Mittwochs, den 23. Mai, setzte der Forward seine abenteuerliche Fahrt fort, indem er mitten zwischen den Eisblöcken und Eisbergen geschickt lavirte, Dank der fügsamen Dampfkraft, welche so vielen Polarmeer-Fahrern abging; es schien für ihn ein Spiel inmitten der schwimmenden Klippen; es war, als erkenne er die Hand des erfahrenen Herrn, und gleich einem Roß unter einem geschickten Reiter war er dem Gedanken seines Kapitäns dienstbar.
Die Temperatur war wieder im Steigen. Das Thermometer zeigte um sechs Uhr früh sechsundzwanzig Grad (– 3° hunderttheilig), um sechs Uhr Abends neunundzwanzig (–2° hunderttheilig) und um Mitternacht fünfundzwanzig (– 4° hunderttheilig); es wehte ein leichter Südwest.
Donnerstags um drei Uhr Morgens kam der Forward gegenüber der Bai Possession an der Küste Amerikas beim Anfang des Lancaster-Sunds; bald sah man Cap Burney. Es fuhren einige Eskimos auf das Schiff zu, aber Hatteras nahm sich nicht die Zeit auf sie zu warten.
Die das Cap Liverpool beherrschenden Spitzen Byam-Martin, welche man links ließ, verloren sich im Abendnebel; dieser hinderte auch das Cap Hay aufzunehmen, dessen übrigens sehr niedrige Spitze sich unter den Eisblöcken der Küste verlor, ein Umstand, welcher die hydrographische Bestimmung der Polar-Meere oft sehr schwierig macht.
Die Sturmvögel, Enten, weißen Möwen zeigten sich in sehr großer Zahl. Die Breite betrug 74° 01, die Länge 77° 15.
Die beiden Berge Katharine und Elisabeth ragten mit ihren Schneekappen über dem Gewölk empor.
Freitags um sechs Uhr fuhr man Cap Warender auf der rechten Küste der Meerenge vorüber, auf der linken vor Admiralty-Inlet, einer von den Seefahrern, die westwärts eilten, noch wenig untersuchten Bai. Das Meer wogte stark, so daß oft das Verdeck der Brigg von den Wellen bespült und mit Eisstücken besprengt wurde. Das Land der Nordküste bot den Blicken merkwürdige Ansichten dar mit fast wagerechten Hochflächen, welche die Sonnenstrahlen zurückwarfen.
Hatteras wäre gern längs den Nord-Ländern gefahren, um desto eher zur Beechey-Insel und der Einfahrt des Wellington-Canals zu gelangen; aber eine zusammenhängende Eisdecke nöthigte ihn, zu großem Bedauern, sich südlicher zu halten.
Aus diesem Grunde befand sich am 26. Mai, mitten im Nebel mit Schneegestöber, der Forward dem Cap York gegenüber; ein großes und steiles Gebirge machte es kenntlich, da das Wetter ein wenig heller geworden; es zeigte sich gegen Mittag eine Weile die Sonne, so daß man ziemlich gute Beobachtung anstellen konnte: 74° 4 Breite und 84° 3 Länge. Der Forward befand sich demnach am Ende des Lancaster-Sundes.
Hatteras zeigte dem Doctor auf den Karten den Weg, welchen er einschlug und verfolgen wollte. Die Lage der Brigg war in dem Augenblick, interessant. »Es wäre mir lieber, sagte er, wir befänden uns weiter nördlich; aber nach dem Unmöglichen muß man nicht streben. Sehen Sie genau unsere Lage.« Es war nicht weit vom Cap York.
»Wir befinden uns mitten in dem nach allen Richtungen hin offenen Kreuzungspunkt, welcher durch die Mündungen des Lancaster-Sunds, der Barrow-Straße, des Wellington-Canals und der Regenten-Durchfahrt gebildet wird. An diesen Punkt müssen nothwendig alle Befahrer dieser Meere kommen.
