Es regnete in Strömen. Himmel, Erde und Wasser verschwammen ineinander, während der Stoßwind in den Regen fuhr und ihn gegen die Fensterscheiben trieb, daß nicht Tropfen, sondern Bäche daran hinunterflossen und sie undurchsichtig machten. Klagende und verzweifelnde Stimmen redeten in den Ofenröhren …
Als Morten Schwarzkopf bald nach dem Mittagessen mit seiner Pfeife vor die Veranda trat, um nachzusehen, wie es mit dem Himmel bestellt sei, stand ein Herr in langem, engem, gelbkariertem Ülster und grauem Hute vor ihm; eine geschlossene Droschke, deren Verdeck vor Nässe glänzte und deren Räder so mit Kot besprengt waren, hielt vorm Hause. Morten starrte fassungslos in das rosige Gesicht des Herrn. Er hatte Bartkotelettes, die aussahen, als seien sie mit dem Pulver frisiert, mit dem man die Weihnachtsnüsse vergoldet.
Der Herr im Ülster sah Morten an, wie man einen Bedienten ansieht, leicht blinzelnd, ohne ihn zu sehen, und fragte mit weicher Stimme: »Ist der Herr Lotsenkommandeur zu sprechen?«
»Allerdings …« stammelte Morten, »ich glaube, daß mein Vater …«
Hier faßte ihn der Herr ins Auge; seine Augen waren so blau wie diejenigen einer Gans.
»Sind Sie Herr Morten Schwarzkopf?« fragte er …
»Ja, mein Herr«, antwortete Morten, indem er sich anstrengte, einen festen Gesichtsausdruck zu gewinnen.
»Sieh da! In der Tat …« bemerkte der Herr im Ülster, und dann fuhr er fort: »Haben Sie die Güte, mich Ihrem Herrn Vater zu melden, junger Mann. Mein Name ist Grünlich.«
Morten führte den Herrn durch die Veranda, öffnete ihm im Korridor rechterhand die Tür zum Bureau, und kehrte ins Wohnzimmer zurück, um seinen Vater zu benachrichtigen. Während Herr Schwarzkopf hinausging, ließ der junge Mensch sich an dem runden Tische nieder, stützte die Ellenbogen darauf und schien sich, ohne seine Mutter anzusehen, die am trüben Fenster mit dem Stopfen von Strümpfen beschäftigt war, in das »klägliche Blättchen« zu vertiefen, das von nichts anderem als der silbernen Hochzeit des Konsuls So und So zu berichten wußte. – Tony befand sich droben in ihrem Zimmer, um auszuruhen.
Der Lotsenkommandeur betrat sein Büro mit der Miene eines Mannes, der mit dem Mittagessen zufrieden ist, das er zu sich genommen. Sein Uniformrock, über der gewölbten weißen Weste, stand offen. Von seinem roten Gesicht hob sich scharf der eisgraue Schifferbart ab. Seine Zunge fuhr behaglich zwischen den Zähnen umher, wobei sein biederer Mund in die abenteuerlichsten Stellungen geriet. Er verbeugte sich kurz, ruckartig und mit einem Ausdruck, als wollte er sagen: So macht man es ja wohl!
»Gesegnete Mahlzeit«, sagte er; »dem Herrn zu Diensten!«
Herr Grünlich, von seiner Seite, verneigte sich mit Bedacht, indem seine Mundwinkel sich ein wenig abwärts zogen. Hierbei sagte er leise: »Hä-ä-hm.«
Das Bureau war eine ziemlich kleine Stube, deren Wände einige Fuß hoch mit Holz bekleidet waren und im übrigen den untapezierten Kalk zeigten. Vor dem Fenster, an welches unablässig der Regen trommelte, hingen gelbgerauchte Gardinen. Rechterhand von der Tür befand sich ein langer, roher, mit Papieren bedeckter Tisch, über welchem eine große Karte von Europa und eine kleinere der Ostsee an der Wand befestigt war. Von der Mitte der Zimmerdecke hing das sauber gearbeitete Modell eines Schiffes unter vollen Segeln herab.
