»Ich bin vollkommen Ihrer Meinung, mein werter Freund. Diese Frage ist von Wichtigkeit und muß erledigt werden. Kurz und gut: Die traditionelle Barmitgift für ein junges Mädchen aus unserer Familie beträgt 70000 Mark.«
Herr Grünlich warf seinem zukünftigen Schwiegervater den kurzen und prüfenden Seitenblick eines Geschäftsmannes zu.
»In der Tat …«, sagte er, und dieses In der Tat war genau so lang wie sein linker goldgelber Backenbart, den er bedächtig durch die Finger gleiten ließ … Er ließ die Spitze los, als das In der Tat vollendet war.
»Sie kennen«, fuhr er fort, »verehrter Vater, die tiefe Hochachtung, die ich ehrwürdigen Überlieferungen und Prinzipien entgegenbringe! Allein … sollte im gegenwärtigen Falle diese schöne Rücksicht nicht eine Übertreibung bedeuten?… Ein Geschäft vergrößert sich … eine Familie blüht empor … kurzum die Bedingungen werden andere und bessere …«
»Mein werter Freund«, sprach der Konsul … »Sie sehen in mir einen Geschäftsmann von Kulanz! Mein Gott … Sie haben mich nicht einmal ausreden lassen, sonst wüßten Sie bereits, daß ich willig und bereit bin, Ihnen den Umständen entsprechend entgegenzukommen, und daß ich den 70000 schlankerhand 10000 hinzufüge.«
»80000 also …«, sagte Herr Grünlich; und dann machte er eine Mundbewegung, als wollte er sagen: Nicht zu viel; aber es genügt.
Man einigte sich in der liebenswürdigsten Weise, und der Konsul klapperte, als er sich erhob, zufrieden mit dem großen Schlüsselbund in seiner Beinkleidtasche. Erst mit den 80000 hatte er die »traditionelle Höhe der Barmitgift« erreicht. –
Hierauf empfahl sich Herr Grünlich und reiste nach Hamburg ab. Tony verspürte wenig von ihrer neuen Lebenslage. Niemand hinderte sie, bei Möllendorpfs, Langhals', Kistenmakers und im eignen Hause zu tanzen, auf dem Burgfelde und den Travenwiesen Schlittschuh zu laufen und die Huldigungen der jungen Herren entgegenzunehmen … Mitte Oktober hatte sie Gelegenheit, der Verlobungsgesellschaft beizuwohnen, die man bei Möllendorpfs zu Ehren des ältesten Sohnes und Julchen Hagenströms veranstaltete. »Tom!« sagte sie. »Ich gehe nicht hin. Es ist empörend!« Aber sie ging dennoch hin und unterhielt sich aufs beste.
Im übrigen hatte sie sich mit den Federstrichen, die sie der Familiengeschichte hinzugefügt, die Erlaubnis erworben, mit der Konsulin oder allein in allen Läden der Stadt Kommissionen größeren Stiles zu machen und für ihre Aussteuer, eine vornehme Aussteuer, Sorge zu tragen. Tagelang saßen im Frühstückszimmer am Fenster zwei Nähterinnen, welche säumten, Monogramme stickten und eine Menge Landbrot mit grünem Käse aßen …
»Ist das Leinenzeug von Lentföhr gekommen, Mama?«
»Nein, mein Kind, aber hier sind zwei Dutzend Teeservietten.«
»Schön. – Und er hatte versprochen, es bis heute nachmittag zu schicken. Mein Gott, die Laken müssen gesäumt werden!«
»Mamsell Bitterlich fragt nach den Spitzen für die Kissenbühren, Ida.«
»Im Leinenschrank auf der Diele rechts, Tonychen, mein Kindchen.«
»Line – –!«
»Könntest auch gern mal selbst springen, mein Herzchen …«
»O Gott, wenn ich darum heirate, um selber die Treppen zu laufen …«
»Hast du an die Trauungstoilette gedacht, Tony?«
»Moirée antique, Mama!… Ich lasse mich nicht trauen ohne moirée antique!«
So verging der Oktober, der November. Zur Weihnachtszeit erschien Herr Grünlich, um den heiligen Abend im Kreise der Buddenbrookschen Familie zu verleben, und auch die Einladung zur Feier bei den alten Krögers schlug er nicht aus. Sein Benehmen gegenüber seiner Braut war erfüllt von dem Zartgefühl, das man von ihm zu gewärtigen berechtigt war. Keine unnötige Feierlichkeit! Keine gesellschaftliche Behinderung! Keine taktlosen Zärtlichkeiten! Ein hingehaucht diskreter Kuß auf die Stirn in Gegenwart der Eltern hatte das Verlöbnis besiegelt … Zuweilen verwunderte Tony sich ein wenig, daß sein Glück jetzt der Verzweiflung, die er bei ihren Weigerungen an den Tag gelegt hatte, kaum zu entsprechen schien. Er betrachtete sie lediglich mit einer heiteren Besitzermiene … Hie und da freilich, wenn er zufällig mit ihr allein geblieben war, konnte eine scherzhafte, eine neckische Stimmung ihn überkommen, konnte er den Versuch machen, sie auf seine Knie zu ziehen, um seine Favoris ihrem Gesichte zu nähern, und sie mit vor Heiterkeit zitternder Stimme zu fragen: »Habe ich dich doch erwischt? Habe ich dich doch noch ergattert?…« Worauf Tony antwortete: »O Gott, Sie vergessen sich!« und sich mit Geschicklichkeit befreite.
