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Buddenbrooks-Erster Teil-Achtes Kapitel
日期:2022-03-14 10:06  点击:221
Drinnen im Eßsaale herrschte Aufbruch.
 
»Wohl bekomm's, mesdames et messieurs, gesegnete Mahlzeit! Drüben wartet für Liebhaber eine Zigarre und ein Schluck Kaffee für uns alle und, wenn Madame spendabel ist, ein Likör … Die Billards, hinten, sind zu jedermanns Verfügung, wie sich versteht; Jean, du übernimmst wohl die Führung ins Hinterhaus … Madame Köppen, – die Ehre …«
 
Plaudernd, befriedigt und in bester Laune Wünsche in betreff einer gesegneten Mahlzeit austauschend, verfügte man sich durch die große Flügeltür ins Landschaftszimmer zurück. Aber der Konsul ging nicht erst hinüber, sondern versammelte sofort die billardlustigen Herren um sich.
 
»Sie wollen keine Partie riskieren, Vater?«
 
Nein, Lebrecht Kröger blieb bei den Damen, aber Justus könne ja nach hinten gehen … Auch Senator Langhals, Köppen, Grätjens und Doktor Grabow hielten zum Konsul, während Jean Jacques Hoffstede nachkommen wollte: »Später, später! Johann Buddenbrook will Flöte blasen, das muß ich abwarten … Au revoir, messieurs …«
 
Die sechs Herren hörten noch, als sie durch die Säulenhalle schritten, im Landschaftszimmer die ersten Flötentöne aufklingen, von der Konsulin auf dem Harmonium begleitet, eine kleine, helle, graziöse Melodie, die sinnig durch die weiten Räume schwebte. Der Konsul lauschte, so lange etwas zu hören war. Er wäre gar zu gern im Landschaftszimmer zurückgeblieben, um in einem Lehnsessel bei diesen Klängen seinen Träumen und Gefühlen nachzuhängen; allein die Wirtspflicht …
 
»Bringe ein paar Tassen Kaffee und Zigarren in den Billardsaal«, sagte er zu dem Folgmädchen, das über den Vorplatz ging.
 
»Ja, Line, Kaffee, du? Kaffee!« wiederholte Herr Köppen mit einer Stimme, die aus vollem Magen kam, und versuchte, das Mädchen in den roten Arm zu kneifen. Er sprach das K ganz hinten im Halse, als schlucke und schmecke er bereits.
 
»Ich bin überzeugt, daß Madame Köppen durch die Glasscheiben gesehen hat«, bemerkte Konsul Kröger.
 
Senator Langhals fragte: »Da oben wohnst du also, Buddenbrook?«
 
Rechts führte die Treppe in den zweiten Stock hinauf, wo die Schlafzimmer des Konsuls und seiner Familie lagen; aber auch an der linken Seite des Vorplatzes befand sich noch eine Reihe von Räumen. Die Herren schritten rauchend die breite Treppe mit dem weißlackierten, durchbrochenen Holzgeländer hinunter. Auf dem Absatz blieb der Konsul stehen.
 
»Dies Zwischengeschoß ist noch drei Zimmer tief«, erklärte er; »das Frühstückszimmer, das Schlafzimmer meiner Eltern und ein wenig benutzter Raum nach dem Garten hinaus; ein schmaler Gang läuft als Korridor nebenher … Aber vorwärts! – Ja, sehen Sie, die Diele wird von den Transportwagen passiert, sie fahren dann durch das ganze Grundstück bis zur Bäckergrube.«
 
Die weite, hallende Diele drunten war mit großen, viereckigen Steinfliesen gepflastert. Bei der Windfangtüre sowohl wie am anderen Ende lagen Kontorräumlichkeiten, während die Küche, aus der noch immer der säuerliche Geruch der Chalottensauce hervordrang, mit dem Weg zu den Kellern links von der Treppe lag. Ihr gegenüber, in beträchtlicher Höhe, sprangen seltsame, plumpe aber reinlich lackierte Holzgelasse aus der Wand hervor: die Mädchenkammern, die nur durch eine Art freiliegender, gerader Stiege von der Diele aus zu erreichen waren. Ein Paar ungeheurer alter Schränke und eine geschnitzte Truhe standen daneben.
 