– Nun, erwiderte der Doctor, da mußten sie in Verlegenheit kommen; denn es ist wirklich ein Kreuzpunkt, wie Sie sagen, wo vier Hauptstraßen zusammenlaufen, und es sind da keine Wegweiser! Wie haben es da die Parry, Roß und Franklin gemacht?
– Sie haben gar nichts gemacht, Doctor, sie haben gewähren lassen; sie hatten sicherlich keine Wahl; bald verschloß sich dem Einen die Barrow-Straße, welche im folgenden Jahr einem Anderen offen war; bald wurde das Schiff unausweichlich in die Regenten-Durchfahrt hingeführt. Aus alle dem ergab sich durch die Gewalt der Dinge zuletzt eine genauere Kenntniß der hier so verwickelten Meere.
– Was für ein sonderbares Land, sagte der Doctor mit einem Blick auf die Karte. Wie ist da Alles ausgezackt, zerrissen, zerfetzt, ohne alle Ordnung und Gedankeneinheit. Es hat den Anschein, als seien die Länder in der Nähe des Nordpols nur deshalb so zerstückelt, um die Annäherung schwieriger zu machen, während auf der andern Hemisphäre sie in milden und glatten Spitzen auslaufen, wie das Cap Horn, das der guten Hoffnung, und der Indischen Halbinsel! Liegt der Grund dieser Gestaltungen etwa in der raschen Rotationsbewegung unterm Aequator, während das Land in der Umgebung der Pole, als es in der Urepoche noch flüssig war, sich nicht so verdichten, aneinander anschichten konnte, wegen geringerer Rotationskraft?
– Das muß wohl der Grund sein, denn Alles in der Welt hat seine gesetzmäßige Regel, und es ist nichts ohne hinreichende Gründe entstanden, welche Gott bisweilen den Gelehrten zu erforschen gestattet; also, Doctor, machen Sie Gebrauch von dieser Gewährung.
– Ich werde leider darin bescheiden sein, Kapitän. Aber was herrscht für ein entsetzlicher Wind in dieser Straße? fügte der Doctor bei, indem er sich so viel als möglich einwickelte.
– Ja, der Nordwind tobt da zumeist, und treibt uns aus unserer Bahn.
– Er sollte jedoch zwar die Eisblöcke südwärts treiben, aber sonst nicht die Bahn stören.
– Er sollte wohl Doctor, aber der Wind thut nicht immer seine Schuldigkeit. Sehen Sie! Diese Eisdecke scheint undurchdringlich. Kurz, wir wollen versuchen, bis zur Insel Griffith zu kommen, dann um die Insel Cornwallis zu fahren, um den Canal der Königin zu erreichen, ohne durch den Wellington-Canal zu fahren. Und inzwischen will ich durchaus an der Insel Beechey landen, um meinen Kohlenvorrath zu ergänzen. – Wie so? erwiderte der Doctor erstaunt. – Allerdings; auf Befehl der Admiralität sind dort große Vorräthe gelagert, um künftige Expeditionen damit zu versehen; und obwohl der Kapitän Mac Clintock im August 1859 davon mitgenommen hat, so versichere ich Sie, daß noch welche für uns vorhanden sind.
– In der That, sagte der Doctor, find diese Gegenden während fünfzehn Jahren untersucht worden, und bis zu dem Tag, wo man den unzweideutigen Beweis vom Untergang Franklins erhielt, hat die Admiralität stets fünf bis sechs Schiffe in diesen Meeren unterhalten. Irre ich nicht, so ist selbst die Insel Griffith, welche ich da auf der Karte sehe, fast mitten auf der Kreuzung, zu einem allgemeinen Rendezvous der Seefahrer geworden.
– So ist es in Wahrheit, Doctor, und die unglückliche Expedition Franklins hatte zum Resultat, daß wir mit diesen fernen Gegenden näher bekannt wurden.