»Um es frei herauszusagen, mein ganzes Unglück bestand darin, daß ich mich dir und meinem teuren Gemahl entrissen sah. Was meine Entführung betrifft, so hat Alaeddin nicht den mindesten Teil daran: ich selbst bin allein daran schuld, aber auf eine höchst unschuldige Weise.« Um nun den Sultan von der Wahrheit ihrer Worte zu überzeugen, erzählte sie ihm umständlich,[115] wie der afrikanische Zauberer sich in einen Lampenhändler verkleidet habe, der alte Lampen gegen neue eintauschte, und wie sie dann zur Kurzweil Alaeddins Lampe, deren geheime Kraft und Wichtigkeit sie nicht gekannt, gegen eine neue eingetauscht, worauf der Palast nebst ihr und den übrigen Bewohnern in die Höhe gehoben und samt dem afrikanischen Zauberer nach Afrika versetzt worden sei.
Um sich vollends zu überzeugen, ging der Sultan hinauf, und als er den afrikanischen Zauberer tot und im Gesicht ganz schwarzblau von dem Gifte sah, umarmte er Alaeddin mit vieler Zärtlichkeit und sagte zu ihm: »Mein Sohn, halte mir mein Betragen gegen dich zugute; bloß meine Vaterliebe hat mich dazu veranlaßt, und du mußt mir die Übereilung, zu der ich mich hinreißen ließ, verzeihen.« – »Herr,« erwiderte Alaeddin, »ich habe nicht die mindeste Ursache, mich über dich zu beklagen; du hast nur getan, was du tun mußtest. Dieser schändliche Zauberer, dieser Auswurf der Menschheit, war die einzige Ursache, daß ich deine Gnade verlor. Wenn du einmal Muße haben wirst, so werde ich dir von einer andern Bosheit erzählen, die er mir angetan und die nicht minder schwarz ist, als seine letzte, vor der mich Gottes ganz absonderliche Gnade behütet hat.« – »Ich werde mir diese Muße ausdrücklich dazu nehmen,« antwortete der Sultan, »und zwar recht bald. Jetzt aber laß uns nur darauf denken, fröhlich zu sein, auch sorge, daß dieser verhaßte Gegenstand fortgeschafft wird.«
Alaeddin ließ den Leichnam des afrikanischen Zauberers wegbringen und auf den Schindanger werfen, um dort den Vögeln und Tieren zur Nahrung zu dienen. Der Sultan aber gab Befehl, durch Trommeln, Pauken, Trompeten und andere Instrumente das Zeichen zur allgemeinen öffentlichen Freude zu geben, und ließ ein zehntägiges Freudenfest ankündigen, um die Rückkehr der Prinzessin Bedrulbudur und Alaeddins zu feiern.
So entging denn Alaeddin zum zweitenmal einer Todesgefahr, der er beinahe erliegen mußte; allein es war noch nicht die letzte, und er mußte noch eine dritte, gleich gefährliche Prüfung bestehen.
Der afrikanische Zauberer hatte noch einen jüngern Bruder, der in der Zauberkunst nicht minder geschickt war, als er; ja man[116] kann sagen, daß er ihn an Bosheit und verderblichen Ränken noch übertraf. Da sie nicht immer beisammen oder in derselben Stadt lebten, und der eine sich manchmal im Osten befand, während der andere im Westen war, so unterließen sie es nicht, mit Hilfe der Punktierkunst alle Jahre einmal auszumitteln, in welchem Teile der Welt jeder von ihnen lebe, wie er sich befinde und ob er nicht die Hilfe des andern bedürfe.
Kurze Zeit, nachdem der afrikanische Zauberer in der Unternehmung gegen Alaeddins Glück den Tod gefunden hatte, wollte sein jüngerer Bruder, der seit Jahr und Tag keine Nachrichten von ihm hatte und sich nicht in Afrika, sondern in einem sehr entlegenen Land aufhielt, erfahren, an welchem Ort der Erde er lebe, wie er sich befinde und was er treibe. Er endeckte nun, daß sein Bruder nicht mehr auf der Welt, daß er vergiftet worden und plötzlich gestorben sei, daß dies in China an dem und dem Orte geschehen, und endlich, daß der, welcher ihn vergiftet, ein Mann von niedriger Abkunft sei, der eine Prinzessin des Sultans geheiratet habe.
