Im Speisezimmer hantierte Dora, die nicht ganz ehrliche Köchin.
»Bitte Madame Grünlich herunterzukommen«, befahl der Konsul.
»Mach' dich fertig, mein Kind«, sagte er, als Tony erschien. Er ging mit ihr in den Salon hinüber. »Mach' dich in aller Eile bereit und trage Sorge, daß auch Erika bald reisefertig ist … Wir fahren zur Stadt … Wir werden im Gasthof übernachten und morgen nach Hause fahren.«
»Ja, Papa«, sagte Tony. Ihr Gesicht war rot, verstört und ratlos. Sie machte unnütze und eilfertige Handbewegungen an ihrer Taille, ohne zu wissen, womit sie ihre Vorbereitungen beginnen sollte, und ohne noch recht an die Wirklichkeit dieses Erlebnisses glauben zu können.
»Was soll ich mitnehmen, Papa?« fragte sie ängstlich und erregt … »Alles? Alle Kleider? Einen oder zwei Koffer?… Macht Grünlich wirklich Bankerott?… O Gott!… Aber kann ich dann meine Schmucksachen mitnehmen?… Papa, die Mädchen müssen doch gehen … ich kann sie nicht mehr ablohnen … Grünlich hätte mir heute oder morgen Wirtschaftsgeld geben müssen …«
»Laß das, mein Kind; diese Dinge werden hier geordnet werden. Nimm nur das Notwendigste … einen Koffer … einen kleinen. Man wird dir dein Eigentum nachschicken. Spute dich, hörst du? Wir haben …«
In diesem Augenblicke wurden die Portieren auseinandergeschlagen und in den Salon kam Herr Grünlich. Mit raschen Schritten, die Arme ausgebreitet und den Kopf zur Seite geneigt, in der Haltung eines Mannes, welcher sagen will: Hier bin ich! Töte mich, wenn du willst! eilte er auf seine Gattin zu und sank dicht vor ihr auf beide Knie nieder. Sein Anblick war mitleiderregend. Seine goldgelben Favoris waren zerzaust, sein Leibrock war zerknittert, seine Halsbinde verschoben, sein Kragen stand offen, und auf seiner Stirn waren kleine Tropfen zu bemerken.
»Antonie …!« sagte er. »Sieh mich hier … Hast du ein Herz, ein fühlendes Herz?… Höre mich an … du siehst einen Mann vor dir, der vernichtet, zugrunde gerichtet ist, wenn … ja, der vor Kummer sterben wird, wenn du seine Liebe verschmähst! Hier liege ich … bringst du es über das Herz, mir zu sagen: Ich verabscheue dich –? Ich verlasse dich –?«
Tony weinte. Es war genau wie damals im Landschaftszimmer. Wieder sah sie dies angstverzerrte Gesicht, diese flehenden Augen auf sich gerichtet, und wieder sah sie mit Erstaunen und Rührung, daß diese Angst und dieses Flehen ehrlich und ungeheuchelt waren.
»Steh' auf, Grünlich«, sagte sie schluchzend. »Bitte, steh' doch auf!« Und sie versuchte, ihn an den Schultern emporzuheben. Ich verabscheue dich nicht! Wie kannst du dergleichen sagen!…« Ohne zu wissen, was sie sonst noch sprechen sollte, wandte sie sich vollkommen hilflos ihrem Vater zu. Der Konsul ergriff ihre Hand, verneigte sich vor seinem Schwiegersohn und ging mit ihr der Korridortüre zu.
»Du gehst?« rief Herr Grünlich und sprang auf die Füße …
»Ich habe Ihnen schon ausgesprochen«, sagte der Konsul, »daß ich es nicht verantworten kann, mein Kind so ganz unverschuldet dem Unglück zu überlassen, und ich füge hinzu, daß auch Sie das nicht können. Nein, mein Herr, Sie haben den Besitz meiner Tochter verscherzt. Und danken Sie Ihrem Schöpfer dafür, daß er das Herz dieses Kindes so rein und ahnungslos erhalten hat, daß sie sich ohne Abscheu von Ihnen trennt! Leben Sie wohl.«
Hier aber verlor Herr Grünlich den Kopf. Er hätte von kurzer Trennung, von Rückkehr und neuem Leben sprechen und vielleicht die Erbschaft retten können; aber es war zu Ende mit seiner Überlegung, seiner Regsamkeit und Findigkeit. Er hätte den großen, unzerbrechlichen, bronzenen Teller nehmen können, der auf der Spiegeletagere stand, aber er nahm die dünne, mit Blumen bemalte Vase, die sich dicht daneben befand, und warf sie zu Boden, daß sie in tausend Stücke zersprang …
»Ha! Schön! Gut!« schrie er. »Geh' nur! Meinst du, daß ich dir nachheule, du Gans? Ach nein, Sie irren sich, meine Teuerste! Ich habe dich nur deines Geldes wegen geheiratet, aber da es noch lange nicht genug war, so mach' nur, daß du wieder nach Hause kommst! Ich bin deiner überdrüssig … überdrüssig … überdrüssig …!«