Durch eine hohe Glastür trat man über einige ganz flache, befahrbare Stufen auf den Hof hinaus, an dem linkerseits sich das kleine Waschhaus befand. Man blickte von hier aus in den hübsch angelegten, jetzt aber herbstlich grauen und feuchten Garten hinein, dessen Beete mit Strohmatten gegen den Frost geschützt waren, und der dort hinten vom »Portal« abgeschlossen ward, der Rokokofassade des Gartenhauses. Die Herren aber schlugen vom Hofe aus den Weg zur linken ein, der zwischen zwei Mauern über einen zweiten Hof zum Rückgebäude führte.
 
Dort führten schlüpfrige Stufen in ein kelleriges Gewölbe mit Lehmboden hinab, das als Speicher benutzt wurde, und von dessen höchstem Boden ein Tau zum Hinaufwinden der Kornsäcke herabhing. Aber man stieg zur Rechten die reinlich gehaltene Treppe ins erste Stockwerk hinauf, woselbst der Konsul seinen Gästen die weiße Türe zum Billardsaale öffnete.
 
Herr Köppen warf sich erschöpft auf einen der steifen Stühle, die an den Wänden des weiten, kahl und streng aussehenden Raumes standen.
 
»Ich sehe fürs erste zu!« rief er und klopfte die feinen Regentropfen von seinem Leibrock. »Hole mich der Teufel, was ist das für eine Reise durch Euer Haus, Buddenbrook!«
 
Ähnlich wie im Landschaftszimmer brannte hier hinter einem Messinggitter der Ofen. Durch die drei hohen und schmalen Fenster blickte man über feuchtrote Dächer, graue Höfe und Giebel …
 
»Eine Karambolage, Herr Senator?« fragte der Konsul, während er die Queues aus den Gestellen nahm. Dann ging er umher und schloß die Löcher der beiden Billards. »Wer will mit uns sein? Grätjens? Der Doktor? All right. Grätjens und Justus, dann nehmen Sie das andere … Köppen, du mußt mitspielen.«
 
Der Weinhändler stand auf und horchte, den Mund voll Zigarrenrauch, auf einen starken Windstoß, der zwischen den Häusern pfiff, den Regen prickelnd gegen die Scheiben trieb und sich heulend im Ofenrohr verfing.
 
»Verflucht!« sagte er und stieß den Rauch von sich. »Glaubst du, daß der ›Wullenwewer‹ zu Hafen kann, Buddenbrook? Was für ein Hundewetter …«
 
Ja, die Nachrichten aus Travemünde waren nicht die besten; dies bestätigte auch Konsul Kröger, der das Leder seines Stockes kreidete. Stürme in allen Küsten. Anno 24 war es, weiß Gott, nicht viel schlimmer, als in St. Petersburg die große Wasserflut war … Na, da kam der Kaffee.
 
Man bediente sich, man trank einen Schluck und begann zu spielen. Dann aber begann man vom Zollverein zu sprechen … oh, Konsul Buddenbrook war begeistert für den Zollverein!
 
»Welche Schöpfung, meine Herren!« rief er, sich nach einem geführten Stoße lebhaft umwendend, zum anderen Billard hinüber, wo das erste Wort gefallen war. »Bei erster Gelegenheit sollten wir beitreten …«
 
Herr Köppen aber war nicht dieser Meinung, nein, er schnob geradezu vor Opposition.
 
