Ich dachte zuerst, daß in jenen Gewässern ein europäisches Schiff gestrandet und daß eine von demselben losgelöste leere Schaluppe an das Land der Kariben geraten wäre. Als aber Freitag weiter hinzusetzte: »Wir haben die weißen bärtigen Männer vom Ertrinken gerettet« – da ward meine Aufmerksamkeit aufs höchste gespannt, und ich fragte ihn: »Wieviel weiße Männer haben sich in jenem Boote befunden?«
»Siebzehn Männer, Herr«, berichtete Freitag, an den Fingern zählend.
»Und was ist aus ihnen geworden?«
»Sie leben wohl alle noch, sie wohnen bei meinen Brüdern.«
»Weißt du auch, wie lange dies her ist?«
»Ich entsinne mich genau, Robin, es sind seitdem vier Jahre verstrichen.«
Jetzt erinnerte ich mich auch, daß diese Zeitangabe genau mit der Strandung jenes Fahrzeugs übereinstimmte, dessen Trümmer an meiner Insel festsaßen. Vielleicht hatte sich die Mannschaft des Schiffes in eine Schaluppe geflüchtet und war, dem Sturme und den Wellen preisgegeben, an die Küste der Wilden getrieben worden.
»Du sagtest mir vorhin, Freitag, daß die weißen Menschen bei deinem Volke lebten. Wie kommt es denn, daß deine Landsleute sie nicht aufgefressen haben?«
»Sie haben Brüderschaft mit uns gemacht«, erwiderte Freitag; »und wir essen nicht Menschen, wenn sie nicht im Kriege gefangen sind. Sie befinden sich dort ganz wohl, und unsre Brüder liefern ihnen, was sie zum Unterhalt gebrauchen.«
Es war eine geraume Zeit nach dieser letzten Unterredung vergangen, als ich einstmals mit meinem Gefährten auf einen Berg der südöstlichen Hügelreihe stieg. Der Himmel war heiter, und kein Wölkchen zeigte sich an dem tiefblauen Firmament; die Luft war durchsichtig, und von der See her wehte uns eine frische Brise entgegen. Freitag sah auf das weite Meer hinaus und blickte nach einer Weile unverwandt auf einen Punkt hin.
Plötzlich ward er unruhig, fing an zu tanzen, zu springen und zu jubeln und rief mich zu sich heran:
»Robin, Robin, komm schnell hierher!«
»Was gibt's, Freitag?«
»O meine Freude! Ich bin glücklich, selig! Ich sehe mein Heimatvolk! Dort kommt mein Volk.«
Das, was meinen guten Freitag in so überschwengliche Aufregung versetzte, rief in mir die entgegengesetzten Gefühle hervor. Was lag näher als die Vermutung, daß in den unverhohlenen Ausbrüchen der Freude sich die Sehnsucht Freitags nach den Seinen aussprach? Von dem Augenblick an erwachte in mir Argwohn gegen meinen Freund und beunruhigte mich wochenlang. Ich zeigte mich unfreundlich, ja verschlossen; aber hierdurch that ich dem armen Burschen das größte Unrecht, denn er kam mir stets mit einem Vertrauen, mit einer Hingebung entgegen, daß ich endlich alle meine Zweifel an seine Aufrichtigkeit fallen ließ.
Eines Tages, als wir auf demselben Bergesgipfel, aber bei nebeligem Wetter, zusammen waren, begann ich Freitag auszuforschen.