Der Lotsenkommandeur nötigte seinen Gast auf das geschweifte, mit schwarzem, zersprungenem Wachstuch bezogene Sofa, das der Tür gegenüberstand, und machte es sich selbst mit über dem Bauch gefalteten Händen in einem hölzernen Armstuhl bequem, während Herr Grünlich in fest geschlossenem Ülster, den Hut auf den Knien, ohne die Rückenlehne zu berühren, genau auf der Kante des Sofas saß.
»Mein Name«, sagte er, »ist, wie ich wiederhole, Grünlich, Grünlich von Hamburg. Um mich Ihnen zu empfehlen, erwähne ich, daß ich mich einen nahen Geschäftsfreund des Großhändlers Konsul Buddenbrook nennen darf.«
»Allabonöhr! Ist mir eine Ehre, Herr Grünlich! Aber wollen der Herr sich's nicht ein bißchen bequemer machen? Einen Grog nach der Fahrt? Ich rufe sofort in die Küche …«
»Ich erlaube mir, Ihnen zu bemerken«, sprach Herr Grünlich mit Ruhe, »daß meine Zeit gemessen ist, daß mein Wagen mich erwartet, und daß ich lediglich genötigt bin, Sie um eine Unterredung von zwei Worten zu ersuchen.«
»Dem Herrn zu Diensten«, wiederholte Herr Schwarzkopf ein wenig eingeschüchtert. Es entstand eine Pause.
»Herr Kommandeur!« begann Herr Grünlich, indem er den Kopf mit Entschlossenheit schüttelte und ihn dabei ein wenig zurückwarf. Dann schwieg er aufs neue, um die Wirkung dieser Anrede zu verstärken; er schloß seinen Mund dabei so fest wie einen Geldbeutel, den man mit Schnüren zusammenzieht.
»Herr Kommandeur«, wiederholte er und sagte dann rasch: »Die Angelegenheit, in der ich zu Ihnen komme, betrifft unmittelbar die junge Dame, die seit einigen Wochen in Ihrem Hause wohnt.«
»Mamsell Buddenbrook?« fragte Herr Schwarzkopf …
»Allerdings«, versetzte Herr Grünlich tonlos und mit gesenktem Kopfe; an seinen Mundwinkeln bildeten sich straffe Fältchen.
»Ich … sehe mich veranlaßt, Ihnen zu eröffnen«, fuhr er mit leichthin trällernder Betonung fort, indem seine Augen mit ungeheurer Aufmerksamkeit von einem Punkt des Zimmers auf einen anderen und dann zum Fenster sprangen, »daß ich vor einiger Zeit um die Hand eben dieser Demoiselle Buddenbrook angehalten habe, daß ich mich im vollen Besitz der beiderseitigen elterlichen Zustimmung befinde, und daß das Fräulein selbst mir, ohne daß zwar die Verlobung bereits in aller Form stattgefunden hätte, mit unzweideutigen Worten Anrechte auf ihre Hand gegeben hat.«
»Wahrhaftigen Gott?« fragte Herr Schwarzkopf lebhaft … »Davon hab' ich noch gar nichts gewußt! Gratuliere, Herr … Grünlich! Gratuliere Ihnen aufrichtig! Da haben Sie was Gutes, was Reelles …«
»Sehr obligiert«, sagte Herr Grünlich mit kaltem Nachdruck. »Was mich jedoch«, fuhr er mit singend erhobener Stimme fort, »in dieser Angelegenheit zu Ihnen führt, mein werter Herr Kommandeur, ist der Umstand, daß sich dieser Verbindung ganz neuerdings Schwierigkeiten in den Weg stellen, und daß diese Schwierigkeiten … von Ihrem Hause ausgehen –?« Die letzten Worte sprach er mit fragender Betonung, als wollte er sagen: Kann es möglich sein, was mir zu Ohren gekommen ist?
Herr Schwarzkopf antwortete ausschließlich dadurch, daß er seine ergrauten Augenbrauen hoch in die Stirne zog und mit beiden Händen, braunen, blondbehaarten Schifferhänden, die Armlehnen seines Stuhles ergriff.
