Die fehlgeschlagene Hoffnung, bei meinem Besuche auf dem Wrack Menschen, Gefährten in meiner Einöde zu finden, ließ noch ganz andre Pläne in mir emportauchen, die fast ans Ungeheuerliche grenzten. Mich packte wieder die alte Wanderlust, meine »Ursünde«, wie ich sie nannte, und ich wollte wenigstens einmal den beiden meiner Insel zunächst gelegenen Eilanden mit meinem Boote einen Besuch abstatten. Von da aus konnte ich dann auch einen Abstecher nach dem Festlande von Amerika unternehmen. Auch jetzt fiel mir wieder die Barke ein, auf der ich einst mit dem Maurenknaben Xury aus Saleh entflohen war; hätte ich sie in den Augenblicken meiner Reiseleidenschaft zur Verfügung gehabt, ich würde mich wahrscheinlich wieder auf gut Glück dem trügerischen Element anvertraut haben, um zu irgend einer Ansiedelung von Menschen zu gelangen. Gern hätte ich auch wissen mögen, welchen Teil des Erdballs jene Fremdlinge bewohnten, die mich für immer aus meiner sorglosen Ruhe aufgeschreckt hatten, wie weit ihr Land von meiner Insel entfernt sei, und ich fragte mich selbst, warum ich nicht ebenso gut an ihrer Küste landen könnte, als sie an der meinigen.
Es war in der Regenzeit, im März des 24. Jahres meiner Anwesenheit auf der Insel, als ich eine ganze Nacht schlaflos in meiner Hängematte zubrachte, obgleich ich mich körperlich gerade nicht unwohl fühlte. Es ging nochmals die ganze Geschichte meines vergangenen Lebens wie in einem Zauberbilde an meinem geistigen Auge vorüber. Freudige Betrachtungen wechselten mit traurigen in rascher Folge. Ich rief mir die verschiedenen Zeitabschnitte meines einsamen Aufenthalts zurück und verglich die frühere ruhige Lage mit der beängstigenden Existenz, die ich seit dem Augenblicke führte, als ich in dem Sande die verhängnisvolle Spur eines Fußes fand. Ich zweifelte durchaus nicht, daß die Wilden schon vorher meiner Insel wiederholte Besuche abgestattet hatten; aber da mir dieselben unbekannt blieben, so hatte ich sorglos dahingelebt. Wie gütig nimmt sich doch immer unser Herrgott unser an, indem er unser Urteil und unsre Voraussicht in so enge Grenzen schließt. Ruhig und unbeirrt wandeln wir zwischen Gefahren hindurch, deren Anblick uns allen Genuß an der Gegenwart rauben würde. Wie oft wanderte ich vormals im Gefühle der größten Sicherheit in meinem Königreich einher! Vielleicht hatte ich es nur einem Baum, einem Hügel, dem Einbruch der Nacht zu verdanken, wenn ich nicht in die Hände der Kannibalen gefallen war.
Tief gerührt dankte ich dem Allmächtigen für die Bewahrung vor so vielen augenfälligen und unbekannten Gefahren.
Alle diese Gedanken setzten mein Blut stark in Wallung, und mein Puls hämmerte heftig wie im Fieber. Erst gegen Morgen sank ich vor Ermattung in einen tiefen Schlaf. Da unternahm ich im Traume meinen gewöhnlichen Morgenspaziergang an die Küste auf der Ostseite der Insel und sah zwei Kanoes, aus denen elf Wilde stiegen samt etlichen Gefangenen, die sie verzehren wollten. Plötzlich sprang eines der Schlachtopfer davon und suchte eine Zufluchtsstätte in dem Buschwerk, das meine Burg umgab. Ich ging ihm entgegen und forderte ihn auf, näher zu mir zu kommen. Der arme Gefangene stürzte vor mir auf die Kniee nieder, um meinen Beistand gegen seine Peiniger anzuflehen. Darauf kam es mir vor, als zeigte ich ihm meine Leiter, hälfe ihm über die Mauer und führte ihn in meine Wohnung, wo er mein Diener wurde. »Mit diesem neuen Gefährten«, sagte ich mir selbst, »werde ich endlich meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen können. Nichts hindert mich jetzt, auf den Ozean hinauszusteuern; denn er wird mir als Pilot oder Lotse dienen und mir sagen, was ich thun oder unterlassen soll.«
Ich hatte so lebendig geträumt, und alle Einzelheiten des im Schlafe Geschauten waren so eindrucksvoll an mir vorübergeschwebt, daß ich mich nach dem Erwachen noch längere Zeit der Täuschung überließ, ich könnte das in Wirklichkeit erlebt haben, was mich so außerordentlich ergriff – und ich jauchzte vor Freuden laut auf.
Indes Träume – sind Schäume, sagte das Sprichwort, ich rieb mir die Schlaftrunkenheit aus den Augen, und als ich aus meiner Umgebung die Gewißheit gewann, daß meine Rettungspläne nichts als Hirngespinste waren, bemächtigte sich meiner eine große Niedergeschlagenheit.
Dieser Vorfall brachte mich auf den Gedanken, womöglich einen Wilden, den die Kannibalen nach meiner Insel führten, um ihn abzuschlachten, aus ihren mörderischen Händen zu befreien; auf keine andre Art schien mir eine Rettung für meine eigne Person denkbar zu sein. Aber ein solches mit den größten Schwierigkeiten und Gefahren verknüpftes Unternehmen – wie leicht konnte es fehlschlagen! Auf der andern Seite kamen mir wieder Zweifel gegen die Angemessenheit meiner Pläne bei, ich scheute vor dem Gedanken an Blutvergießen zurück. Kurz, Gründe und Gegengründe stritten lebhaft in mir; endlich siegte der Drang nach Befreiung, und ich beschloß, auf eine Gelegenheit zu achten, um einen Wilden in meine Hände zu bekommen. Nun kam es darauf an, wie zu meinem Ziele zu gelangen sei?
Das nächste Thunliche bestand darin, auf die Kannibalen zu lauern, wenn sie an dieser Küste landeten, und das übrige meinem Glücke anheimzustellen. Ich ging von nun an täglich auf Kundschaft aus, besonders nach dem westlichen und südwestlichen Teile meines Eilandes; aber wie sehr ich auch ringsumher spähte, nirgends wollte sich ein mit wilden Eingeborenen besetztes Boot zeigen. So verlief eine geraume Zeit. Indessen weit davon entfernt, mich unmännlicher Entmutigung hinzugeben, fachte ich meinen Zorn gegen die Kannibalen zur hellen Flamme an, so daß sich täglich in mir immer mehr die Begierde regte, im Kampfe mit meinen Feinden mich zu messen, und es verging kaum eine Nacht, in welcher ich mich im Traume nicht im Streite mit meinen grimmen Feinden befunden hätte.