Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: „Bassa von Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan stehst.“
Als mein Bruder dies hörte, warf er sich nieder vor jenem und antwortete: „O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein armer Unglücklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!“
Alle im Zelt waren über diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes aber sprach: „Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich will die Leute vorführen, die dich wohl kennen.“ Er befahl, Zuleima vorzufahren. Man brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die Frage, ob sie in meinem Bruder nicht den Bassa von Sulieika erkenne, antwortete: „Jawohl!“ Und sie schwöre es beim Grab des Propheten, es sei der Bassa und kein anderer.
„Siehst du, Erbärmlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist!“ begann zürnend der Starke. „Du bist mir zu elend, als daß ich meinen guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte, aber an den Schweif meines Rosses will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht, und durch die Wälder mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Hügel von Sulieika!“
Da sank meinem armen Bruder der Mut. „Das ist der Fluch meines harten Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt“, rief er weinend, „und auch du bist verloren, süße Schwester, auch du, Zoraide!“
„Deine Verstellung hilft dir nichts“, sprach einer der Räuber, indem er ihm die Hände auf den Rücken band, „mach, daß du aus dem Zelte kommst! Denn der Starke beißt sich in die Lippen und blickt nach seinem Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!“
Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt führen wollten, begegneten sie drei anderen, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. Sie traten mit ihm ein. „Hier bringen wir den Bassa, wie du uns befohlen hast“, sprachen sie und führten den Gefangenen vor das Polster des Starken. Als der Gefangene dorthin geführt wurde, hatte mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die Ähnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er dunkler im Gesicht und hatte einen schwärzeren Bart.
Der Starke schien sehr erstaunt über die Erscheinung des zweiten Gefangenen. „Wer von euch ist denn der Rechte?“ sprach er, indem er bald meinen Bruder, bald den anderen Mann ansah.
„Wenn du den Bassa von Sulieika meinst“, antwortete in stolzem Ton der Gefangene, „der bin ich!“ Der Starke sah ihn lange mit seinem ernsten, furchtbaren Blick an; dann winkte er schweigend, den Bassa wegzuführen.
Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt seine Bande mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu setzen. „Es tut mir leid, Fremdling“, sagte er, „daß ich dich für jenes Ungeheuer hielt; schreibe es aber einer sonderbaren Fügung des Himmels zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes Verruchten geweiht war, in die Hände meiner Brüder führte.“ Mein Bruder bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich werden könne. Der Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschäften, und als ihm Mustapha alles erzählt hatte, überredete ihn jener, diese Nacht in seinem Zelt zu bleiben, er und sein Roß werden der Ruhe bedürfen; den folgenden Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in anderthalb Tagen nach Balsora bringe—Mein Bruder schlug ein, wurde trefflich bewirtet und schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des Räubers.
Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt; vor dem Vorhang des Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, die dem Herrn des Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen Mann anzugehören schienen. Er lauschte ein wenig und hörte zu seinem Schrecken, daß der Kleine dringend den anderen aufforderte, den Fremden zu töten, weil er, wenn er freigelassen würde, sie alle verraten könnte. Mustapha merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er die Ursache war, daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke schien sich einige Augenblicke zu besinnen. „Nein“, sprach er, „er ist mein Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig; auch sieht er mir nicht aus, als ob er uns verraten wollte.“