»Guten Abend, Justus«, sagte die Konsulin. »Geht es dir gut? Nimm Platz.«
Konsul Kröger umarmte sie zart und flüchtig und schüttelte seiner ältesten Nichte die Hand, die gleichfalls im Eßsaale zugegen war. Er zählte nun ungefähr fünfundfünfzig Jahre und hatte sich zu seinem kleinen Schnurrbart einen starken runden Backenbart wachsen lassen, der das Kinn frei ließ und ganz grau war. Über seine breite und rosige Glatze waren sorgfältig ein paar spärliche Haarstreifen frisiert. Ein breiter Trauerflor saß an dem Ärmel seines eleganten Leibrockes.
»Weißt du das Neueste, Bethsy?« fragte er. »Ja, Tony, dich wird es besonders interessieren. Kurz, unser Grundstück vorm Burgtor ist nun verkauft … an wen? Nicht etwa an einen Mann, sondern an zwei, denn es wird geteilt, das Haus wird abgebrochen, ein Zaun quer hindurchgezogen, und dann baut sich rechts Kaufmann Benthien und links Kaufmann Sörenson eine Hundehütte … nun, Gott befohlen.«
»Unerhört«, sagte Frau Grünlich, indem sie die Hände im Schoße faltete und zum Plafond emporblickte … »Großvaters Grundstück! Gut, damit ist das Besitztum verpfuscht. Der Reiz bestand gerade in der Weitläufigkeit … die eigentlich überflüssig war … aber das war das Vornehme. Der große Garten … bis zur Trave hinunter … und das zurückliegende Haus mit der Auffahrt, der Kastanienallee … Nun wird es also geteilt. Benthien wird vor der einen Tür stehen und seine Pfeife rauchen, und Sörenson vor der anderen. Ja, ich sage auch ›Gott befohlen‹, onkel Justus. Es ist wohl niemand mehr vornehm genug, um das Ganze zu bewohnen. Gut, daß Großpapa es nicht mehr zu sehen bekommt …«
Die Trauerstimmung lag noch zu schwer und ernst in der Luft, als daß Tony ihrer Entrüstung in lauteren und stärkeren Worten hätte Ausdruck geben mögen. Es war am Tage der Testamentseröffnung, zwei Wochen nach des Konsuls Ableben, nachmittags halb sechs Uhr. Die Konsulin Buddenbrook hatte ihren Bruder in die Mengstraße gebeten, damit er sich mit Thomas und Herrn Marcus, dem Prokuristen, an einer Unterredung über die Verfügungen des Verstorbenen und die Vermögensverhältnisse beteilige, und Tony hatte den Entschluß kundgetan, gleichfalls an den Auseinandersetzungen teilzunehmen. Dieses Interesse, hatte sie gesagt, sei sie der Firma sowohl wie der Familie schuldig, und sie trug Sorge, dieser Zusammenkunft den Charakter einer Sitzung, eines Familienrates zu verleihen. Sie hatte die Fenstervorhänge geschlossen und trotz der beiden Paraffinlampen, die auf dem ausgezogenen, grüngedeckten Speisetisch brannten, zum Überfluß sämtliche Kerzen auf den großen vergoldeten Kandelabern entzündet. Außerdem hatte sie auf der Tafel eine Menge Schreibpapiers und gespitzter Bleistifte verteilt, von denen niemand wußte, wozu sie eigentlich gebraucht werden sollten.
Das schwarze Kleid gab ihrer Gestalt eine mädchenhafte Schlankheit, und obgleich sie den Tod des Konsuls, dem sie während der letzten Zeit so herzlich nahegestanden, vielleicht von allen am schmerzlichsten empfand, obgleich sie noch heute bei dem Gedanken an ihn zweimal in bittere Tränen ausgebrochen war, vermochte die Aussicht auf diesen kleinen Familienrat, diese kleine ernsthafte Unterredung, an der sie mit Würde teilzunehmen gedachte, ihre hübschen Wangen zu röten, ihren Blick zu beleben, ihren Bewegungen Freude und Wichtigkeit zu geben … Die Konsulin dagegen, ermattet vom Schrecken, vom Schmerz, von tausend Trauerformalitäten und den Begräbnisfeierlichkeiten, sah leidend aus. Ihr Gesicht, von den schwarzen Spitzen der Haubenbänder umrahmt, erschien noch bleicher dadurch, und ihre hellblauen Augen blickten matt. In ihrem glattgescheitelten, rotblonden Haar aber war noch immer kein einziges weißes Fädchen zu sehen … War auch dies noch die Pariser Tinktur oder schon die Perücke? Das wußte Mamsell Jungmann allein, und sie würde es nicht einmal den Damen des Hauses verraten haben.
