Was habt Ihr alle gegen diesen Johannes, rief er mit erhöhter Stimme, was hat er euch Böses getan, daß Ihr ihm keine Freistatt, kein Plätzchen gönnt auf dieser Erde? — wißt Ihrs nicht? — Nun so will ich es Euch sagen. Seht, der Kreisler trägt nicht Eure Farben, er versteht nicht Eure Redensarten, der Stuhl, den Ihr ihm hinstellt, damit er Platz nehme unter Euch, ist ihm zu klein, zu enge! Ihr könnt' ihn gar 205nicht für euresgleichen achten, und das ärgert Euch. Er will die Ewigkeit der Verträge, die Ihr über die Gestaltung des Lebens geschlossen, nicht anerkennen, ja er meint, daß ein arger Wahn, von dem Ihr befangen, Euch gar nicht das eigentliche Leben erschauen lasse, und daß die Feierlichkeit, mit der Ihr über ein Reich zu herrschen glaubt, das Euch unerforschlich, sich gar spaßhaft ausnehme, und das alles nennt Ihr Verbitterung. Vor allen Dingen liebt er jenen Scherz, der sich aus der tiefern Anschauung des menschlichen Seins erzeugt und der die schönste Gabe der Natur zu nennen, die sie aus der reinsten Quelle ihres Wesens schöpft. Aber Ihr seid vornehme ernste Leute und wollet nicht scherzen. — Der Geist der wahren Liebe wohnt in ihm, doch vermag dieser ein Herz zu erwärmen, das auf ewig zum Tode erstarret ist, ja in welchem niemals der Funke war, den jener Geist zur Flamme aufhaucht? Ihr möget den Kreisler nicht, weil Euch das Gefühl des Übergewichts, das Ihr ihm einzuräumen gezwungen, unbehaglich ist, weil Ihr ihn, der Verkehr treibt mit höheren Dingen als die gerade in Euern engen Kreis passen, fürchtet. —
Meister Abraham, sprach die Benzon mit dumpfer Stimme, der Eifer, mit dem Du für Deinen Freund sprichst, führt Dich zu weit. Du wolltest mich verletzen? — Nun wohl, es ist Dir gelungen, denn Du hast Gedanken in mir geweckt, die lange, lange schlummerten! — Todstarr nennst Du mein Herz? — Weißt Du denn, ob jemals der Geist der Liebe freundlich zu ihm gesprochen, ob ich nicht allein in konventionellen Verhältnissen des Lebens, die der überspannte Kreisler verächtlich finden mag, Trost und Ruhe fand? — Glaubst Du denn nicht überhaupt, alter Mann, der auch wohl so manches Leid erfahren, daß es ein gefährliches Spiel ist, sich über jene Verhältnisse erheben, und dem Weltgeist näher treten zu wollen in der Mystifikation des eigenen Seins? Ich weiß es, die kälteste, regungsloseste Prosa des Lebens selbst, hat mich Kreisler gescholten und es ist sein Urteil, das sich in dem Deinigen ausspricht, wenn Du mich todstarr nennst, aber habt Ihr jemals dieses Eis zu durchblicken vermocht, das meiner Brust schon längst ein schützender Harnisch war? — Mag bei den Männern die Liebe nicht das Leben schaffen, sondern es nur auf eine Spitze stellen, von der herab noch sichre Wege führen, unser höchster Lichtpunkt, der unser ganzes Sein erst schafft und gestaltet, ist der Augenblick der ersten Liebe. Will es das feindliche Geschick, daß dieser Augenblick verfehlt wurde, verfehlt ist das ganze Leben für das schwache Weib, das untergeht in trostloser Unbedeutsamkeit, 206während das mit stärkerer Geisteskraft begabte sich mit Gewalt emporrafft, und eben in den Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens eine Gestaltung erringt, die ihm Ruhe und Frieden gibt. — Laß es Dir sagen, alter Mann — hier in der Dunkelheit der Nacht, die das Vertrauen verschleiert, laß es Dir sagen! — Als jener Moment in mein Leben trat, als ich den erblickte, der alle Glut der innigsten Liebe, deren die weibliche Brust nur fähig, in mir entzündete — da stand ich vor dem Traualtar mit jenem Benzon, der ein guter Ehemann wurde wie kein anderer. Seine völlige Bedeutungslosigkeit gewährte mir alles, was ich, um ein friedfertiges Leben zu führen, nur wünschen konnte, und nie ist eine Klage, ein Vorwurf meinen Lippen entflohen. Nur den Kreis des Gewöhnlichen nahm ich in Anspruch, und wenn dann selbst in diesem Kreise sich manches begab, das mich unvermerkt irre leitete, wenn ich manches, das strafbar erscheinen möchte, mit nichts anderm zu entschuldigen weiß als mit dem Drange des augenblicklichen Verhältnisses, so mag das Weib mich zuerst verdammen, die, so wie ich, den schweren Kampf durchkämpfte, der zu gänzlichem Verzicht auf alles höhere Glück führt, sollte dies auch nichts anders sein, als ein süßer träumerischer Wahn. — Fürst Irenäus machte meine Bekanntschaft. — Doch ich schweige von dem, was längst vergangen, nur von der Gegenwart soll noch die Rede sein. — Ich hab es Dir vergönnt in mein Innerstes zu schauen, Meister Abraham, Du weißt nun, warum ich, so wie die Dinge sich hier gestalten, jedes Hineindrängen eines fremdartigen exotischen Prinzips als bedrohlich fürchten muß. Mein eigenes Geschick in jener verhängnisvollen Stunde grinset mich an, wie ein furchtbar warnendes Gespenst. Retten muß ich die, die mir teuer sind, ich habe meine Pläne gemacht. — Meister Abraham, seid mir nicht entgegen, oder, wollt Ihr in den Kampf treten mit mir, so seht Euch vor, daß ich Eure besten Taschenspielerkünste nicht zu Schanden mache!
Unglückliche Frau, rief Meister Abraham.