fand. Sogar ein Hofopernsänger war da, welcher Lieder sang, und ein junger Kunstmaler, der mich bat, mich von ihm porträtieren zu lassen, was ich aber ablehnte, weil ich es nicht für passend halte. Am besten habe ich mich mit einem Herrn Permaneder unterhalten – hättest Du jemals gedacht, daß jemand so heißen könnte? –, Hopfenhändler, ein netter, spaßhafter Mann in gesetzten Jahren und Junggeselle. Ich hatte ihn zu Tische und hielt mich an ihn, weil er der einzige Protestant in der Gesellschaft war, denn obgleich er ein guter Münchener Bürger ist, stammt seine Familie aus Nürnberg. Er versicherte, daß er unsere Firma dem Namen nach sehr wohl kenne, und Du kannst Dir denken, Tom, welche Freude mir der respektvolle Ton machte, in welchem er das sagte. Auch erkundigte er sich genau nach uns, wie viele Geschwister wir seien und dergleichen mehr. Auch nach Erika und sogar nach Grünlich fragte er. Er kommt manchmal zu Niederpaurs und wird wohl morgen mit uns zum Würmsee fahren.
 
Nun adieu, liebe Mama, ich kann nicht mehr schreiben. Bei Leben und Gesundheit, wie Du immer sagst, bleibe ich noch drei oder vier Wochen hier, und dann kann ich Euch mündlich von München erzählen, denn brieflich weiß ich nicht, womit ich anfangen soll. Aber es gefällt mir sehr gut, das kann ich sagen, nur müßte man sich eine Köchin auf anständige Saucen dressieren. Siehst Du, ich bin eine alte Frau, die das Leben hinter sich hat, und habe nichts mehr zu erwarten auf Erden, aber wenn zum Beispiel Erika später bei Leben und Gesundheit sich hierher verheiratete, so würde ich nichts dagegen haben, das muß ich sagen …«
 
Hier mußte der Konsul wieder aufhören, zu essen, und sich lachend in das Sofa zurücklegen.
 
»Sie ist unbezahlbar, Mutter! Wenn sie heucheln will, ist sie unvergleichlich! Ich schwärme für sie, weil sie einfach nicht imstande ist, sich zu verstellen, nicht über tausend Meilen weg …«
 
»Ja, Tom«, sagte die Konsulin; »sie ist ein gutes Kind, das alles Glück verdient.«
 
Dann las sie den Brief zu Ende … 

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