Man saß am Ende des Speisetisches und wartete, daß Thomas und Herr Marcus aus dem Kontor kämen. Weiß und stolz hoben sich die gemalten Götterbilder auf ihren Sockeln von dem himmelblauen Hintergrunde ab.
Die Konsulin sagte: »Die Sache ist diese, mein lieber Justus … ich habe dich bitten lassen … kurz zu sein, es handelt sich um Klara, das Kind. Mein lieber seliger Jean hat die Wahl eines Vormundes, dessen die Dirn noch während dreier Jahre bedarf, mir überlassen … Ich weiß, du liebst es nicht, mit Verpflichtungen überhäuft zu werden; du hast Pflichten gegen deine Frau, gegen deine Söhne …«
»Gegen meinen Sohn, Bethsy.«
»Gut, gut, wir sollen christlich und barmherzig sein, Justus. Wie wir vergeben unseren Schuldigern, heißt es. Gedenke unseres gnädigen Vaters im Himmel.«
Ihr Bruder sah sie ein wenig verwundert an. Man hatte bisher nur aus des verstorbenen Konsuls Munde solche Redewendungen vernommen …
»Genug!« fuhr sie fort, »es sind so gut wie keine Mühseligkeiten mit diesem Liebesamte verbunden … Ich möchte dich bitten, die Vormundschaft zu übernehmen.«
»Gern, Bethsy, wahrhaftig, das tu ich gern. Darf ich mein Mündel nicht sehen? Ein bißchen zu ernst das gute Kind …«
Klara ward gerufen. Schwarz und bleich erschien sie langsam, mit traurig zurückhaltenden Bewegungen. Sie hatte die Zeit nach ihres Vaters Tode fast unaufhörlich mit Beten auf ihrem Zimmer verbracht. Ihre dunklen Augen waren unbeweglich; sie schien erstarrt in Schmerz und Gottesfurcht.
onkel Justus, galant wie er war, schritt ihr entgegen und verbeugte sich beinahe, als er ihr die Hand drückte; dann richtete er einige wohlgesetzte Worte an sie, und sie ging wieder, nachdem sie von der Konsulin einen Kuß auf ihre unbeweglichen Lippen entgegengenommen hatte.
»Wie geht es dem guten Jürgen?« begann die Konsulin aufs neue. »Wie fühlt er sich in Wismar?«
»Gut«, antwortete Justus Kröger, indem er sich mit einem Achselzucken wieder niedersetzte … »Ich glaube, er hat nun seinen Platz gefunden. Er ist ein braver Junge, Bethsy, ein Junge von Ehre; aber … nachdem ihm das Examen zweimal mißglückt, war es das beste … Die Jurisprudenz machte ihm selbst keinen Spaß, und die Position an der Post in Wismar ist ganz akzeptabel … Sage mal, ich höre, dein Christian kommt?«
»Ja, Justus, er wird kommen, und Gott behüte ihn auf der See! Ach, es dauert so fürchterlich lange! Obgleich ich ihm am nächsten Tage nach Jeans Tode geschrieben habe, hat er den Brief noch lange nicht, und dann braucht er mit dem Segelschiff noch ungefähr zwei Monate. Aber er muß kommen, ich habe so sehr das Bedürfnis, Justus! Tom sagte zwar, Jean würde es niemals zugegeben haben, daß er seine Stelle in Valparaiso fahren läßt … aber ich bitte dich: acht Jahre beinahe, daß ich ihn nicht gesehen habe! Und dann unter diesen Umständen! Nein, ich will sie alle um mich haben in dieser schweren Zeit … das ist natürlich für eine Mutter …«
»Sicherlich, sicherlich!« sagte Konsul Kröger, denn ihr kamen die Tränen.
