Herrn Grünlichs Gesicht war rot gefleckt, aber er war aufs sorgfältigste gekleidet. Er trug einen ähnlichen schwarzen, faltigen, soliden Leibrock, ähnliche erbsenfarbene Beinkleider, wie diejenigen, in denen er einstmals in der Mengstraße seine ersten Visiten gemacht. In einer schlaffen Haltung blieb er stehen und sprach, den Blick zu Boden gerichtet, mit weicher und matter Stimme: »Vater …«
Der Konsul verbeugte sich kalt und ordnete dann mit einigen energischen Griffen seine Halsbinde.
»Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind«, setzte Herr Grünlich hinzu.
»Das war meine Pflicht, mein Freund«, erwiderte der Konsul; »nur fürchte ich, daß es das einzige bleiben wird, was ich in Ihrer Sache zu tun vermag.«
Sein Schwiegersohn warf ihm einen hastigen Blick zu und nahm dann eine noch schlaffere Haltung an.
»Ich höre«, fuhr der Konsul fort, »daß Ihr Bankier, Herr Kesselmeyer, uns erwartet … welchen Ort haben Sie für die Unterredung bestimmt? Ich stehe zu Ihrer Verfügung …«
»Ich bitte Sie um die Güte, mir zu folgen«, murmelte Herr Grünlich.
Konsul Buddenbrook küßte seine Tochter auf die Stirn und sagte: »Geh hinauf zu deinem Kinde, Antonie!«
Dann schritt er mit Herrn Grünlich, der sich bald vor ihm, bald hinter ihm bewegte und die Portieren öffnete, durch das Speisezimmer ins Wohngemach.
Als Herr Kesselmeyer, der am Fenster stand, sich umwandte, richteten die weißen und schwarzen Flaumfedern auf seinem Kopfe sich auf und sanken dann sanft auf den Schädel zurück.
»Herr Bankier Kesselmeyer … Großhändler Konsul Buddenbrook, mein Schwiegervater …«, sagte Herr Grünlich ernst und bescheiden. Des Konsuls Gesicht war bewegungslos. Herr Kesselmeyer bückte sich mit hängenden Armen, indem er seine beiden gelben Eckzähne auf die Oberlippe setzte und sagte: »Ihr Diener, Herr Konsul! Meine lebhafte Satisfaktion, das Vergnügen zu haben!«
»Verzeihen Sie gütigst, daß Sie haben warten müssen, Kesselmeyer«, sagte Herr Grünlich. Er war voll Höflichkeit für den einen wie für den anderen.
»Kommen wir zur Sache?« bemerkte der Konsul, indem er sich suchend hin und her wandte … Der Hausherr beeilte sich zu antworten: »Ich bitte die Herren …«
Während man ins Rauchkabinett hinüberging, sagte Herr Kesselmeyer aufgeräumt: »Eine angenehme Reise gehabt, Herr Konsul?… Aha, Regen? Ja, eine schlechte Jahreszeit, eine häßliche, schmutzige Jahreszeit! Gäbe es ein bißchen Frost, ein bißchen Schnee …! Aber nichts da! Regen! Kot! Höchst, höchst widerwärtig …«
Was für ein sonderbarer Mensch, dachte der Konsul.
In der Mitte des kleinen Zimmers, dessen Tapeten dunkel geblümt waren, stand ein ziemlich umfangreicher, viereckiger, grünbezogener Tisch. Der Regen draußen hatte zugenommen. Es war so finster, daß Herr Grünlich die drei Kerzen, die in silbernen Leuchtern auf der Tafel standen, alsbald entzündete. Bläuliche, mit Firmenstempeln versehene Geschäftsbriefe und abgegriffene, hie und da eingerissene, mit Daten und Namenszügen bedeckte Papiere lagen auf dem grünen Tuch. Außerdem bemerkte man ein dickleibiges Hauptbuch und ein von wohlgeschärften Gänsefedern und Bleistiften starrendes Tinten- und Streusandfaß aus metall.
Herr Grünlich machte die Honneurs mit den stillen, taktvollen und zurückhaltenden Mienen und Bewegungen, mit denen man die Gäste bei einem Begräbnis komplimentiert.
»Lieber Vater, bitte, nehmen Sie den Armstuhl«, sagte er sanft. »Herr Kesselmeyer, haben Sie die Freundlichkeit, sich hier zu setzen?…«
Endlich war die Ordnung hergestellt. Der Bankier saß dem Hausherrn gegenüber, während der Konsul im Armsessel an der Breitseite des Tisches präsidierte. Die Rückenlehne seines Stuhles berührte die Korridortür.
