In den Niederungen sah ich außerdem Tiere, welche ich für Hasen hielt; wieder andere mochten Füchse sein; aber ich ließ meine Flinte in Ruhe, denn Ziegen, Tauben und Schildkröten lieferten so leckeres Fleisch, und ich besaß an Rosinen eine so schmackhafte Zukost, daß selbst der beste Markt von London nichts Besseres geliefert haben würde.
Auf meiner Entdeckungsreise durch die Insel rückte ich täglich nur zwei bis drei Meilen vor, doch machte ich nach links und rechts manche Abstecher, bis ich ermüdet an einem solchen Platze anlangte, welcher mir zum Nachtlager geeignet schien. Zum Bett mußten entweder die breiten Äste eines Baumes oder der harte Boden der Erde dienen. Als ich an das Ufer des Meeres kam, sah ich zu meiner Überraschung, daß die Küste meines Königreichs viel angenehmer und von Tieren mehr bevölkert war als der entgegengesetzte Strand. Zahlreiche Schildkröten sonnten sich hier im Sande, und Seevögel marschierten mit stolzer Würde umher.
Schildkröten und Fetttaucher auf der Insel.
Trotz alledem verspürte ich keine Lust, meine Wohnung in diese Gegend zu verlegen. Indessen setzte ich meine Reise noch etwa zwölf Stunden gegen Osten weiter fort. Den äußersten Grenzpunkt meiner Wanderungen bezeichnete ein eingerammter Pfahl, der mir später einmal als Erkennungszeichen dienen sollte. Dann wandte ich mich gegen Westen, um auf einem andern Wege nach Hause zurückzukehren. Nachdem ich etwa drei Meilen zurückgelegt hatte, befand ich mich in einem Thalkessel, der rings von hohen, dicht mit Waldung gekrönten Bergen umsäumt war, so daß ich mich beim weiteren Fortschreiten, um mich zurecht zu finden, nach dem Stande der Sonne richten mußte.
Während der drei Tage, die ich in diesem Thale verweilte, hing aber der Himmel voll trüber Wolken, und ich wußte oft nicht, wohin ich mich wenden sollte, ob nach Ost, West, Süd oder Nord. So sah ich mich denn genötigt, nach meinem Pfahl zurückzukehren und von da aus den Heimweg anzutreten.
Unterwegs fing mein Hund eine junge Ziege ein. Eiligst sprang ich hinzu, um sie seinem scharfen Gebiß zu entreißen, was mir auch glückte. Bald war dem Tiere ein Halsband übergeworfen, ein Strick durchgezogen, und weiter ging nun die Wanderung, bis wir endlich, jedoch erst nach mehreren Tagemärschen, durch die sengende Sonnenglut aufs äußerste ermattet, in meinem Wohnsitze ankamen. Ich empfand wirklich eine große Freude, wieder daheim zu sein! Wie sanft schlief ich nach einer Abwesenheit von mehr als einem Monate zum erstenmal wieder in meiner Hängematte.
Das nächste, wofür ich Sorge zu tragen hatte, war, meinem Papagei, welcher sich an mich bereits etwas gewöhnt hatte, einen Käfig zu bauen, sowie die Ziege, welcher ich einstweilen in meinem Lusthause ihren Aufenthalt angewiesen, nach Hause zu schaffen, um das ausgehungerte Tierchen mit frischem Futter zu versorgen.
Ich fand es angebunden an derselben Stelle, wo ich es verlassen hatte, und es folgte mir wie ein zahmes Haustier Schritt für Schritt, indem es fortwährend aus meiner Hand das Futter fraß, mit dem ich es lockte.
Wieder war der 30. September gekommen, und wieder hatte ich unter inbrünstigem Gebet den Jahrestag meiner Strandung begangen. Zwei Jahre lebte ich nun schon auf dem Eilande als dessen alleiniger Bewohner, mein eigner König und mein einziger Unterthan; – zwei Jahre reich an Prüfungen und Erfahrungen! Und doch hatte sich mir nicht einmal ein Strahl von Hoffnung gezeigt, diese einsame Insel verlassen zu können. Indessen dankte ich Gott für die unendliche Güte, mit welcher er mein armseliges Dasein fristete und meine Einsamkeit mir erträglich erscheinen ließ.
Wenn ich in der ersten Zeit meines Verlassenseins hinausstreifte auf die Ebenen und Berge, sei es, um ein Tier auf der Jagd zu erlegen, oder sei es, um auf Entdeckungen auszugehen, da begleitete mich der stete Gedanke an mein Unglück und meine oft trostarme Lage. Ich kam mir vor wie ein Gefangener, der, eingeschlossen durch die endlosen Riegel und riesigen Schlösser des Ozeans, in einer Wüstenei, ohne Hoffnung auf Befreiung, ein erbärmliches Dasein fristet, und aufgelöst in Schmerz und Betrübnis rang ich die Hände und weinte bitterlich.
Jetzt war es anders! Neue Gedanken, geschöpft aus der Heiligen Schrift, dem Buche der Bücher, gaben meinem Geiste eine heilsame Richtung, und ich gewann meine ganze Seelenstärke wieder, wenn meine Augen auf die Worte des Trostes fielen. Ich fand Beruhigung in dem Gedanken, daß ich in meinem gegenwärtigen Zustande der Vereinsamung glücklicher sein könnte, als ich es vielleicht in irgend einer andern Lebensstellung geworden wäre. Ich dankte dann Gott dafür, daß er mich auf dieses Eiland geführt hatte. Dann wieder schien mir jener Gedanke zu weitgehend. »Solltest du wirklich so zwiespältig im Gemüte sein«, sagte ich zu mir selbst, »Gott für die Versetzung in eine Lage zu danken, aus welcher erlöst zu werden ein verzeihlicher und natürlicher Wunsch ist?« Jedenfalls dankte ich Gott doch innig dafür, daß ich jetzt endlich zur Selbsterkenntnis hinsichtlich der begangenen Fehler gelangt war.