Es war ziemlich spät, gegen elf Uhr, als die Gesellschaft, die sich im Landschaftszimmer noch einmal zusammengefunden hatte, beinahe gleichzeitig aufzubrechen begann. Die Konsulin begab sich sofort, nachdem sie die Handküsse aller in Empfang genommen, in ihre Zimmer hinauf, um nach dem leidenden Christian zu sehen, indem sie die Aufsicht über die Mägde beim Wegräumen des Geschirres an Mamsell Jungmann abtrat, und Mme. Antoinette zog sich ins Zwischengeschoß zurück. Der Konsul aber geleitete die Gäste die Treppe hinunter über die Diele und bis vor die Haustür auf die Straße hinaus.
Ein scharfer Wind trieb den Regen seitwärts herunter, und die alten Krögers krochen, in dicke Pelzmäntel gewickelt, eiligst in ihre majestätische Equipage, die schon lange wartete. Das gelbe Licht der Öllampen, die vorm Hause auf Stangen brannten und weiter unten an dicken, über die Straße gespannten Ketten hingen, flackerte unruhig. Hie und da sprangen die Häuser mit Vorbauten in die Straße hinein, die abschüssig zur Trave hinunterführte, und einige waren mit Beischlägen oder Bänken versehen. Feuchtes Gras sproß zwischen dem schlechten Pflaster empor. Die Marienkirche dort drüben lag ganz in Schatten, Dunkelheit und Regen gehüllt.
»Merci«, sagte Lebrecht Kröger und drückte dem Konsul, der am Wagen stand, die Hand. »Merci, Jean, es war allerliebst!« Dann knallte der Schlag, und die Equipage polterte davon. Auch Pastor Wunderlich und der Makler Grätjens gingen mit Dank ihres Weges. Herr Köppen, in einem Mantel mit fünffacher Pelerine, einen weitschweifigen grauen Zylinder auf dem Kopf und seine beleibte Gattin am Arm, sagte in seinem bittersten Baß:
»'n Abend, Buddenbrook! Na, geh' 'rein, erkält' dich nicht. Vielen Dank – du? Ich habe gegessen wie lange nicht … und mein Roter zu vier Kurantmark konveniert dir also? Gut' Nacht nochmal …«
Das Paar ging mit Konsul Kröger und seiner Familie gegen den Fluß hinunter, während Senator Langhals, Doktor Grabow und Jean Jacques Hoffstede die entgegengesetzte Richtung einschlugen …
Konsul Buddenbrook stand, die Hände in den Taschen seines hellen Beinkleides vergraben, in seinem Tuchrock ein wenig fröstelnd, ein paar Schritte vor der Haustür und lauschte den Schritten, die in den menschenleeren, nassen und matt beleuchteten Straßen verhallten. Dann wandte er sich und blickte an der grauen Giebelfassade des Hauses empor. Seine Augen verweilten auf dem Spruch, der überm Eingang in altertümlichen Lettern gemeißelt stand: – »Dominus providebit.« Während er den Kopf ein wenig senkte, trat er ein und verschloß sorgfältig die schwerfällig knarrende Haustür. Dann ließ er die Windfangtüre ins Schloß schnappen und schritt langsam über die hallende Diele. Die Köchin, die mit einem Teebrett voll Gläser klirrend die Treppe herunterkam, fragte er: »Wo ist der Herr, Trina?«
»Im Eßsaal, Herr Konsul …« Ihr Gesicht wurde so rot wie ihre Arme, denn sie war vom Lande und geriet leicht in Verwirrung.
Er ging hinauf, und noch in der dunklen Säulenhalle machte seine Hand eine Bewegung nach der Brusttasche, wo das Papier knisterte. Dann trat er in den Saal, in dessen einem Winkel noch Kerzenreste auf einem der Kandelaber brannten und die abgeräumte Tafel beleuchteten. Der säuerliche Geruch der Chalottensauce lag beharrlich in der Luft.