Als der Zauberer das traurige Ende seines Bruders erfahren hatte, verlor er keine Zeit mit nutzlosem Jammern, sondern beschloß augenblicklich, seinen Tod zu rächen, stieg zu Pferde und begab sich auf den Weg nach China. Er mußte über Ebenen, Flüsse, Berge, Einöden, und nach langer Reise kam er endlich unter unglaublichen Beschwerden nach China und bald darauf in die Hauptstadt.
Den Tag nach seiner Ankunft ging der Zauberer aus und spazierte in der Stadt herum. An einem der Orte, wo man sich mit allerlei Arten von Spielen die Zeit vertrieb, und wo, während die einen spielten, die andern sich von den Neuigkeiten des Tages oder auch von ihren eigenen Geschichten unterhielten, hörte er gar merkwürdige Dinge erzählen von der Tugend und Frömmigkeit, ja selbst von den Wundertaten einer von der Welt abgeschiedenen Frau, namens Fatime. Da er nun glaubte, diese Frau könne ihm bei seinem Vorhaben vielleicht in irgend etwas behilflich sein, nahm er einen von der Gesellschaft beiseite und bat ihn um nähere Auskunft über die heilige Frau und über die Art von Wundern, die sie verrichte.
»Wie!« sagte der Angeredete zu ihm, »du hast diese Frau noch[117] nie gesehen und auch nicht von ihr sprechen gehört? Sie ist durch ihr Fasten, ihre strenge Lebensweise und das Beispiel, das sie gibt, Gegenstand der allgemeinen Bewunderung in der ganzen Stadt. Außer Montags und Freitags geht sie nie aus ihrer kleinen Einsiedelei heraus, und an den Tagen, wo sie sich in der Stadt sehen läßt, tut sie unendlich viel Gutes, auch heilt sie jeden, der mit Kopfschmerzen behaftet ist, durch Auflegung ihrer Hände.« Der Zauberer verlangte über diesen Punkt nichts mehr zu wissen, sondern fragte nur noch, in welchem Teile der Stadt die Einsiedelei der heiligen Frau wäre. Der Mann beschrieb ihm genau die Stelle.
Gegen Mitternacht ging der Zauberer geraden Wegs nach der Einsiedelei Fatimes, der heiligen Frau; denn unter diesem Namen war sie in der ganzen Stadt bekannt. Er öffnete ohne Mühe die mit einer bloßen Klinke verschlossene Tür, trat hinein und machte die Türe ganz leise wieder zu; drinnen erblickte er bei hellem Mondschein Fatime, die an freier Luft auf einem mit einer schlechten Matte überdeckten Sofa schlief und gegen ihre Zelle hingelehnt dalag. Er näherte sich ihr, zog einen Dolch, den er an seiner Seite trug, und weckte sie.
Als die arme Fatime die Augen aufschlug, erschrak sie über die Maßen beim Anblick eines Mannes, der im Begriff war, sie zu erdolchen. Er setzte ihr den Dolch auf die Brust, machte Miene zuzustoßen und sagte: »Wenn du schreist oder nur das mindeste Geräusch machst, so bist du des Todes; steh aber jetzt auf und tue, was ich dir sagen werde.«
Fatime, die sich in ihren Kleidern niedergelegt hatte, stand zitternd und bebend auf. »Fürchte dich nicht,« sagte der Zauberer zu ihr, »ich verlange bloß dein Kleid, gib es mir und nimm dafür das meinige.« Sie vertauschten ihre Kleider, und nachdem der Zauberer das Kleid Fatimens angezogen hatte, sagte er zu ihr: »Jetzt färbe mir das Gesicht gleich dem deinigen, und zwar so, daß ich dir ähnlich sehe und die Farbe sich nicht verwischt.« Da er sah, daß sie noch immer zitterte, sagte er, um sie zu beruhigen, und damit sie mit um so größerer Zuversicht seinen Wunsch erfüllen möchte, abermals zu ihr: »Fürchte dich nicht; ich schwöre dir bei dem Namen Gottes, daß ich dir das Leben lasse.