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Aufsätze by Robert Walser:Frau und Schauspieler
日期:2020-12-04 09:45  点击:218
Mein Herr, ich bin gestern abend im Stadttheater gewesen und habe Sie als Prinzen Max in der »Hofgunst« gesehen, und ich schreibe Ihnen jetzt. Ich bin, damit Sie es gleich im voraus wissen, eine Frau von dreißig Jahren, etwas darüber, interessiert Sie das? Sie sind jung und hübsch, machen eine gute Figur und sind wohl schon viel von Frauen angeschwärmt worden. Apropos, rechnen Sie mich nicht zu den Frauen, die für Sie schwärmen, und doch, ich muß es Ihnen nur gleich gestehen, Sie gefallen mir, und ich sehe mich genötigt, Ihnen zu sagen, warum. Dieser Brief wird vielleicht etwas zu lang werden, glauben Sie? Als ich Sie gestern spielen sah, ist es mir gleich vom ersten Moment an aufgefallen, wie unschuldig Sie sind; jedenfalls haben Sie viel Kindliches an sich, und Sie haben sich den ganzen Abend auf der Bühne so benommen, daß ich mir sagte, ich würde Ihnen vielleicht einiges schreiben dürfen. Ich tu es ja jetzt; werde ich diesen Brief abschicken? Verzeihen Sie, oder so: Sie sollen stolz sein, daß man wegen Ihnen im Zweifel sein muß. Vielleicht schicke ich diese Worte nicht ab, dann wissen Sie nichts und werden auch keinen Grund haben, in ein unschönes Gelächter auszubrechen. Machen Sie so etwas? Sehen Sie, ich vermute ein schönes, frisches, reines Herz in Ihnen, aber Sie sind vielleicht noch zu jung, um wissen zu können, daß das wichtig ist. Wo verkehren Sie, sagen Sie mir das, wenn Sie mir antworten, oder sagen Sie es mir mündlich, kommen Sie zu mir, morgen nachmittag um fünf, ich erwarte Sie. Die meisten Menschen setzen ihren ganzen Ehrgeiz in die unedle Unmöglichkeit, einer Torheit fähig zu sein, sie lieben den Anstand des Benehmens nicht, obwohl das so scheint. Die Sitte liebt eines nur dann, wenn es sich um ihretwillen einiger Gefahr unterziehen mag. Denn Gefahren erziehen, und ohne die beständige Lust mit sich zu tragen, auf lebendige Art über wichtige Dinge belehrt zu werden, ist man sittenlos. Ängstlichkeit scheint oft die wahre Sitte zu sein – welch eine träge Gedankenlosigkeit! Hören Sie mir noch zu, und tun Sie's auch aufrichtig? Oder sind Sie einer der leider vielen Menschen, die glauben, alles, was ein wenig beschämend und anstrengend ist, langweilig finden zu müssen? Spucken Sie auf dieses Schreiben und zerreißen Sie es, wenn es Sie langweilt, aber nicht wahr, es reizt Sie, es kann Sie anregen, es ist nicht langweilig. Wie hübsch Sie sind, mein Herr, mein Gott, und so jung, sicher kaum zwanzig. Ein bischen steif habe ich Sie gestern abend gefunden und Ihre schöne Stimme ein bischen geschraubt. Entschuldigen Sie es, daß ich so rede? Ich bin zehn Jahre älter als Sie, und es tut mir so wohl, mit einem Menschen reden zu dürfen, der jung genug ist, daß ich mich als zehn Jahre älter ihm gegenüber fühlen darf. Sie haben in Ihrem Benehmen etwas, was Sie noch jünger erscheinen läßt, als man Sie, wenn man mit dem Verstand nachrechnet, schätzen muß; das ist das bischen Geschraubtheit. Gewöhnen Sie es sich, ich bitte Sie, noch nicht so rasch ab, es gefällt mir, es wäre schade um dieses Stück, ich möchte sagen, natürlicher Unnatürlichkeit. Kinder sind so. Beleidige ich Sie? Ich bin so offen, nicht wahr, aber Sie wissen gar nicht, welche Freude für mich in der Einbildung liegt, die mir zuflüstert: er gestattet es, er liebt das. Wie Ihnen die Offiziersuniform gut gestanden hat, die engen Stiefel, der Rock, der Kragen, das Beinkleid, ich bin entzückt gewesen, und was für prinzliche Manieren Sie gehabt haben, was für energische Bewegungen! Und wie Sie gesprochen haben: so ganz überflüssig heldenhaft, daß ich mich beinahe ein bischen vor mir, vor Ihnen, vor alle dem habe genieren müssen. So laut und wichtig haben Sie im Salon Ihres oder Ihres Herrn Vaters Schlosse gesprochen. Wie Ihre großen Augen manchmal hin und her rollten, als wenn Sie jemanden aus dem Zuschauerraum hätten aufessen wollen, und so nah waren Sie. Einmal zuckte es mir im Arm, ich wollte unwillkürlich die Hand