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Buddenbrooks-Dritter Teil-Sechstes Kapitel
日期:2022-03-17 15:55  点击:260
In ihrem kleinen, reinlichen Zimmer, dessen Möbel mit hellgeblümtem Kattun überzogen waren, erwachte Tony am nächsten Morgen mit dem angeregten und freudigen Gefühl, mit dem man in einer neuen Lebenslage die Augen öffnet.
 
Sie setzte sich empor, und indem sie die Arme um ihre Knie schlang und den zerzausten Kopf zurücklegte, blinzelte sie in den schmalen und blendenden Streifen vom Tageslicht, der zwischen den geschlossenen Läden hindurch ins Zimmer fiel, und kramte mit Muße die gestrigen Erlebnisse wieder hervor.
 
Kaum ein Gedanke streifte Herrn Grünlichs Person. Die Stadt und der gräßliche Auftritt im Landschaftszimmer und die Ermahnungen der Familie und Pastor Köllings lagen weit zurück. Hier würde sie nun jeden Morgen ganz sorglos erwachen … Diese Schwarzkopfs waren prächtige Leute. Gestern abend hatte es wahrhaftig eine Apfelsinenbowle gegeben, und man hatte auf ein glückliches Zusammenleben angestoßen. Man war sehr vergnügt gewesen. Der alte Schwarzkopf hatte Seegeschichten zum besten gegeben und der junge von Göttingen berichtet, wo er studierte … Aber es war doch sonderbar, daß sie noch immer seinen Vornamen nicht wußte! Sie hatte mit Spannung darauf geachtet, aber er war beim Abendessen nicht mehr genannt worden, und es hätte sich wohl nicht geschickt, danach zu fragen. Sie dachte angestrengt nach … Mein Gott, wie hieß der junge Mensch! Moor … Mord …? Übrigens hatte er ihr gut gefallen, dieser Moor oder Mord. Er hatte ein so gutmütig verschmitztes Lachen, wenn er um Wasser bat und statt dessen ein paar Buchstaben mit Zahlen dahinter nannte, so daß der Alte ganz böse wurde. Ja, das sei aber die wissenschaftliche Formel für Wasser … allerdings nicht für dieses Wasser, denn die Formel für diese Travemünder Flüssigkeit sei wohl viel komplizierter. Jeden Augenblick könne man eine Qualle darin finden … Die hohe Obrigkeit habe ihre eignen Begriffe von Süßwasser … Worauf ihm wieder ein väterlicher Verweis zuteil geworden war, weil er in wegwerfendem Tone von der Obrigkeit gesprochen hatte. Frau Schwarzkopf hatte immer in Tonys Gesicht nach Bewunderung gesucht, und wahrhaftig, er sprach sehr amüsant, zugleich lustig und gelehrt … Er hatte sich ziemlich viel um sie gekümmert, der junge Herr. Sie hatte geklagt, daß sie beim Essen einen heißen Kopf bekäme, sie glaube zu viel Blut zu haben … Was hatte er geantwortet? Er hatte sie gemustert und gesagt: Ja, die Arterien an den Schläfen seien gefüllt, aber das schließe nicht aus, daß nicht genug Blut oder genug rote Blutkörperchen im Kopfe seien … Sie sei vielleicht ein bißchen bleichsüchtig …
 
Der Kuckuck sprang aus der geschnitzten Wanduhr und gluckste viele Male hell und hohl. »Sieben, acht, neun«, zählte Tony, »aufgestanden!« Und damit sprang sie aus dem Bette und stieß die Fensterläden auf. Der Himmel war ein wenig bedeckt, aber die Sonne schien. Man sah über das Leuchtenfeld mit dem Turm weit über die krause See hinaus, die rechts im Bogen von der mecklenburgischen Küste begrenzt war und sich in grünlichen und blauen Streifen erstreckte, bis sie mit dem dunstigen Horizont zusammenfloß. Nachher will ich baden, dachte Tony, aber vorher ordentlich frühstücken, damit der Stoffwechsel nicht an mir zehrt … Und damit machte sie sich lächelnd und mit raschen, vergnügten Bewegungen ans Waschen und Ankleiden.
 
