Bruder Muzius übte seit der Zeit, als er mich dem Philistertum entrissen, eine unbedingte Herrschaft über mich aus; ich mußte tun was er wollte. Mühsam stand ich daher auf von meinem Lager, dehnte mich, so gut es bei den erschlafften Gliedern gehen wollte und folgte dem treuen Bruder aufs Dach. Wir spazierten einigemal auf und nieder und in der Tat, mir wurde etwas wohler, frischer zu Mute. Dann führte mich Bruder Muzius hinter den Schornstein, und hier mußte ich, wollte ich mich auch dagegen sträuben, zwei, drei Schnäpschen reine Heringslake nehmen. Dies waren die Haare, die ich nach Muzius Ausdruck auflegen sollte. — O, wunderbarer als wunderbar war die drastische Wirkung dieses Mittels! Was soll ich sagen? — Des Magens abnorme Ansprüche schwiegen, der Rumor war gestillt, das Gangliensystem beruhigt, das Leben wieder schön, 232ich schätzte das irdische Wohl, die Wissenschaft, die Weisheit, den Verstand, den Witz u. s. w., ich war mir selbst wiedergegeben, ich war wieder der herrliche, höchst exzellente Kater Murr! — O Natur, Natur! Kann es denn geschehen, daß ein paar Tropfen, die der leichtsinnige Kater genießt in unzähmbarer freier Willkür, Rebellion zu erwecken vermögen gegen dich, gegen das wohltätige Prinzip, das du mit mütterlicher Liebe in seine Brust gepflanzt hast und nach dem er überzeugt sein muß, daß die Welt mit ihren Freuden, als da sind Bratfische, Hühnerknochen, Milchbrei &c. die beste sei und er das allerbeste in dieser Welt, da ihre Freuden nur für ihn und seinethalben geschaffen sind? — Aber — ein philosophischer Kater erkennt das, es ist tiefe Weisheit darin — jener trostlose ungeheure Jammer ist nur das Gegengewicht, das die zum Forttreiben in der Bedingung des Seins nötige Reaktion bewirkt und so ist derselbe (der Jammer nämlich) in dem Gedanken des ewigen Weltalls begründet! — Legt Haare auf, Katerjünglinge! und tröstet euch dann mit diesem philosophischen Erfahrungssatz eures gelehrten, scharfsinnigen Standesgenossen.
Es genügt zu sagen, daß ich nun manche Zeit hindurch ein frisches frohes Burschenleben führte auf den Dächern rings umher, in Kompagnie mit Muzius und andern kreuzbraven, biderben fidelen Jungen, weißen, gelben und bunten. Ich komme zu einer wichtigeren Begebenheit meines Lebens, die nicht ohne Folgen blieb.
Als ich nämlich einmal bei dem Anbruch der Nacht, im Schimmer des hellen Mondscheins, mit dem Bruder Muzius zu einer Kneiperei, die die Burschen angeordnet, gehen wollte, begegnete mir jener schwarz, grau, gelbe Verräter, der mir meine Miesmies geraubt. Wohl konnt es sein, daß ich bei dem Anblick des verhaßten Nebenbuhlers, dem ich noch dazu schändlicher Weise unterliegen müssen, etwas stutzte. Er ging indessen hart an mir vorbei, ohne mich zu grüßen, und es wollte mich bedünken als lächle er mich verhöhnend an, im Gefühl der Übermacht, die er über mich gewonnen. Ich dachte an die verlorne Miesmies, an die erhaltenen Prügel, das Blut kochte mir in den Adern! Muzius bemerkte meine Aufwallung und da ich ihm mitteilte, was ich bemerkt zu haben glaubte, so sprach er: Du hast recht, Bruder Murr. Der Kerl schnitt solch ein schiefes Gesicht und trat dabei so keck auf; am Ende wollte er dich wirklich tuschieren. — Nun das wollen wir bald erfahren. Irre ich nicht, so hat der bunte Philister hier in der Nähe eine neue Liebschaft angesponnen, er schleicht alle Abende hier auf diesem Dache umher. 233Warten wir ein wenig, vielleicht kommt der Monsieur bald zurück und da kann sich ja wohl das übrige bald finden.
In der Tat dauerte es nicht lange, so kam der Bunte wieder trotzig zurück und maß schon von weiten mich mit verächtlichen Blicken. Ich trat ihm herzhaft und keck entgegen, wir gingen so hart aneinander vorüber, daß unsere Schweife sich unsanft berührten: Sogleich blieb ich stehen; drehte mich um und sprach mit fester Stimme: Mau! — Er blieb ebenfalls stehen, drehte sich um und erwiderte trotzig: Mau! — Dann ging ein jeder seinen Weg.
„Das war Tusch, rief Muzius ganz zornig aus, ich werde den bunten trotzigen Kerl morgen koramieren.“
Muzius begab sich den andern Morgen zu ihm hin und fragte ihn in meinem Namen: ob er meinen Schweif berührt? Er ließ mir erwidern: er hätte meinen Schweif berührt. Darauf ich: habe er meinen Schweif berührt, so müsse ich das für Tusch nehmen. Darauf er: ich könne es nehmen wie ich wollte. Darauf ich: ich nehme es für Tusch. Darauf er: ich sei gar nicht im Stande zu beurteilen was Tusch sei. Darauf ich: ich wisse das sehr gut und besser als er. Darauf er: ich sei nicht der Mann dazu, daß er mich tuschieren solle. Darauf ich nochmals: ich nehme es aber für Tusch. Darauf er: ich sei ein dummer Junge. Darauf ich um mich in Avantage zu setzen: Wenn ich ein dummer Junge sei, so sei er ein niederträchtiger Spitz! — Dann kam die Ausforderung.