Julien wurde nicht wenig bange, sie bemerkte, wie Hedwiga immer schwächer, erschöpfter wurde, so daß die Arme all' ihre geringe Kraft anwenden mußte, um sie im Gehen aufrecht zu erhalten.
Endlich hatten sie das Schloß erreicht. Unfern desselben, auf der steinernen Bank, die unter einem Hollunderbusch stand, saß eine finstere, verhüllte Gestalt. Sowie Hedwiga diese gewahrte, rief sie voll Freude: Dank der Jungfrau und allen Heiligen, da ist sie! und ging plötzlich erkräftigt, und sich von Julien losmachend auf die Gestalt los, die sich erhob, und mit dumpfer Stimme sprach: Hedwiga, mein armes Kind! — Julia gewahrte, daß die Gestalt eine von Kopf bis zu Fuß in braune Gewänder gehüllte Frau war, die tiefen Schatten ließen die Züge ihres Gesichts nicht erkennen. Von innern Schauern durchbebt, blieb Julia stehen.
Beide, die Frau und die Prinzessin, ließen sich auf die Bank nieder. Die Frau strich ihr sanft die Haarlocken von der Stirne, legte dann die Hände darauf, und sprach langsam und leise in einer Sprache, die Julie sich nicht erinnern konnte, jemals gehört zu haben. Nachdem dies einige Minuten gewährt, rief die Frau Julien zu: Mädchen, eile nach dem Schloß, rufe die Kammerfrauen, sorge, daß man die Prinzessin hineinschaffe! Sie ist in sanften Schlaf gesunken, von dem sie gesund und froh erwachen wird.
Julie, ihrem Erstaunen nicht einen Augenblick Raum gebend, tat schnell, wie ihr geheißen.
Als sie mit den Kammerfrauen ankam, fand man die Prinzessin, sorgsam in ihren Shawl eingehüllt, wirklich im sanften Schlaf, die Frau war verschwunden.
Sage mir, sprach Julie am andern Morgen, als die Prinzessin ganz genesen erwacht, und keine Spur innerer Zerrüttung sich zeigte, was Julie befürchtet, sage mir um Gott, wer war die wunderbare Frau?
„Ich weiß es nicht, erwiderte die Prinzessin, ein einziges Mal in meinem Leben habe ich sie gesehen. Du erinnerst Dich, wie ich einmal, noch ein Kind, in eine tödliche Krankheit verfallen, so daß die Ärzte mich aufgaben. Da saß sie in einer Nacht plötzlich an meinem Bette, und lullte mich, wie heute, ein in süßen Schlummer, von dem ich ganz genesen erwachte. — In der gestrigen Nacht trat zum ersten Mal das Bild dieser Frau mir wieder vor die Augen, es war mir, als müsse sie mir wieder erscheinen, und mich retten, und so hat es sich wirklich begeben. — Tu' es mir zur Liebe, und schweige ganz von 175der Erscheinung, laß Dir auch nichts merken durch Wort oder Zeichen, daß uns etwas Wunderbares begegnet. Denke an den Hamlet, und sei mein lieber Horatio! — Es ist gewiß, daß es mit dieser Frau eine geheimnisvolle Bewandtnis haben muß, aber, mag das Geheimnis mir und Dir verschlossen bleiben, weiteres Forschen bedünkt mir gefährlich. — Ist es nicht genug, daß ich genesen bin, und froh, frei von allen Gespenstern, die mich verfolgten? —
Alles verwunderte sich über der Prinzessin so plötzlich wiedergekehrte Gesundheit. Der Leibarzt behauptete, der nächtliche Spaziergang nach der Marienkapelle habe durch die Erschütterung aller Nerven so drastisch gewirkt, und er nur vergessen denselben ausdrücklich zu verordnen. Die Benzon sprach aber in sich hinein: Hm! — die Alte ist bei ihr gewesen — mag das dies Mal hingehen! — Es ist nun an der Zeit, daß jene verhängnisvolle Frage des Biographen: Du —