Der Genuß des durch Tabak gebeizten Rums versetzte mich in einen Zustand ungewöhnlicher Betäubung; ich verfiel bald in einen so tiefen Schlaf, daß ich erst am andern Tage nachmittags erwachte. Ja, ich mußte sogar glauben, daß ich noch einen ganzen Tag verschlafen habe, denn es fehlte mir in der Folge ein voller Tag in meiner Zeitrechnung. Indessen fühlte ich mich merklich wohler, und es stellte sich auch wieder ein tüchtiger Hunger ein. Ich bereitete mir daher eine kräftige Suppe von saftreichem Schildkrötenfleisch und genas von dieser Zeit an täglich mehr, obgleich ich am 2. Juli noch einmal zu meiner Arznei, einer Dosis Tabak, greifen mußte.
So fand ich denn auf seltsame Weise die erwünschte Besserung – durch ein Mittel, für dessen ganz unfehlbare Heilkraft ich nicht immer einstehen möchte. Obwohl ich noch schwach und abgemagert war, so versäumte ich doch nicht, mit meinem stets geladenen Gewehr kleine Ausflüge in mein »Königreich« zu unternehmen. Einmal stieß ich hierbei auf herrlich grüne Wiesengründe, die ich vorher noch nicht bemerkt hatte. Ich fand daselbst Tabakspflanzen mit langen, starken Stengeln, eine Gattung Aloe und Zuckerrohr. Hernach kam ich in einen waldigen Grund, wo ich mancherlei eßbare Früchte traf, namentlich saftige Melonen am Boden liegend, und eine Art wildwachsender Weintrauben, welche in vollster Reife aus Rebenlaub hervorschauten, das sich von Baum zu Baum üppig weiterrankte. Diese Trauben sammelte ich, um sie an der Sonne zu trocknen; denn ich mochte die Frucht nicht in frischem Zustande genießen, da ich mich erinnerte, daß mehrere englische Sklaven, die zu viel davon genossen hatten, während meines Aufenthalts in der Berberei an der Brechruhr gestorben waren.
Meine Entdeckungsreise hatte mich so sehr in Anspruch genommen, daß mich der Abend überraschte, ehe ich es gemerkt hatte. Auch fühlte ich mich zu abgespannt, um wieder nach meiner Burg zurückkehren zu können. So schlief ich zum erstenmal außerhalb meiner Wohnung. Wie am Tage meiner Landung auf der Insel, kletterte ich auch heute auf einen Baum und brachte hier die Nacht unversehrt zu. Am andern Morgen setzte ich meinen Weg weiter fort und behielt immer die Richtung nach Norden im Auge, da meine Aussicht zu beiden Seiten durch einige Hügelreihen begrenzt war.
Am Ende meines Marsches breitete sich ein offenes Gefilde aus, das von einem nach Osten verlaufenden Bache durchschlängelt wurde. Eine reizende Gegend in grünem Wiesenschmuck, gleich einem Teppich von tausend und abertausend bunten Blumensternen durchwirkt. Palmen streckten ihre Kronen empor; Orangen-, Zitronen- und Limonenbäume luden mich ein, ihre Früchte zu pflücken. Schwer beladen mit köstlichen Früchten schied ich von dem paradiesischen Garten, um meiner länger als sonst verlassenen Hütte zuzueilen.
Als ich in meinem »Hause« ankam, fand ich die Trauben verdorben und die Beeren zerquetscht, während die Zitronen, deren ich überhaupt nur wenige gefunden hatte, vortrefflich erhalten waren.
Jenes Thal mit seinem reichen Pflanzenwuchs zog mich so sehr an, daß in mir der Gedanke aufstieg, meine Wohnung dorthin zu verlegen; allein die Erwägung, daß ich von meinem Hause am Strande die offene Aussicht über das Meer hatte und so ein vielleicht hier vorbeisegelndes Fahrzeug erspähen könnte, brachte mich von dem schnell gefaßten Plane ab, und ich beschränkte mich darauf, eine Art Lusthaus in jenem gesegneten und reizvollen Thale zu errichten. Ohne Zeit zu verlieren, ging ich ans Werk und umgab meine zweite Wohnstätte mit einer doppelten Pfahlreihe, die ich noch durch ein Flechtwerk von Schlingpflanzen und Baumstämmen verstärkte. Diese Arbeiten beschäftigten mich bis Anfang August.
Unterdessen fand ich meine aufgehängten Weintrauben nun genug getrocknet, und ich beeilte mich, sie einzusammeln, denn schon kündigte sich die in der heißen Zone übliche Regenzeit auf fühlbare Weise an. Zweihundert Päckchen von Rosinen schaffte ich in meine Vorratskammer, und so konnte ich mir nun die folgenden Monate hinreichend versüßen.
Am 14. August erlebte ich die Freude einer Vermehrung meiner Familie. Meine Katze nämlich, die ich vom Wrack mitgenommen hatte, war eine Zeitlang verschwunden, ohne daß ich mir erklären konnte, wohin sie geraten sei. Während ich nun an jenem Tage über die Landschaft schaute, sah ich meine alte Freundin samt drei jungen Sprößlingen wohlgemut auf meine Hütte zukommen und zögerte nicht, die neuen Gäste freundlichst aufzunehmen. Sie hatte die Jungen in einem Versteck so weit groß gezogen, daß sie vor den Angriffen des Katers sicher waren, und führte sie mir jetzt zu. Mit diesem Tage begann auch die Regenzeit, und ich machte mich wieder darauf gefaßt, wochenlang in meinem wohlgeschützten Strandhause zubringen zu müssen. Vom 14. bis 29. August währte ununterbrochen der Regen; meine Nahrung bestand aus Rosinen, Ziegenfleisch und gerösteter Schildkröte. Dabei war ich täglich beschäftigt mit der Erweiterung meines Kellers.
Gegen Ende September erinnerten mich die Einschnitte, die ich in meinen hölzernen Kalender gemacht hatte, daß seit meiner Landung auf der Insel ein Jahr verflossen war. Ich feierte diesen Tag mit dankerfülltem Herzen gegen Gott, dessen Güte mich so wunderbar beschirmt hatte.