»Jetzt ist auch Thomas einverstanden«, fuhr sie fort, »denn wo ist Christian besser aufgehoben als in dem Geschäft seines seligen Vaters, in Toms Geschäft? Er kann hierbleiben, hier arbeiten … ach, ich bin auch beständig in Angst, daß ihm dort drüben das Klima ein Übel tut …«
Nun kam, begleitet von Herrn Marcus, Thomas Buddenbrook in den Saal. Friedrich Wilhelm Marcus, des verstorbenen Konsuls langjähriger Prokurist, war ein hochgewachsener Mann in braunem Schoßrock mit Trauerflor. Er sprach sehr leise, zögernd, ein wenig stotternd, jedes Wort eine Sekunde lang überlegend, und pflegte mit dem gerade ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger seiner linken langsam und vorsichtig über seinen rotbraunen, ungepflegt den Mund bedeckenden Schnurrbart zu streichen oder sich mit Sorgfalt die Hände zu reiben, wobei er seine runden, braunen Augen so bedächtig zur Seite wandern ließ, daß er den Eindruck völliger Konfusion und Abwesenheit machte, obgleich er stets aufmerksam prüfend bei der Sache war.
Thomas Buddenbrook, in so jungen Jahren bereits der Chef des großen Handelshauses, legte in Miene und Haltung ein ernstes Würdegefühl an den Tag; aber er war bleich, und seine Hände im besonderen, an deren einer nun der große Erbsiegelring mit grünem Steine glänzte, waren weiß wie die Manschetten, die aus den schwarzen Tuchärmeln hervorsahen, von einer frostigen Blässe, die erkennen ließ, daß sie vollkommen trocken und kalt waren. Diese Hände, deren schön gepflegte ovale Fingernägel dazu neigten, eine bläuliche Färbung zu zeigen, konnten in gewissen Augenblicken, in gewissen, ein wenig krampfhaften und unbewußten Stellungen einen unbeschreiblichen Ausdruck von abweisender Empfindsamkeit und einer beinahe ängstlichen Zurückhaltung annehmen, einen Ausdruck, der den ziemlich breiten und bürgerlichen, wenn auch fein gegliederten Händen der Buddenbrooks bis dahin fremd gewesen war und wenig zu ihnen paßte … Toms erste Sorge war, die Flügeltür zum Landschaftszimmer zu öffnen, um die Wärme des Ofens, der dort hinter dem schmiedeeisernen Gitter brannte, dem Saale zugute kommen zu lassen.
Dann wechselte er einen Händedruck mit Konsul Kröger und nahm, Herrn Marcus gegenüber, Platz an der Tafel, wobei er seine Schwester Tony mit erhobener Augenbraue ziemlich verwundert ansah. Aber sie legte in einer Weise den Kopf zurück und das Kinn auf die Brust, daß er jede Bemerkung über ihre Gegenwart unterdrückte.
»Also man darf noch nicht ›Herr Konsul‹ sagen?« fragte Justus Kröger … »Die Niederlande hoffen vergebens auf deine Vertretung, alter Tom?«
»Ja, onkel Justus; ich habe es für besser gehalten … sieh mal, ich hätte das Konsulat sofort übernehmen können, mit so manch anderer Verpflichtung; aber erstens bin ich noch ein bißchen jung … und dann habe ich mit onkel Gotthold gesprochen; er freute sich und akzeptierte.«
»Sehr vernünftig, mein Junge. Sehr politisch … Vollkommen gentlemanlike.«
»Herr Marcus«, sagte die Konsulin, »mein lieber Herr Marcus!« Und sie reichte ihm die Hand, deren Fläche sie ganz weit herumdrehte, und die er langsam, mit einem bedächtigen und verbindlichen Seitenblick entgegennahm. »Ich habe Sie heraufgebeten … Sie wissen, um was es sich handelt, und ich weiß, daß Sie einig mit uns sind. Mein seliger Mann hat in seinen letztwilligen Verfügungen den Wunsch ausgesprochen, Sie möchten nach seinem Heimgang Ihre treue, bewährte Kraft nicht länger als fremder Mitarbeiter, sondern als Teilhaber in den Dienst der Firma stellen …«
»Gewiß, allerdings Frau Konsulin«, sprach Herr Marcus. »Ich bitte ergebenst, überzeugt zu sein, daß ich die Ehrung meiner Person, welche in diesem Anerbieten liegt, mit Dankbarkeit zu schätzen weiß, denn die Mittel, welche ich der Firma entgegenzubringen vermag, sind nur allzu geringe. Ich weiß vor Gott und den Menschen nichts Besseres zu tun, als Ihre und Ihres Herrn Sohnes Offerte dankbarst zu akzeptieren.«
»Ja, Marcus, dann danke ich Ihnen herzlich für Ihre Bereitwilligkeit, einen Teil der großen Verantwortlichkeit zu übernehmen, die für mich vielleicht zu schwer wäre.« Dies sprach Thomas schnell und leichthin, indem er seinem Associé über den Tisch hinüber die Hand reichte, denn die beiden waren längst einig, und dies alles war Formalität.