Herr Grünlich kehrte bald nach dem Weihnachtsfeste nach Hamburg zurück, denn sein reges Geschäft forderte unerbittlich seine persönliche Gegenwart, und Buddenbrooks stimmten mit ihm stillschweigend darin überein, daß Tony vor der Verlobung Zeit genug gehabt habe, seine Bekanntschaft zu machen.
Die Wohnungsfrage ward brieflich geordnet. Tony, die sich ganz außerordentlich auf das Leben in einer Großstadt freute, gab dem Wunsche Ausdruck, sich im Innern Hamburgs niederzulassen, wo ja auch – und zwar in der Spitalerstraße – sich Herrn Grünlichs Kontore befanden. Allein der Bräutigam erlangte mit männlicher Beharrlichkeit die Ermächtigung zum Ankaufe einer Villa vor der Stadt, bei Eimsbüttel … in romantischer und weltentrückter Lage, als idyllisches Nestchen so recht geeignet für ein junges Ehepaar – »procul negotiis« – nein, er hatte sein Latein gleichfalls noch nicht völlig vergessen!
Es verging der Dezember, und zu Beginn des Jahres sechsundvierzig ward Hochzeit gemacht. Es gab einen prächtigen Polterabend, bei dem die halbe Stadt anwesend war. Tonys Freundinnen – darunter auch Armgard von Schilling, die in einer turmhohen Kutsche zur Stadt gekommen war – tanzten mit Toms und Christians Freunden –, darunter auch Andreas Gieseke, Sohn des Branddirektors und studiosus iuris, sowie Stephan und Eduard Kistenmaker, von »Kistenmaker & Sohn« –, im Eßsaale und auf dem Korridor, der zu diesem Behufe mit Talkum bestreut worden war … Für das Poltern sorgte in erster Linie Konsul Peter Döhlmann, der auf den Steinfliesen der großen Diele alle irdenen Töpfe zerschlug, deren er habhaft werden konnte.
Frau Stuht aus der Glockengießerstraße hatte wieder einmal Gelegenheit, in den ersten Kreisen zu verkehren, indem sie Mamsell Jungmann und die Schneiderin am Hochzeitstage bei Tonys Toilette unterstützte. Sie hatte, strafe sie Gott, niemals eine schönere Braut gesehen, lag, so dick sie war, auf den Knien und befestigte mit bewundernd erhobenen Augen die kleinen Myrtenzweiglein auf der weißen moirée antique … Dies geschah im Frühstückszimmer. Herr Grünlich wartete in langschößigem Frack und seidener Weste vor der Tür. Sein rosiges Gesicht zeigte einen ernsten und korrekten Ausdruck; auf der Warze an seinem linken Nasenflügel bemerkte man ein wenig Puder, und seine goldgelben Favoris waren mit Sorgfalt frisiert.