»Ja. In der Tat. So höre ich«, sprach Herr Grünlich mit trauriger Bestimmtheit. »Ich höre, daß Ihr Sohn, der Herr Studiosus Medicinä es sich … unwissentlich zwar … gestattet hat, in meine Rechte einzugreifen, ich höre, daß er die hiesige Anwesenheit des Fräuleins dazu benutzt hat, ihr gewisse Versprechungen abzugewinnen …«
»Was?« rief der Lotsenkommandeur, indem er sich heftig auf die Armlehnen stützte und emporsprang … »Da soll doch gleich … I, dat wier je denn doch woll …« Und mit zwei Schritten war er an der Tür, riß sie auf und rief mit einer Stimme über den Korridor, welche die ärgste Brandung übertönt hätte: »meta! Morten! Tretet mal an! Tretet mal alle beide an!«
»Ich würde lebhaft bedauern«, sprach Herr Grünlich mit einem feinen Lächeln, »wenn ich durch die Geltendmachung meiner älteren Rechte Ihre eigenen väterlichen Pläne durchkreuzen sollte, Herr Kommandeur …«
Diederich Schwarzkopf wandte sich um und starrte ihm mit seinen scharfen, von kleinen Fältchen umgebenen blauen Augen ins Gesicht, als bemühte er sich vergebens, seine Worte zu verstehen.
»Herr!« sagte er dann mit einer Stimme, die klang, als hätte soeben ein scharfer Schluck Grog seine Kehle verbrannt … »Ich bin man'n einfachen Mann und versteh mich schlecht auf Medisangsen und Finessen … aber wenn Sie vielleicht meinen sollten, daß … na! denn lassen Sie sich gesagt sein, daß Sie auf dem Holzwege sind, Herr, und daß Sie sich über meine Grundsätze täuschen! Ich weiß, wer mein Sohn ist, und weiß, wer Mamsell Buddenbrook ist, und ich habe zuviel Respekt und auch zuviel Stolz im Leibe, Herr, um solche väterlichen Pläne zu machen! Und nun redet mal, nun antwortet mir mal! Was ist das eigentlich, wie? Was höre ich da eigentlich, was?…«
Frau Schwarzkopf und ihr Sohn standen in der Tür; die erstere ahnungslos, mit dem Ordnen ihrer Schürze beschäftigt, Morten mit der Miene eines verstockten Sünders … Herr Grünlich hatte sich bei ihrem Eintritt keineswegs erhoben; er verharrte in gerader und ruhevoller Haltung fest in seinen Ülster geknöpft auf der Sofakante.
»Du hast dich also wie ein dummer Junge betragen?« fuhr der Lotsenkommandeur Morten an.
Der junge Mensch hielt einen Daumen zwischen den Knöpfen seiner Joppe; er machte finstere Augen und hatte vor Trotz sogar seine Wangen aufgeblasen.
»Ja, Vater«, sagte er, »Fräulein Buddenbrook und ich …«
»So, na, denn will 'k di man vertellen, daß du 'n Döskopp büs', 'n Hanswurst, 'n groten Dummerjahn! Und daß du morgen nach Göttingen abkutschierst, hörst du wohl? morgenden Tages! Und daß das Ganze 'n Kinderkram ist, ein nichtsnutziger Kinderkram und damit Punktum!«
»Diederich, mein Gott«, sagte Frau Schwarzkopf, indem sie die Hände faltete; »das kann man doch nicht so ohne weiteres sagen! Wer weiß …« Sie schwieg und man sah, wie eine schöne Hoffnung vor ihren Augen zusammenstürzte.
»Wünschen der Herr das Fräulein zu sprechen?« wandte sich der Lotsenkommandeur mit rauher Stimme an Herrn Grünlich …
»Sie ist in ihrem Zimmer! Sie schläft!« erklärte Frau Schwarzkopf mitleidig und gerührt.
»Das bedaure ich«, sagte Herr Grünlich, obgleich er ein wenig aufatmete, und erhob sich. »Übrigens wiederhole ich, daß meine Zeit gemessen ist und daß mein Wagen mich erwartet. Ich gestatte mir«, fuhr er fort, indem er vor Herrn Schwarzkopf mit dem Hute eine Bewegung von oben nach unten beschrieb, »Ihnen, Herr Kommandeur, meine vollste Genugtuung und Anerkennung angesichts Ihres männlichen und charaktervollen Benehmens auszusprechen. Ich empfehle mich Ihnen. Ich habe die Ehre. Adieu.«
Diederich Schwarzkopf reichte ihm keineswegs die Hand: Er ließ nur kurz und ruckartig seinen schweren Oberkörper ein wenig nach vorne fallen, als wollte er sagen: So macht man es ja wohl!