Herr Kesselmeyer bückte sich, ließ die Unterlippe hängen, entwirrte auf seiner Weste einen Kneifer und hieb ihn sich auf die Nase, indem er dieselbe krauste und den Mund aufriß. Dann kraute er sich mit einem nervös machenden Geräusch den geschorenen Backenbart, stemmte die Hände auf die Knie, nickte den Papieren zu und bemerkte kurz und fröhlich: »Aha! Da haben wir die ganze Bescherung!«
»Sie erlauben nun, daß ich mir einen genaueren Einblick in die Lage der Dinge verschaffe«, sagte der Konsul und griff nach dem Hauptbuch. Plötzlich jedoch streckte Herr Grünlich schirmend beide Hände über den Tisch hin, lange, von hohen blauen Adern durchzogene Hände, die ersichtlich zitterten, und rief mit bewegter Stimme: »Einen Augenblick! Noch einen Augenblick, Vater! Oh, lassen Sie mich noch eine einleitende Bemerkung vorausschicken!… Ja, Sie werden Einblick gewinnen, Ihrem Blick wird nichts entgehen … Aber glauben Sie mir: Sie werden Einblick in die Lage eines Unglücklichen gewinnen, nicht eines Schuldigen! Sehen Sie in mir einen Mann, Vater, der sich ohn' Ermatten gegen das Schicksal gewehrt hat, der aber von ihm zu Boden geschlagen ist! In diesem Sinne …«
»Ich werde sehen, mein Freund, ich werde sehen!« sagte der Konsul mit sichtlicher Ungeduld; und Herr Grünlich zog seine Hände zurück, um dem Geschicke seinen Lauf zu lassen.
Es vergingen lange, furchtbare Minuten des Schweigens. In dem unruhigen Kerzenlicht saßen die drei Herren, eingeschlossen von vier dunklen Wänden, dicht beieinander. Man vernahm keine Bewegung als das Rascheln des Papieres, mit dem der Konsul hantierte. Sonst war draußen der fallende Regen das einzige Geräusch.
Herr Kesselmeyer hatte seine Daumen in die Armlöcher der Weste geschoben, spielte mit den übrigen Fingern an den Schultern Klavier und sah mit unsäglicher Heiterkeit von einem zum anderen. Herr Grünlich saß ohne sich zurückzulehnen, die Hände auf dem Tisch, starrte trüb vor sich hin und ließ dann und wann einen ängstlichen Blick seitwärts zu seinem Schwiegervater gleiten. Der Konsul blätterte im Hauptbuch, verfolgte mit dem Fingernagel Kolonnen von Zahlen, verglich Daten und warf mit dem Bleistift seine kleinen, unleserlichen Ziffern aufs Papier. Sein abgespanntes Gesicht drückte Entsetzen vor den Verhältnissen aus, in die er nun »Einblick gewann« … Endlich legte er seine linke auf Herrn Grünlichs Arm und sagte erschüttert: »Sie armer Mann!«
»Vater …« brachte Herr Grünlich hervor. Dem bedauernswerten Menschen liefen zwei große Tränen die Wangen hinab und in die goldgelben Favoris hinein. Herr Kesselmeyer verfolgte den Weg dieser beiden Tropfen mit dem größten Interesse; er stand sogar ein wenig auf, beugte sich vor und starrte seinem Gegenüber mit offenem Munde ins Gesicht. Konsul Buddenbrook war heftig bewegt. Weich gemacht durch das Unglück, das ihn selbst betroffen, fühlte er, wie das Erbarmen ihn mit sich fortriß; aber rasch wurde er wieder Herr seiner Gefühle.