»Kumpanie is Lumperie … na, Sie beide werden den Schnack ja wohl zuschanden machen!« sagte Konsul Kröger. »Und nun wollen wir die Verhältnisse mal durchgehen, Kinder. Ich habe hier bloß auf die Mitgift meines Mündels zu achten; das übrige ist mir egal. Hast du eine Kopie des Testamentes da, Bethsy? Und du, Tom, einen kleinen Überschlag?«
»Den habe ich im Kopf«, sagte Thomas und begann, während er sein goldnes Crayon auf der Tischplatte hin und her bewegte und, zurückgelehnt, ins Landschaftszimmer hinüberblickte, den Stand der Dinge auseinanderzusetzen …
Die Sache war die, daß des Konsuls hinterlassenes Vermögen beträchtlicher war, als irgendein Mensch geglaubt hatte. Die Mitgift seiner ältesten Tochter freilich war verlorengegangen, die Einbuße, die die Firma gelegentlich des Bremer Konkurses im Jahre 51 erlitten, war ein schwerer Schlag gewesen. Und auch das Jahr 48 sowie das gegenwärtige Jahr 55 mit ihren Unruhen und Kriegsläuften hatten Verluste gebracht. Aber der Buddenbrooksche Anteil an der Krögerschen Hinterlassenschaft von 400000 Kurantmark hatte, da Justus eine Menge im voraus verbraucht, volle 300000 betragen, und obgleich Johann Buddenbrook nach Kaufmannsart beständig geklagt hatte, war den Verlusten doch durch einen etwa fünfzehnjährigen Verdienst von 30000 Talern Kurant die Waage gehalten worden. Das Vermögen also betrug, abgesehen von jedem Grundbesitz, in runder Zahl 750000 Mark Kurant.
Selbst Thomas war, bei aller Einsicht in den Geschäftsgang, von seinem Vater über diese Höhe im unklaren gelassen worden, und während die Konsulin mit ruhiger Diskretion die Zahl entgegennahm, während Tony mit einer allerliebsten und verständnislosen Würde geradeaus blickte und dennoch einen ängstlichen Zweifel aus ihrer Miene nicht verbannen konnte, welcher ausdrückte: Ist das auch viel? Sehr viel? Sind wir auch reiche Leute?… während Herr Marcus sich langsam und anscheinend zerstreut die Hände rieb und Konsul Kröger sich ersichtlich langweilte, erfüllte ihn selbst diese Zahl, die er aussprach, mit einem nervösen und treibenden Stolz, der sich beinahe wie Unmut ausnahm.