Es war kurz nach halb 10 Uhr, als sie die Stube verließ. Die Tür des Zimmers, wo Tom geschlafen hatte, stand offen; er war in aller Frühe wieder zur Stadt gefahren. Schon hier oben in dem ziemlich hoch gelegenen Stockwerk, in dem nur Schlafzimmer lagen, roch es nach Kaffee. Das schien der charakteristische Geruch des kleinen Hauses zu sein, und er nahm zu, als Tony die mit einem schlichten, undurchbrochenen Holzgeländer versehene Treppe hinunterstieg und drunten über den Korridor ging, an dem Wohn- und Eßzimmer und das Büro des Lotsenkommandeurs lagen. Frisch und in bester Laune betrat sie in ihrem weißen Pikeekleide die Veranda.
 
Frau Schwarzkopf saß mit ihrem Sohne allein am Kaffeetische, der schon teilweise abgeräumt war. Sie trug eine blaukarierte Küchenschürze über ihrem braunen Kleid. Ein Schlüsselkorb stand vor ihr.
 
»Tausendmal um Vergebung«, sagte sie, indem sie aufstand, »daß wir nicht gewartet haben, Mamsell Buddenbrook! Wir sind früh auf, wir einfachen Leute. Da gibt es hunderterlei zu tun … Schwarzkopf ist in seinem Büro … Nicht wahr, Mamsell ist nicht böse?«
 
Tony ihrerseits entschuldigte sich. »Sie müssen nicht glauben, daß ich immer so lange schlafe. Ich habe ein sehr böses Gewissen. Aber die Bowle von gestern abend …«
 
Hier fing der junge Sohn des Hauses an zu lachen. Er stand, seine kurze Holzpfeife in der Hand, hinter dem Tische. Die Zeitung lag vor ihm.
 
»Ja, Sie sind schuld«, sagte Tony; »guten Morgen!… Sie haben beständig mit mir angestoßen … Jetzt verdiene ich nur noch kalten Kaffee. Ich müßte schon gefrühstückt und gebadet haben …«
 
»Nein, das wäre zu früh für eine junge Dame! Um sieben war das Wasser noch ziemlich kalt, wissen Sie; 11 Grad … das schneidet ein bißchen nach der Bettwärme …«
 
»Woher wissen Sie denn, daß ich lauwarm baden will, monsieur?« Und Tony nahm am Tische Platz. »Sie haben mir den Kaffee warm gehalten, Frau Schwarzkopf!… Aber einschenken tue ich mir selbst … vielen Dank!«
 
Die Hausfrau sah zu, wie ihr Gast die ersten Bissen aß.
 
»Und Mamsell hat gut geschlafen die erste Nacht? Ja, mein Gott, die Matratze ist mit Seegras gefüllt … wir sind einfache Leute … Aber nun wünsche ich guten Appetit und einen vergnügten Vormittag. Mamsell wird sicher mancherlei Bekannte am Strande treffen … Wenn es angenehm ist, begleitet mein Sohn Sie hin. Um Verzeihung, daß ich nicht länger Gesellschaft leiste, aber ich muß nach dem Essen sehen. Ich habe eine Bratwurst … Wir geben es so gut, wie wir können.«
 
»Ich halte mich an den Scheibenhonig«, sagte Tony, als die beiden allein waren. »Sehen Sie, da weiß man doch, was man verschluckt!«
 
Der junge Schwarzkopf stand auf und legte seine Pfeife auf die Brüstung der Veranda.
 