»Du würdest dich wohl sehr glücklich preisen, Freitag, wenn du wieder in deine Heimat kommen und deine Brüder sehen könntest?«
»O ja, Robin, ich würde sein viel froh, zu sehen mein Volk.«
»Und möchtest wohl gern wieder, wie deine wilden Brüder, Menschenfleisch beim Siegesschmaus essen?«
»O nein, nein! Niemals wird Freitag wieder Menschenfleisch essen; er wird sagen seinen Brüdern, sich untereinander zu lieben, nicht mehr zu Benamucki zu beten, Fleisch von Ziegen und andern Tieren zu essen und Brot von Korn und Gerste zu backen.«
»Aber fürchtest du nicht, Freitag, daß sie dich umbringen würden, wenn du so zu ihnen sprächest?«
»O nein, nein, Robin, sie werden mich nicht töten; sie wollen gern lernen.«
»So möchtest du also wieder zu den Deinen zurückkehren?«
»Ja, das schon! Aber wie könnte ich so weit bis dort zu jenem Lande schwimmen?«
»Ich will dir ein Kanoe bauen, Freitag.«
»Aber dann gehst du mit? Denn ohne dich würde ich die Insel nie verlassen.«
»Ich, Freitag? Nur zu bald würden deine Brüder über mich herfallen, mich töten, in Stücke zerlegen und über dem Feuer schmoren lassen.«
»Nein, nein, Robin, das wird nimmermehr geschehen; ich werde ihnen sagen, daß du mir das Leben gerettet hast, daß du mich liebst wie einen Bruder, und dann werden sie dich auch lieben und dir Gutes thun.«
»Aber nochmals, warum willst du nicht allein zu den Deinen zurückkehren?«
»O Herr, du bist gewiß recht böse auf mich, daß du mich fortschicken willst!«
»Nicht im geringsten, mein guter Freitag! Vielmehr gedachte ich dir eine Freude zu bereiten, wenn ich dich freiwillig in deine Heimat entließe.«
Und Freitag bleibt dabei: nichts ohne seinen Herrn.
»Was sollte ich aber bei deinem Volke anfangen?«
»O, dort gibt's genug für dich zu thun; wie du mich unterrichtet und gebessert hast, so wirst du auch meine Brüder sanft erziehen.«
»Mein guter Freitag! Du weißt selbst nicht, was du sprichst. Zu einem solchen Werke fehlt es mir an Kraft und Ausdauer.«
»O, du kommst doch mit, Robin?«
»Nein, nein, Freitag! Geh du ohne mich; ich werde hier bleiben und wiederum so leben wie vor deiner Ankunft.«
Die treue Seele war tief gerührt, Thränen standen ihm in den Augen. Dann griff er an seinen Gürtel, holte das Beil hervor und überreichte es mir.
»Was soll ich damit, Freitag?«
»Mich totmachen, Herr!«
»Aber was fällt dir ein?«
»Ja, schlage lieber Freitag damit tot, als daß du ihn fortjagst; er kann nicht ohne dich leben.«
Diese Wendung der Unterhaltung nahm den letzten Zweifel über Freitags Anhänglichkeit aus meinem Herzen, und in mir selbst regte sich von neuem die alte Begierde, eine weitere Seereise zu unternehmen und nach dem großen Festlande zu steuern, auf welchem nach Freitags Bericht die weißen bärtigen Gesichter – Portugiesen oder Spanier – zu treffen sein mußten. Eines Tages führte ich Freitag zu jenem Boote an der Bai, das ich seit mehreren Jahren nicht in Gebrauch genommen, sondern im Wasser versenkt hatte, damit es mich den Wilden nicht verraten sollte. Wir schöpften das Wasser aus dem Kanoe und setzten uns dann selbst hinein. Dabei zeigte Freitag in der Lenkung des Bootes eine Geschicklichkeit und Sicherheit, die mich in Erstaunen setzte. Nach einer Weile sagte ich zu ihm: »Nun, Freitag, wie wäre es, wenn wir jetzt in diesem Boote nach deinem Vaterlande segelten?« Er schien über meine Frage verwundert, denn er fand das Boot viel zu klein, um darin eine so weite Reise zurückzulegen. Hierauf sagte ich ihm, daß ich wohl noch ein größeres Fahrzeug hätte, und daß wir es am nächsten Tage aufsuchen wollten. Ich führte ihn denn auch, wie versprochen, zu dem Orte, wo die Barke lag, die ich nicht hatte ins Wasser bringen können; da ich mich indes länger als 20 Jahre nicht weiter um sie gekümmert hatte, seit ich sie gebaut, so war sie von der Sonne ausgetrocknet und gesprungen, daß sie sich in einer ganz kläglichen Verfassung befand. Freitag aber sagte, daß ein Fahrzeug von dieser Größe, da man genug Eß- und Trinkvorräte darin unterbringen könne, ganz tauglich zu einer Seereise sei, und diese Versicherung kam meinen Plänen entgegen.