ausstrecken, um Sie, wo Sie standen, anzurühren. Ich sehe Sie so groß und laut vor mir. Werden Sie bei mir, wenn Sie morgen zu mir kommen, auch so gewichtig auftreten? In meinem Zimmer, müssen Sie wissen, ist alles so still und so einfach, ich habe noch nie einen Offizier empfangen, und es hat noch nie eine Szene bei mir gegeben. Wie werden Sie sich betragen? Aber das ganze, hochaufgepflanzte, fahnenstangenhafte Wesen an Ihnen gefällt mir, es ist neu, frisch, gut, edel und rein für mich, ich möchte es kennen lernen, weil, wie ich es empfinde, etwas Unschuldiges und Ungebrochenes in ihm steckt. Zeigen Sie es mir, wie es ist, ich achte es im voraus und ich glaube, ich liebe es. Sie kennen keinen Hochmut mit diesem Ihrem ganzen scheinbar so hochmütigen Wesen. Sie sind keines Truges fähig, Sie sind zu jung dazu und ich zu erfahren, um mich in Ihnen täuschen zu können, und jetzt zweifle ich nicht mehr, daß ich diesen Brief an Sie abschicken werde, aber lassen Sie mich Ihnen noch einiges sagen. Sie kommen jetzt also zu mir, es ist abgemacht. Putzen Sie dann zuerst Ihre Stiefel vor der Treppe ab, bevor Sie ins Haus treten, ich werde am Fenster stehen und Ihr Benehmen beobachten. Wie ich mich darauf freue, so dumm zu sein und das zu tun. Sie sehen, wie ich mich freue. Vielleicht sind Sie ein Unflätiger und werden mich dafür strafen, daß ich es unternommen habe, Zutrauen zu mir in Ihnen zu erwecken. Wenn Sie so sind, so kommen Sie, machen Sie sich einen Spaß, strafen Sie mich, ich habe es ja verdient. Aber Sie sind jung, das ist ja das Gegenteil von unflätig, nicht wahr? Wie deutlich ich Ihre Augen vor mir sehe, und ich will Ihnen etwas sagen: für gar so klug halte ich Sie nicht, aber für recht, für gerade, das kann mehr sein als klug. Bin ich da auf einem Holzweg? Gehören Sie zu den Raffinierten? Wenn das ist, muß ich in Zukunft allein und verlassen in der Stube sitzen, denn dann verstehe ich die Menschen nicht mehr. Ich werde am Fenster stehen und Ihnen dann die Tür auftun, Sie brauchen dann vielleicht gar nicht erst noch lange zu klingeln, und dann werden Sie mich sehen, so bald schon. Eigentlich wünschte ich – nein, ich will nicht so viel sagen. Lesen Sie noch? Ich bin ziemlich schön, ich muß Sie auch darauf im voraus aufmerksam machen, damit Sie sich ein wenig Mühe geben und Ihr Bestes und Gebürstetstes anziehen. Was wollen Sie trinken? Sie werden es mir ungeniert sagen, ich habe Wein im Keller, das Mädchen wird heraufholen, aber vielleicht ist es am besten, wir trinken zuerst eine Tasse Tee, nicht? Wir werden allein sein, mein Mann arbeitet zu dieser Zeit im Geschäft, aber fassen Sie das nicht als eine Aufforderung, unehrerbietig zu sein, auf, das muß Sie im Gegenteil schüchtern machen. So will ich Sie sehen, schüchtern und schön, sonst laufe ich dem Briefboten nach, der Ihnen diese Zeilen überbringen will, schreie ihn an, nenne ihn einen Räuber und Mörder, begehe Ungeheuerlichkeiten und komme ins Gefängnis. Wie mich danach verlangt, Sie anzusehen, Sie in der Nähe zu haben; weil ich so mutig auf meiner guten Meinung von Ihnen beharre, spreche ich so, und wenn Sie nach all dem Gesagten kommen, so haben Sie Mut, und dann werden die anderthalb Stunden, die wir miteinander verbringen, schön sein, und dann ist es überflüssig gewesen, zu zittern, wie ich jetzt tue, denn es ist dann keine solche Tollkühnheit gewesen, Sie zu mir eingeladen zu haben. Sie sind so schlank, ich werde Sie schon erkennen, wenn Sie noch unten auf der Straße vor der Gartentüre stehen werden. Was machen Sie jetzt? Was meinen Sie, soll ich jetzt aufhören zu schreiben? Sie werden lachen, wenn ich vor Sie hintrete und Ihnen vormache, wie Sie als Prinz Max dagestanden haben. Ich beschwöre Sie, verneigen Sie sich tief vor mir, wenn Sie mich erblicken, und seien Sie steif und benehmen Sie sich herkömmlich, gestatten Sie sich keine freie Bewegung, ich warne Sie, und ich werde Ihnen dafür danken, daß Sie mir gehorcht haben, wie man Ihnen vielleicht nie in Ihrem Leben wieder danken wird. 

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