Wir durchsuchten das Schiff, fanden es aber ausgestorben und wie ausgeplündert, daher nahmen wir nur das Schiffsbuch mit, um uns über das Schicksal des Schiffes und seiner Bemannung zu unterrichten. »Weißt du was«, sagte ich zu meinem Neffen, »die Toten wollen begraben sein! Aber nicht im Meere, sondern auf einem Scheiterhaufen, wozu wir ihr Schiff benutzen.« Mein Neffe dachte nach, nickte beistimmend, und in wenigen Minuten knisterte die helle Flamme im Schiffe. Rasch und innerlich froh, das unheimliche Fahrzeug wieder verlassen zu können, eilten wir zu unsrer Brigg zurück und sahen von dort aus das brennende Totenschiff, wie es die Matrosen nannten, davonsegeln, sich weiter und weiter entfernen, bis es am Horizonte endlich wie ein Punkt verschwand. Das Ganze würde uns wie ein Traum vorgekommen sein, hätte uns nicht das Schiffsbuch davon überzeugt, daß wir den Abschluß einer wahren Begebenheit erlebt hätten. Neugierig blätterten wir das Schiffsbuch durch und erfuhren, daß das Totenschiff eigentlich ein Walfischfahrer war, mit Namen »Hemskerk«, welchen Delfter Reeder in das Grönländische Meer auf die Jagd ausgesandt hatten. Die Unternehmung hatte, den Aufzeichnungen zufolge, anfänglich den gewünschten Erfolg gehabt, dann aber zeigten sich die Wale nur noch selten, und man beschloß daher, weiter nach Norden vorzudringen, um neue Jagdgründe zu entdecken. Man kreuzte hin und her; darüber verstrichen zehn bis zwölf Tage, es trat ein zeitiger Winter ein; die Walfischfahrer mußten umkehren und befanden sich bald mitten zwischen Eisschollen und Eisbergen. Tag und Nacht dröhnte, krachte und knallte es von zusammenstoßenden, berstenden Schollen, und schwankend taumelte das Schiff. Endlich tauchte eine große, mächtige Scholle unter, verschwand unter dem Schiffe, hob sich aber mitsamt demselben, welches nun auf die Seite sank und in dieser Stellung verblieb.
Die Seefahrer waren zwischen Eis- und Gletschermassen eingesperrt und mußten sich zu einer Überwinterung einrichten. Bald trat Mangel ein; es ging bereits mit dem Öl und Brennmaterial sehr knapp her. Da es an frischem Fleische fehlte, brachen Krankheiten aus, die Leute wurden zaghaft, lungerten traurig und verdrossen umher und erfroren lieber, als daß sie sich dem langsameren Hungertode aussetzten.
Mit jeder Woche wurde die Zahl der Gestorbenen größer, und die Überlebenden waren so matt, daß sie sich kaum von der Stelle bewegen konnten. Was nur genießbar erschien, wurde zu essen versucht: die Haut der Pelze, das Leder der Stiefelschäfte, sogar Sägespäne. Nur drei Mann überlebten den Winter und das Frühjahr. Der Sommer schien endlich Erlösung zu bringen, denn das Eis teilte sich und das Schiff gewann wieder das freie Meer; aber in welchem Zustande! Die Masten waren vom Sturm und beim halben Umstürzen zerbrochen, das Steuerruder unbrauchbar, die Überlebenden ohne alle Kräfte. Was half da die erlangte Freiheit! Jeder trug den Tod bereits in sich und sah ihn voraus.
»So sitze ich denn«, schloß der Bericht, »ganz allein in dem ausgestorbenen und ausgeleerten Schiffe, nehme meine letzte Kraft zusammen, um der Welt und den Meinigen in Gedanken für immer lebewohl zu sagen und dann zu sterben. Mir flirrt es schon vor den Augen, der Kopf ist mir wie ausgeblasen und leer; so lebt denn wohl, lebt wohl, herzinnig geliebtes Weib und Kind!« – –
Lange saßen wir schweigend uns gegenüber, nachdem wir den Bericht gelesen; es überlief uns eiskalt, wenn wir uns in die Lage des Schreibers versetzt dachten. Lebhaft malte sich unsre Einbildung die Szenen aus, welche der Kapitän und seine Untergebenen durchlebt haben mußten, als sie in dem Totenschiff einsam dahinzogen durch das dunkle Meer und die schneeerfüllte Luft!
»So etwas kann nur ein Seemann erleben!« sagte mein Neffe, warf einen sinnenden Blick durch das Kajüttenfenster aufs rauschende Meer, wandte sich dann schnell, um die Schiffsmannschaft bei ihrer Arbeit zu beaufsichtigen und sich durch diese Thätigkeit von trüben Gedanken zu befreien. Mich selbst beunruhigte das Totenschiff noch einige Tage, endlich aber brachten die Pflichten des Tages wieder ruhige Stimmung. Wir landeten glücklich in Neufundland, brachten schnell unsre Geschäfte zum Abschluß und ließen uns dann von der Strömung an der Küste Amerikas entlang treiben bis in die Gegend des Antillenmeeres.
Als wir eines Tages langsam in geringer Entfernung von der flachen Küste dahinstrichen, bemerkten wir in der Ferne eine Art Indianerboot und darin aufrecht stehend einen Mann, der uns zuwinkte. Wir mäßigten den Lauf unsres Schiffes und setzten ein Fahrzeug aus, welches bald mit einem seltsam aussehenden Manne zurückkehrte. Derselbe zeigte europäische Gesichtsbildung, trug am Leibe auch Reste europäischer Kleidung, dagegen ein indianisches Lederwams; seine Füße waren voll Wunden, zerfetzt und entstellt, und an den Fuß- und Handgelenken hatte er Lederringe, die zum Teil tief in das Fleisch schnitten. Der Fremdling sah elend und herabgekommen aus und behauptete, er sei den Rothäuten entflohen, die ihn als Sklaven benutzt hätten und schon am nächsten Festtage ihrem Kriegsgotte opfern wollten. In der letzten Stunde bot sich ihm Gelegenheit zur Flucht; von seinen Peinigern verfolgt, gelangte er an einen breiten Fluß, welcher sein Fortkommen hemmte. Hinter sich Indianer, vor sich den Strom mit steilem Ufer – da galt kein Besinnen, so oder so finde ich den Tod! dachte Wilm, der Fremdling, und sprang ins Wasser. Zwar sank er unter, tauchte jedoch wieder auf und hielt sich schwimmend auf der Oberfläche; wiewohl fortwährend von Pfeilen und Lanzen bedroht, blieb er unversehrt, gewann das jenseitige Ufer, fand dort eine Kanoe, schwang sich hinein und ruderte aus Leibeskräften, um seinen Verfolgern zu entgehen, die am Ufer dahinrannten, schreiend und lärmend, und ihm Steine und Geschosse nachsandten.