»Wie ist es möglich!« sagte er mit einem trostlosen Kopfschütteln … »In diesen wenigen Jahren!«
»Kinderspiel!« antwortete Herr Kesselmeyer gut gelaunt. »In vier Jahren kann man allerliebst vor die Hunde kommen! Wenn man bedenkt, wie munter Gebrüder Westfahl in Bremen vor kurzer Zeit noch umhersprangen …«
Der Konsul sah ihn blinzelnd an, indem er ihn weder sah noch hörte. Er hatte keineswegs seinem wirklichen Gedanken Ausdruck gegeben, über den er grübelte … Warum, fragte er sich argwöhnisch und dennoch verständnislos, warum dies alles gerade jetzt? B. Grünlich hätte schon vor zwei, vor drei Jahren stehen können, wo er jetzt stand; das übersah man mit einem Blick. Aber sein Kredit war unerschöpflich gewesen, er hatte von den Banken Kapital erhalten, er hatte die Unterschriften von soliden Häusern wie Senator Bock und Konsul Goudstikker immer wieder für seine Unternehmungen in Empfang genommen, und seine Wechsel hatten kursiert wie Bargeld. Warum gerade jetzt, jetzt, jetzt – und der Chef der Firma Johann Buddenbrook wußte wohl, was er unter diesem Jetzt verstand – dieser Zusammenbruch auf allen Seiten, dieses totale Zurückziehen alles Vertrauens wie auf Verabredung, dieses einmütige Herfallen über B. Grünlich unter Hintansetzung jeder Rücksicht, ja jeder Höflichkeitsform? Der Konsul wäre allzu naiv gewesen, hätte er nicht gewußt, daß das Ansehen seines eignen Hauses nach der Verlobung Grünlichs mit seiner Tochter auch seinem Schwiegersohne hatte zugute kommen müssen. Aber hatte der Kredit des Letzteren so vollkommen, so eklatant, so ausschließlich von dem seinen abgehangen? War Grünlich selbst denn nichts gewesen? Und die Erkundigungen, die der Konsul eingezogen, die Bücher, die er geprüft hatte?… Mochte es sich damit verhalten, wie es wollte, so stand sein Entschluß, in dieser Sache auch nicht das Glied eines Fingers zu regen, fester als jemals. Man sollte sich verrechnet haben! Augenscheinlich hatte B. Grünlich die Anschauung zu erwecken gewußt, als sei er mit Johann Buddenbrook solidarisch? Diesem, wie es schien, entsetzlich weit verbreiteten Irrtum mußte ein für alle Male vorgebeugt werden! Und auch dieser Kesselmeyer sollte sich wundern! Besaß dieser Bajazz ein Gewissen? Es sprang in die Augen, wie schamlos er ganz allein darauf spekuliert hatte, daß er, Johann Buddenbrook, den Mann seiner Tochter nicht würde fallen lassen, wie er dem längst vernichteten Grünlich zwar fort und fort Kredit gewährt, ihn aber immer blutigere Wucherzinsen hatte unterschreiben lassen …
»Gleichviel«, sagte er kurz. »Kommen wir zur Sache. Wenn ich hier als Kaufmann mein Gutachten abgeben soll, so bedauere ich, aussprechen zu müssen, daß dies die Lage eines zwar unglücklichen, aber auch eines in hohem Grade schuldigen Mannes ist.«
»Vater …« stammelte Herr Grünlich.
»Diese Anrede klingt mir schlecht in die Ohren!« sagte der Konsul rasch und hart. »Ihre Forderungen, mein Herr«, fuhr er fort, indem er sich flüchtig dem Bankier zuwandte, »an Herrn Grünlich betragen sechzigtausend Mark …«
»Mit den rückständigen und den zum Kapital geschlagenen Zinsen achtundsechzigtausendsiebenhundertundfünfundfünfzig Mark und fünfzehn Schillinge«, antwortete Herr Kesselmeyer behaglich.
»Sehr wohl … Und Sie wären unter keinen Umständen geneigt, Ihre Geduld zu verlängern?«
Herr Kesselmeyer begann einfach zu lachen. Er lachte mit offenem Munde, stoßweise, ohne eine Spur von Hohn und sogar gutmütig, indem er dem Konsul ins Gesicht sah, als wollte er ihn auffordern, gleichfalls einzustimmen.
Johann Buddenbrooks kleine, tiefliegende Augen trübten sich und umgaben sich plötzlich mit roten Rändern, die sich bis zu den Wangenknochen hinzogen. Er hatte nur der Form wegen gefragt und wußte sehr wohl, daß ein Aufschub von seiten dieses einen Gläubigers die Sachlage ganz unwesentlich verändert haben würde. Aber die Art, in der dieser Mensch ihn zurückwies, beschämte und erbitterte ihn aufs äußerste. Mit einer einzigen Handbewegung schob er alles weit von sich, was vor ihm lag, legte mit einem Ruck den Bleistift auf den Tisch und sagte: »So erkläre ich, daß ich nicht willens bin, mich länger in irgendeiner Weise mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen.«
»Aha!« rief Herr Kesselmeyer, indem er seine Hände in der Luft schüttelte … »Das nenne ich ein Wort, das nenne ich würdig gesprochen. Der Herr Konsul wird die Sache ganz einfach regeln! Ohne langes Parlamentieren! Schlanker Hand!«
Johann Buddenbrook sah ihn nicht einmal an.