»Und unsere Selbständigkeit? Und unsere Unabhängigkeit?« fragte er beleidigt und sich kriegerisch auf sein Queue stützend. »Wie steht es damit? Würde Hamburg es sich beifallen lassen, bei dieser Preußenerfindung mitzutun? Wollen wir uns nicht gleich einverleiben lassen, Buddenbrook? Gott bewahre uns, nein, was sollen wir mit dem Zollverein, möchte ich wissen! Geht nicht alles gut?…«
 
»Ja, du mit deinem Rotspohn, Köppen! Und dann vielleicht mit den russischen Produkten, davon sage ich nichts. Aber weiter wird ja nichts importiert! Und was den Export betrifft, nun ja, so schicken wir ein bißchen Korn nach Holland und England, gewiß!… Ach nein, es geht leider nicht alles gut. Es sind bei Gott hier ehemals andere Geschäfte gemacht worden … Aber im Zollverein würden uns die Mecklenburgs und Schleswig-Holstein geöffnet werden … Und es ist nicht auszurechnen, wie das Propregeschäft sich aufnehmen würde …«
 
»Aber ich bitte Sie, Buddenbrook«, fing Grätjens an, indem er sich lang über das Billard beugte und den Stock auf seiner knochigen Hand sorgsam zielend hin und her bewegte, »dieser Zollverein … ich verstehe das nicht. Unser System ist doch so einfach und praktisch, wie? Die Einklarierung auf Bürgereid …«
 
»Eine schöne alte Institution.« Dies mußte der Konsul zugeben.
 
»Nein, wahrhaftig, Herr Konsul, – wenn Sie etwas ›schön‹ finden!« Senator Langhals war ein wenig entrüstet: »Ich bin ja kein Kaufmann … aber wenn ich ehrlich sein soll – nein, das mit dem Bürgereid ist ein Unfug, allmählich, das muß ich sagen! Es ist eine Formalität geworden, über die man ziemlich schlank hinweggeht … und der Staat hat das Nachsehen. Man erzählt sich Dinge, die denn doch arg sind. Ich bin überzeugt, daß der Eintritt in den Zollverein von seiten des Senates …«
 
»Dann gibt es einen Konflikt –!« Herr Köppen stieß zornentbrannt das Queue auf den Boden. Er sagte »Kongflick« und stellte jetzt alle Vorsicht in betreff der Aussprache hintan. »Einen Kongflick, da versteh' ich mich auf. Nee, alle schuldige Achung, Herr Senater, aber Sie sind ja woll nich zu helfen, Gott bewahre!« Und er redete hitzig von Entscheidungskommissionen und Staatswohl und Bürgereid und Freistaaten …
 
Gottlob, daß Jean Jacques Hoffstede ankam! Arm in Arm mit Pastor Wunderlich trat er herein, zwei unbefangene und muntere alte Herren aus sorgloserer Zeit.
 
»Nun, meine braven Freunde«, fing er an, »ich habe etwas für Sie; einen Scherz, etwas Lustiges, ein Verslein nach dem Französischen … passen Sie auf!«
 
Er ließ sich gemächlich auf einen Stuhl nieder, den Spielern gegenüber, die, auf ihre Queues gestützt, an den Billards lehnten, zog ein Blättchen aus der Tasche, legte den langen Zeigefinger mit dem Siegelring an die spitze Nase und verlas mit einer fröhlichen und naiv-epischen Betonung:
 
»Als Sachsens Marschall einst die stolze Pompadour
Im goldnen Phaeton – vergnügt spazieren fuhr,
Sah Frelon dieses Paar –
oh, rief er, seht sie beide!
Des Königs Schwert – und seine Scheide!«
Herr Köppen stutzte einen Augenblick, ließ dann Kongflick und Staatswohl dahinfahren und stimmte in das Gelächter der übrigen ein, daß der Saal widerhallte. Pastor Wunderlich aber war an ein Fenster getreten und kicherte, der Bewegung seiner Schultern nach zu urteilen, still vor sich hin.
 
Man blieb noch eine gute Weile beisammen, hier hinten im Billardsaal, denn Hoffstede hatte noch mehr Scherze ähnlicher Art in Bereitschaft. Herr Köppen hatte seine ganze Weste geöffnet und war bei bester Laune, denn er befand sich besser hier als im Speisesaal bei Tische. Er machte drollige plattdeutsche Redensarten bei jedem Stoß und rezitierte dann und wann beglückt vor sich hin:
 
»Als Sachsens Marschall einst …«
 
Das Verslein nahm sich wunderlich genug aus in seinem rauhen Baß … 

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