»Aber rauchen Sie doch! Nein, das stört mich ganz und gar nicht. Wenn ich zu Hause zum Frühstück komme, ist immer schon Papas Zigarrenrauch in der Stube … Sagen Sie mal«, fragte sie plötzlich, »ist es wahr, daß ein Ei soviel wert ist wie ein Viertelpfund Fleisch?«
 
Er wurde über und über rot. »Wollen Sie mich eigentlich zum besten haben, Fräulein Buddenbrook?« fragte er zwischen Lachen und Ärger. »Ich habe gestern abend noch einen Rüffel von Vater bekommen wegen meiner Fachsimpelei und Wichtigtuerei, wie er sagte …«
 
»Aber ich habe ganz harmlos gefragt?!« Tony hörte vor Bestürzung einen Augenblick auf zu essen. »Wichtigtuerei! Wie kann man dergleichen sagen!… Ich möchte gern etwas erfahren … Mein Gott, ich bin eine Gans, sehen Sie! Bei Sesemi Weichbrodt war ich immer unter den Faulsten. Und Sie wissen, glaube ich, so viel …« Innerlich dachte sie: Wichtigtuerei? Man befindet sich in fremder Gesellschaft, zeigt sich von seiner besten Seite, setzt seine Worte und sucht zu gefallen – das ist doch klar …
 
»Nun ja, es deckt sich in gewisser Weise«, sagte er geschmeichelt. »Was gewisse Nährstoffe betrifft …«
 
Hierauf, während Tony frühstückte und der junge Schwarzkopf fortfuhr, seine Pfeife zu rauchen, fing man an, von Sesemi Weichbrodt zu schwatzen, von Tonys Pensionszeit, von ihren Freundinnen, Gerda Arnoldsen, die nun wieder in Amsterdam war, und Armgard von Schilling, deren weißes Haus man vom Strande aus sehen konnte, wenigstens bei klarem Wetter …
 
Später, als sie schon mit essen fertig war und sich den Mund wischte, fragte Tony, indem sie auf die Zeitung deutete:
 
»Steht etwas Neues darin?«
 
Der junge Schwarzkopf lachte und schüttelte mit spöttischem Mitleid den Kopf.
 
»Ach nein … Was soll wohl darin stehen?… Wissen Sie, diese Städtischen Anzeigen sind ein klägliches Blättchen!«
 
»Oh?… Aber Papa und Mama haben sie immer gehalten?«
 
»Ja, nun!« sagte er und wurde rot … »Ich lese sie ja auch, wie Sie sehen, weil eben nichts anderes zur Hand ist. Aber daß der Großhändler Konsul So und So seine silberne Hochzeit zu feiern gedenkt, ist nicht allzu erschütternd … Ja – ja! Sie lachen … Aber Sie sollten mal andere Blätter lesen, die Königsberger Hartungsche Zeitung … oder die Rheinische Zeitung … da würden Sie etwas anderes finden! Was der König von Preußen auch sagen mag …«
 
»Was sagt er denn?«
 
»Ja … nein, das kann ich leider vor einer Dame nicht zitieren …« Und er wurde abermals rot. »Er hat sich ziemlich ungnädig über diese Presse geäußert«, fuhr er mit einem etwas gewaltsam ironischen Lächeln fort, das Tony einen Augenblick peinlich berührte. »Sie geht nicht sehr glimpflich mit der Regierung um, wissen Sie, mit den Adligen, mit Pfaffen und Junkern … sie weiß allzu geschickt die Zensur an der Nase zu führen …«
 
»Nun und Sie, gehen Sie auch nicht glimpflich mit den Adligen um?«
 
»Ich?« fragte er und geriet in Verlegenheit … Tony stand auf.
 
»Na, darüber müssen wir ein anderes Mal reden. Wie wäre es, wenn ich nun zum Strande ginge? Sehen Sie, es ist beinahe ganz blau geworden. Heute wird es nicht mehr regnen. Ich habe die größte Lust, wieder einmal in die See zu springen. Wollen Sie mich hinunter begleiten?…« 

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