»Ich kann Ihnen nicht helfen, mein Freund«, wandte er sich ruhig an Herrn Grünlich. »Die Dinge müssen den Weg nehmen, den sie eingeschlagen haben … Ich sehe mich nicht in der Lage, sie aufzuhalten. Fassen Sie sich und suchen Sie Trost und Kraft bei Gott. Ich muß diese Unterredung als geschlossen betrachten.«
Überraschenderweise nahm Herrn Kesselmeyers Gesicht einen ernsten Ausdruck an, was sich ganz wunderlich ausnahm; dann aber nickte er Herrn Grünlich aufmunternd zu. Dieser saß bewegungslos und rang nur seine langen Hände auf dem Tische so heftig, daß die Finger leise krachten.
»Vater … Herr Konsul …« sagte er mit wankender Stimme, »Sie werden … Sie können meinen Ruin, mein Elend nicht wollen! Hören Sie mich an! Es handelt sich in Summa um ein Manko von hundertzwanzigtausend … Sie können mich retten! Sie sind ein reicher Mann! Betrachten Sie die Summe wie Sie wollen … als eine endgültige Abfindung, als das Erbteil Ihrer Tochter, als ein verzinsbares Darlehen … Ich werde arbeiten … Sie wissen, daß ich rege und findig bin …«
»Ich habe mein letztes Wort gesprochen«, sagte der Konsul.
»Erlauben Sie nur … können Sie nicht?« fragte Herr Kesselmeyer und sah ihn durch seinen Kneifer mit krauser Nase an … »Wenn ich dem Herrn Konsul zu bedenken geben dürfte … dies wäre eigentlich gerade jetzt eine allerliebste Okkasion, die Stärke der Firma Johann Buddenbrook zu beweisen …«
»Sie täten gut daran, mein Herr, die Sorge für das Ansehen meines Hauses mir selbst zu überlassen. Um meine Zahlungsfähigkeit klarzustellen, habe ich nicht nötig, mein Geld in die nächste Pfütze zu werfen …«
»Nicht doch, nicht doch! A-aha, ›Pfütze‹ ist höchst spaßhaft! Aber meinen Herr Konsul nicht, daß der Konkurs Ihres Herrn Schwiegersohnes auch Ihre Lage in eine falsche und schiefe Beleuchtung … wie?… bringen würde … wie?… rücken würde?…«
»Ich kann Ihnen nur noch einmal empfehlen, meinen Ruf in der Geschäftswelt meine eigene Sache sein zu lassen«, sagte der Konsul.
Herr Grünlich sah ratlos seinem Bankier ins Gesicht und begann von neuem: »Vater … ich flehe Sie an, bedenken Sie, was Sie tun!… Ist denn von mir allein die Rede? Oh, ich … mag ich immerhin zugrunde gehen! Aber Ihre Tochter, mein Weib, sie, die ich so liebe, die ich mir in so heißem Kampfe erworben … und unser Kind, unser beider unschuldiges Kind … auch sie im Elend! Nein, Vater, ich würde es nicht tragen! Ich würde mich töten! Ja, mit dieser meiner eigenen Hand würde ich mich töten … glauben Sie mir! Und möge der Himmel Sie dann von jeder Schuld freisprechen!«
Johann Buddenbrook lehnte bleich und mit pochendem Herzen in seinem Armsessel. Zum zweiten Male stürmten die Empfindungen dieses Mannes auf ihn ein, deren Äußerung durchaus das Gepräge der Echtheit trug, wieder mußte er, wie damals, als er Herrn Grünlich den Travemünder Brief seiner Tochter mitgeteilt hatte, dieselbe gräßliche Drohung vernehmen, und wieder durchschauerte ihn die schwärmerische Ehrfurcht seiner Generation vor menschlichen Gefühlen, die stets mit seinem nüchternen und praktischen Geschäftssinn in Hader gelegen hatte. Dieser Anfall aber währte nicht länger als eine Sekunde. Hundertundzwanzigtausend Mark … wiederholte er innerlich, und dann sagte er ruhig und fest: »Antonie ist meine Tochter. Ich werde zu verhindern wissen, daß sie unschuldig leidet.«
»Was wollen Sie damit sagen …?« fragte Herr Grünlich, indem er langsam erstarrte …
»Das werden Sie erfahren«, antwortete der Konsul. »Für jetzt habe ich meinen Worten nichts hinzuzufügen.« Und damit erhob er sich, stellte seinen Stuhl fest auf den Boden und wandte sich zur Tür.