Droben in der Säulenhalle, denn dort sollte die Trauung stattfinden, hatte sich die Familie versammelt – eine stattliche Gesellschaft! Da saßen die alten Krögers, ein wenig kümmerlich beide schon, aber wie stets die distinguiertesten Erscheinungen. Da waren Konsul Krögers mit ihren Söhnen Jürgen und Jakob, welch letzterer, wie die Verwandten Duchamps, von Hamburg gekommen war. Da war Gotthold Buddenbrook und seine Frau, die geborene Stüwing, mit Friederike, Henriette und Pfiffi, die sich leider alle drei wohl nicht mehr verheiraten würden … Da war die mecklenburgische Nebenlinie durch Klothildens Vater, Herrn Bernhardt Buddenbrook vertreten, der von »Ungnade« hereingekommen war und mit großen Augen das unerhört herrschaftliche Haus seines reichen Verwandten betrachtete. Die in Frankfurt hatten nur Geschenke geschickt, denn die Reise war doch zu umständlich … An ihrer Stelle aber waren, als einzige, die nicht der Familie zugehörten, Doktor Grabow, der Hausarzt, und Mamsell Weichbrodt, Tonys mütterliche Freundin, zugegen – Sesemi Weichbrodt mit ganz neuen grünen Haubenbändern über den Seitenlocken und einem schwarzen Kleidchen. »Sei glöcklich, du gutes Kind!« sagte sie, als Tony an Herrn Grünlichs Seite in der Säulenhalle erschien, reckte sich empor und küßte sie mit leise knallendem Geräusch auf die Stirn. – Die Familie war zufrieden mit der Braut; Tony sah hübsch, unbefangen und heiter aus, wenn auch ein wenig blaß vor Neugier und Reisefieber.
Die Halle war mit Blumen geschmückt und ein Altar an ihrer rechten Seite errichtet worden. Pastor Kölling von St. Marien hielt die Trauung, wobei er mit starken Worten im besonderen zur Mäßigkeit ermahnte. Alles verlief nach Ordnung und Brauch. Tony brachte ein naives und gutmütiges »Ja« heraus, während Herr Grünlich zuvor »Hä-ä-hm!« sagte, um seine Kehle zu reinigen. Dann ward ganz außerordentlich gut und viel gegessen.
… Während droben im Saale die Gäste, mit dem Pastor in ihrer Mitte, zu speisen fortfuhren, geleiteten der Konsul und seine Gattin das junge Paar, das sich reisefertig gemacht hatte, in die weißnebelige Schneeluft hinaus. Der große Reisewagen hielt, mit Koffern und Taschen bepackt, vor der Haustür.
Nachdem Tony mehrere Male die Überzeugung ausgesprochen hatte, daß sie sehr bald zu Besuch nach Hause kommen und daß auch der Besuch der Eltern in Hamburg nicht lange auf sich warten lassen werde, stieg sie guten Mutes in die Kutsche und ließ sich von der Konsulin sorgfältig in die warme Pelzdecke hüllen. Auch ihr Gatte nahm Platz.
»Und … Grünlich«, sagte der Konsul, »die neuen Spitzen liegen in der kleineren Handtasche zu oberst. Sie nehmen sie vor Hamburg ein bißchen unter den Paletot, wie? Diese Akzise … man muß das nach Möglichkeit umgehen. Leben Sie wohl! Leb' wohl, noch einmal, meine liebe Tony! Gott sei mit dir!«
»Sie werden doch in Arensburg gute Unterkunft finden?« fragte die Konsulin …
»Bestellt, teuerste Mama, alles bestellt!« antwortete Herr Grünlich.
Anton, Line, Trine, Sophie verabschiedeten sich von »Ma'm Grünlich« …
Man war im Begriffe, den Schlag zu schließen, als Tony von einer plötzlichen Bewegung überkommen ward. Trotz der Umstände, die es verursachte, wickelte sie sich noch einmal aus der Reisedecke heraus, stieg rücksichtslos über Herrn Grünlichs Knie hinweg, der zu murren begann, und umarmte mit Leidenschaft ihren Vater.
»Adieu, Papa … Mein guter Papa!« Und dann flüsterte sie ganz leise: »Bist du zufrieden mit mir?«
Der Konsul preßte sie einen Augenblick wortlos an sich; dann schob er sie ein wenig von sich und schüttelte mit innigem Nachdruck ihre beiden Hände …
Hierauf war alles bereit. Der Schlag knallte, der Kutscher schnalzte, die Pferde zogen an, daß die Scheiben klirrten, und die Konsulin ließ ihr Batisttüchlein im Winde spielen, bis der Wagen, der rasselnd die Straße hinunterfuhr, im Schneenebel zu verschwinden begann.
Der Konsul stand gedankenvoll neben seiner Gattin, die ihre Pelzpelerine mit graziöser Bewegung fester um die Schultern zog.
»Da fährt sie hin, Bethsy.«
»Ja, Jean, das Erste, das davongeht. – Glaubst du, daß sie glücklich ist mit ihm?«
»Ach, Bethsy, sie ist zufrieden mit sich selbst; das ist das solideste Glück, das wir auf Erden erlangen können.«