»Wir müßten längst die Million erreicht haben!« sagte er mit vor Erregung gepreßter Stimme, indes seine Hände zitterten … »Großvater hat in seiner besten Zeit schon 900000 zur Verfügung gehabt … Und welche Anstrengungen seitdem, welch hübscher Erfolg, welche guten Coups hie und da! Und Mamas Mitgift! Mamas Erbe! Ach, aber die beständige Zersplitterung … Mein Gott, sie liegt in der Natur der Dinge; verzeiht, wenn ich in diesem Augenblick allzu ausschließlich im Sinne der Firma rede und wenig familiär … Diese Mitgiften, diese Auszahlungen an onkel Gotthold und nach Frankfurt, diese Hunderttausende, die dem Betrieb entzogen werden mußten … Und das waren damals nur zwei Geschwister des Firmenchefs … Genug, wir werden zu tun bekommen, Marcus!«
Die Sehnsucht nach Tat, Sieg und Macht, die Begier, das Glück auf die Knie zu zwingen, flammte kurz und heftig in seinen Augen auf. Er fühlte die Blicke aller Welt auf sich gerichtet, erwartungsvoll, ob er das Prestige der Firma, der alten Familie zu fördern und auch nur zu wahren wissen werde. An der Börse begegnete er diesen musternden Seitenblicken aus alten jovialen, skeptischen und ein bißchen mokanten Geschäftsmannsaugen, welche zu fragen schienen: »Wirst de Saak ook unnerkregen, min Söhn?« Ich werde es, dachte er …
Friedrich Wilhelm Marcus rieb sich bedächtig die Hände, und Justus Kröger sagte:
»Na, ruhig Blut, alter Tom! Die Zeiten sind nicht mehr wie damals, als dein Großpapa preußischer Heereslieferant war.« –
Und nun begann ein ausführliches Gespräch über die großen und kleinen Anordnungen des Testamentes, ein Gespräch, an dem sich alle beteiligten, und in welchem Konsul Kröger die gute Laune vertrat, indem er von Thomas beständig als von »Seiner Hoheit dem nunmehr regierenden Fürsten« sprach. »Der Speicher-Grundbesitz bleibt der Tradition gemäß ohne weiteres bei der Krone«, sagte er.
Im übrigen gingen, wie sich versteht, die Bestimmungen dahin, daß alles nach Möglichkeit beisammengelassen werden sollte, daß Frau Elisabeth Buddenbrook im Prinzip Universalerbin sei und das ganze Vermögen im Geschäfte verbleibe, wobei Herr Marcus konstatierte, daß er das Betriebskapital als Teilhaber um 120000 Kurant verstärke. Für Thomas waren als vorläufiges Privatvermögen 50000 ausgesetzt und die gleiche Summe für Christian, in dem Falle, daß er sich selbständig etabliere. Justus Kröger war eifrig bei der Sache, als der Passus verlesen ward: »Die Fixierung der Mitgiftsumme für meine inniggeliebte jüngere Tochter Klara im Falle ihrer Verehelichung überlasse ich dem Ermessen meiner inniggeliebten Frau« … »Sagen wir 100000!« schlug er vor, indem er sich zurücklehnte, ein Bein über das andere schlug und mit beiden Händen seinen kurzen grauen Schnurrbart empordrehte. Er war die Kulanz selbst. Aber man setzte die hergebrachte Summe von 80000 Kurantmark fest.
»Im Falle einer abermaligen Verheiratung meiner inniggeliebten ältesten Tochter Antonie«, hieß es weiter, »darf, angesichts der Tatsache, daß bereits an ihre erste Ehe 80000 Kurantmark gewendet worden, als Aussteuer die Summe von 17000 Talern Kurant nicht überschritten werden …« Frau Antonie bewegte mit ebenso graziöser wie erregter Geste die Arme nach vorn, um die Ärmel der Taille zurückzuschieben, und sie blickte zur Decke empor, indem sie ausrief: »Grünlich – ha!« Es klang wie ein Kriegsruf, wie ein kleiner Trompetenstoß. »Wissen Sie eigentlich, wie es sich mit dem Manne verhält, Herr Marcus?« fragte sie. »Wir sitzen eines harmlosen Nachmittags im Garten … vorm Portal … Sie wissen, Herr Marcus: unser Portal. – Gut! Wer erscheint? Eine Person mit einem goldfarbenen Backenbart … Was für ein Filou!…«
»So«, sagte Thomas. »Wir reden nachher von Herrn Grünlich, nicht wahr?«
»Gut, gut; aber das wirst du mir zugeben, Tom, du bist ein kluger Mensch, und die Erfahrung habe ich gemacht, weißt du, obgleich ich vor kurzer Zeit noch so sehr einfältig war, nämlich daß im Leben nicht alles immer mit ehrlichen und gerechten Dingen zugeht« …
»Ja …«, sagte Tom. Und man fuhr fort, man ging ins Detail, man nahm Kenntnis von den Bestimmungen über die große Familienbibel, über des Konsuls Diamantknöpfe, über viele einzelne Dinge … Justus Kröger und Herr Marcus blieben zum Abendbrot.