Herr Grünlich saß stumm, steif, fassungslos, und sein Mund bewegte sich ruckweise nach beiden Seiten, ohne daß sich ihm ein Wort zu entringen vermochte. Herrn Kesselmeyers Munterkeit aber kehrte bei dieser abschließenden und endgültigen Bewegung des Konsuls zurück … ja, sie nahm überhand, sie überschritt alle Grenzen und wurde fürchterlich! Das Binokel fiel von seiner Nase, die sich zwischen die Augen hinaufzog, während sein winziger Mund, in dem die beiden Eckzähne gelb und einsam ragten, zu zerreißen drohte. Seine kleinen, roten Hände ruderten in der Luft, seine Flaumfedern flatterten, sein gänzlich verschobenes und vor übermäßiger Fröhlichkeit verzerrtes Gesicht mit dem weißen, geschorenen Backenbart war zinnoberfarben …
»A-aha!« schrie er, daß seine Stimme sich überschlug … »Das finde ich höchst … höchst spaßhaft! Aber Sie sollten es sich überlegen, Herr Konsul Buddenbrook, ein solch allerliebstes, ein solch köstliches Exemplar von einem Schwiegersöhnchen in den Graben zu werfen!… So etwas von Regsamkeit und Findigkeit gibt es auf Gottes weiter, lieber Erdenwelt nicht zum zweiten Male! Aha! schon vor vier Jahren, als uns schon einmal das Messer an der Kehle stand … der Strick um den Hals lag … wie wir da plötzlich die Verlobung mit Mademoiselle Buddenbrook an der Börse ausschreien ließen, noch bevor sie wirklich stattgefunden hatte … jederlei Achtung! Na-hein, meine höchste Anerkennung …!«
»Kesselmeyer!« kreischte Herr Grünlich, machte krampfhafte Bewegungen mit den Händen, als ob er ein Gespenst von sich abwehrte, und lief in einen Winkel des Zimmers, woselbst er sich auf einen Stuhl setzte, das Gesicht in den Händen verbarg und sich so tief bückte, daß die Enden seiner Favoris auf seinen Schenkeln lagen. Einige Male zog er sogar die Knie empor.
»Wie haben wir das eigentlich gemacht?« fuhr Herr Kesselmeyer fort. »Wie haben wir es eigentlich angefangen, das Töchterchen und die achtzigtausend Mark zu ergattern? O-ho! das arrangiert sich! Wenn man auch nur für einen Sechsling Regsamkeit und Findigkeit besitzt, so arrangiert sich das! Man legt dem rettenden Herrn Papa recht hübsche Bücher vor, allerliebste, reinliche Bücher, in denen alles aufs beste bestellt ist … nur daß sie mit der rauhen Wirklichkeit nicht völlig übereinstimmen … Denn in der rauhen Wirklichkeit sind drei Viertel der Mitgift schon Wechselschulden!«
Der Konsul stand totenblaß an der Tür, den Griff in der Hand. Das Grauen rann ihm den Rücken hinunter. Befand er sich in dieser kleinen, unruhig beleuchteten Stube allein mit einem Gauner und einem vor Bosheit tollen Affen?
»Herr, ich verachte Ihre Worte«, brachte er mit geringer Sicherheit hervor. »Ich verachte Ihre wahnsinnigen Verleumdungen um so mehr, als sie auch mich treffen … mich, der ich meine Tochter nicht leichtfertigerweise ins Unglück gebracht habe. Ich habe sichere Erkundigungen über meinen Schwiegersohn eingezogen … das übrige war Gottes Wille!«
Er wandte sich, er wollte nichts mehr hören, er öffnete die Tür. Aber Herr Kesselmeyer schrie ihm nach: »Aha? Erkundigungen? Bei wem? Bei Bock? Bei Goudstikker? Bei Petersen? Bei Maßmann & Timm? Die waren ja alle engagiert! Die waren ja alle ganz ungeheuer engagiert! Die waren ja alle ungemein froh, daß sie durch die Heirat sichergestellt wurden …«