« Fatime hieß ihn in ihre Zelle treten, zündete ihre Lampe[118] an, nahm einen Pinsel und einen gewissen Saft, den sie in einem Gefäße stehen hatte, rieb ihm damit das Gesicht ein und versicherte ihm dann, die Farbe werde nicht ausgehen und sein Gesicht sei jetzt durchaus ganz wie das ihrige. Hierauf setzte sie ihm ihre eigene Kopfbekleidung aufs Haupt nebst ihrem Schleier und zeigte ihm, wie er sich auf seinem Gang durch die Stadt das Gesicht damit verhüllen müsse. Endlich, nachdem sie ihm noch einen großen Rosenkranz, der ihm vorne bis auf den Gürtel herabhing, um den Hals geschlungen, gab sie ihm denselben Stab, den sie gewöhnlich trug, in die Hand, hielt ihm dann einen Spiegel vor und sagte zu ihm: »Da blicke einmal hinein und du wirst sehen, daß du mir gleichst, wie ein Ei dem andern.« Der Zauberer fand alles nach Wunsch, hielt aber der guten Fatime den Schwur nicht, den er ihr so feierlich geleistet hatte. Damit man keine Blutspuren sehen möchte, wenn er sie erstäche, so erwürgte er sie, und als er sah, daß sie den Geist aufgegeben hatte, schleppte er ihren Leichnam an den Füßen zum Wasserbehälter der Einsiedelei und warf ihn da hinein.
Nach Vollführung dieser verruchten Mordtat brachte der als heilige Fatime verkleidete Zauberer den Rest der Nacht in der Einsiedelei zu. Am andern Morgen ging er, obgleich dies kein gewöhnlicher Ausgangstag für die heilige Frau war, dennoch aus, denn er glaubte, es würde ihn niemand darum fragen, und wenn man ihn fragte, so würde er schon zu antworten wissen. Da er sich bei seiner Ankunft vor allen Dingen nach Alaeddins Palast erkundigt hatte, und da er dort seine Rolle spielen wollte, so nahm er sogleich seinen Weg dahin.
Jedermann hielt ihn für die heilige Frau, und so wurde er bald von einer großen Menschenmasse umringt. Einige empfahlen sich seinem Gebet, andere küßten ihm die Hand, andere, die noch ehrerbietiger waren, küßten bloß den Saum seines Kleides, und noch andere, die entweder wirklich Kopfweh hatten, oder sich nur dagegen verwahren wollten, neigten sich vor ihm, damit er ihnen die Hände auflegen möchte, was er auch tat, indem er einige gebetähnliche Worte murmelte; kurz, er ahmte die heilige Frau so gut nach, daß jedermann ihn dafür ansah. Nachdem er mehrere Male unterwegs stehen geblieben war, um solche Leute zu befriedigen, die von dieser Art Händeauflegung[119] weder einen Nutzen noch einen Schaden hatten, kam er endlich auf den Platz vor Alaeddins Palast, wo sich noch mehr Volk versammelt hatte, so daß es große Mühe kostete, sich ihm zu nähern. Die Stärksten und Eifrigsten drängten sich mit Gewalt durch das Gewühl, und darüber erhoben sich Klagen und ein solches Geschrei, daß man es in dem Saal mit den vierundzwanzig Fenstern, wo die Prinzessin Bedrulbudur war, hören konnte.
Die Prinzessin fragte, was der Lärm bedeuten sollte, und da es ihr niemand sagen konnte, befahl sie nachzusehen und ihr Bericht abzustatten. Eine ihrer Frauen sah, ohne den Saal zu verlassen, durch ein Fenster und meldete ihr sodann, der Lärm komme von der Volksmenge her, die die heilige Frau umgebe, um sich durch ihr Handauflegen das Kopfweh vertreiben zu lassen.
Die Prinzessin, die schon lange Zeit viel Gutes von der heiligen Frau gehört, sie aber noch nicht gesehen hatte, wurde neugierig, ihre Bekanntschaft zu machen und mit ihr zu sprechen. Sobald sie etwas davon verlauten ließ, sagte der Obere der Verschnittenen, wenn sie es wünsche, so wolle er sie heraufkommen lassen. Die Prinzessin genehmigte es und er fertigte sogleich vier Verschnittene ab mit dem Befehl, die angebliche heilige Frau heraufzubringen.