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54 Bei Holger Nilssons-1
日期:2020-09-21 14:53  点击:241
Donnerstag, 8. November
 
Es war ein nebeliger, trüber Tag. Die Wildgänse hatten auf den großen Feldern bei der Skuruper Kirche geweidet und hielten eben Mittagsrast, da trat Akka zu Nils Holgersson.
 
„Es sieht aus, als bekämen wir jetzt einige Zeit stilles Wetter,“ begann sie, „und ich gedenke deshalb, morgen über die Ostsee zu fliegen.“
 
„Ach so,“ erwiderte der Junge kurz, denn der Hals war ihm wie zugeschnürt, und er konnte nicht sprechen. Er hatte eben doch immer noch gehofft, er werde, solange er in Schonen sei, von seiner Verzauberung befreit werden.
 
„Wir sind jetzt ziemlich nahe bei Westvemmenhög,“ fuhr Akka fort; „und ich dachte, du hättest vielleicht Lust, einen kleinen Besuch daheim zu machen. Es wird ja eine gute Weile dauern, bis du wieder jemand von den Deinen zu sehen bekommst.“
 
„Es ist gewiß am besten, ich unterlasse das,“ sagte der Junge; aber seiner Stimme war wohl anzuhören, wie sehr er sich über den Vorschlag freute.
 
„Wenn der Gänserich hier bei uns bleibt, kann ihm ja kein Unglück geschehen,“ sagte Akka. „Ich meine, du solltest dir genauen Bescheid verschaffen, wie es bei dir daheim steht. Vielleicht könntest du deinen Eltern doch auf irgendeine Weise helfen, selbst wenn du nicht wieder ein Mensch wirst.“
 
„Ja, da habt Ihr recht, Mutter Akka. Daran hätte ich auch selbst denken können!“ rief der Junge, und er wurde plötzlich ganz eifrig.
 
Einen Augenblick später waren er und Akka auf dem Wege zu Holger [494] Nilssons, und schon nach einer kleinen Weile ließ sich Akka auf dem Steinmäuerchen nieder, das das Gütchen des Häuslers rings umgab.
 
„Es ist doch merkwürdig, wie unverändert alles ist!“ sagte der Junge; er kletterte eilig auf das Mäuerchen hinauf und schaute sich um. „Es ist mir, als sei es gestern gewesen, daß ich hier auf dem Steinmäuerchen saß und euch daherfliegen sah.“
 
„Ob dein Vater wohl eine Flinte hat?“ fragte Akka plötzlich.
 
„Das will ich meinen!“ rief der Junge. „Dieser Flinte wegen bin ich ja an jenem Sonntag daheim geblieben, anstatt in die Kirche zu gehen.“
 
„Dann wage ich nicht, hier auf dich zu warten,“ sagte Akka, „und es ist wohl am besten, du schleichst dich morgen früh wieder zu uns zurück, dann kannst du die Nacht über hier bleiben.“
 
„Ach nein, Mutter Akka, fliegt nicht fort!“ rief der Junge und sprang rasch von dem Mäuerchen herab. Er wußte nicht, woher es kam, aber er hatte das Gefühl, als müsse ihm oder den Wildgänsen etwas zustoßen, so daß sie einander nie mehr sehen würden. „Ihr seht ja wohl, daß ich betrübt bin, weil ich meine rechte Gestalt nicht wieder bekommen soll, aber ich sage Euch, ich bereue durchaus nicht, damals mit euch Gänsen fortgeflogen zu sein. Nein, nein, lieber will ich nie wieder ein Mensch werden, als daß ich diese Reise nicht mit euch gemacht hätte.“
 
Akka sog ein paarmal die Luft durch ihren Schnabel ein, ehe sie antwortete. „Es liegt mir etwas auf dem Herzen, worüber ich schon lange gern mit dir gesprochen hätte; da du jedoch nicht zu den Deinen zurückzukehren gedachtest, hielt ich es nicht für so eilig. Es kann indes nichts schaden, wenn ich es dir mitteile.“
 
„Ihr wißt, es gibt nichts, was ich nicht gerne für Euch täte,“ sagte der Junge.
 
„Wenn du etwas Gutes gelernt hast, Däumling, dann bist du vielleicht jetzt nicht mehr der Ansicht, daß die Menschen allein auf der Welt herrschen sollten,“ sagte die Anführerin feierlich. „Bedenke, ihr habt ein großes Land für euch, und deshalb könntet ihr uns recht gut ein paar Schären und einige sumpfige Seen und Moore, sowie einige öde Felsen und abgelegene Wälder überlassen, wo wir armen Tiere im Frieden leben könnten. Solange ich lebe, bin ich nun beständig verfolgt und gejagt worden. Es wäre eine Wohltat, wenn sich für solche Geschöpfe, wie wir sind, auch irgendwo eine richtige Freistatt fände.“
 
„Wie sehr würde ich mich freuen, wenn ich euch in dieser Sache helfen könnte. Aber ich genieße gewiß niemals soviel Macht und Ansehen bei den Menschen,“ seufzte der Junge.
 
„Aber, Däumling, wir stehen ja hier und sprechen miteinander, als ob wir uns nie wieder sehen sollten!“ sagte Akka plötzlich. „Und doch treffen wir wohl schon morgen früh wieder zusammen. Jetzt will ich zu meiner Schar zurückfliegen.“ Damit hob Akka die Flügel, ließ sich jedoch sogleich wieder nieder, [495] rieb ihren Schnabel ein paarmal an dem Däumling auf und ab und flog erst dann endgültig davon.
 
Es war schon glockenhell, aber auf dem Hofe war kein Mensch zu sehen, und der Junge konnte ohne Scheu überall herumgehen. Zuerst lief er in den Kuhstall hinein, denn er wußte, bei den Kühen würde er Auskunft erhalten. Im Frühling waren drei prächtige Kühe im Stalle gewesen, aber jetzt stand nur noch eine einzige da. Diese eine war Majros, und man konnte ihr wohl anmerken, daß sie Heimweh nach ihren Kameraden hatte. Sie ließ den Kopf hängen und fraß kaum ein Hälmchen von dem Futter, das vor ihr lag.
 
„Guten Tag, Majros!“ sagte der Junge und sprang ohne Angst in den Stand zu ihr hinein. „Wie geht es meiner Mutter und meinem Vater? Und was machen die Hühner und Gänse und die Katze? Und wo hast du denn Stern und Gull-Lilja gelassen?“
 
Als Majros die Stimme des Jungen hörte, fuhr sie zusammen, und es sah aus, als wolle sie mit den Hörnern nach ihm stoßen. Aber sie war jetzt nicht mehr so hitzig wie früher, sondern nahm sich Zeit, Nils Holgersson näher zu betrachten, ehe sie zustieß. Er war noch ebenso klein wie bei seiner Abreise und trug auch noch denselben Anzug; aber er sah sich trotzdem gar nicht mehr ähnlich. Der Nils Holgersson, der im Frühjahr fortgezogen war, hatte einen schwerfälligen, langsamen Gang, eine träge Stimme und schläfrige Augen gehabt; der Nils Holgersson, der jetzt zurückgekehrt war, war flink und geschmeidig, sprach rasch und hatte glänzende, leuchtende Augen. Auch hatte er eine so kecke Haltung, daß man unwillkürlich Respekt vor ihm bekam. Trotz seiner Kleidung, und obgleich er nicht gerade glücklich aussah, wurde man froh, wenn man ihn nur ansah.
 
„Muu!“ brüllte Majros. „Es hieß, er sei anders geworden, aber ich wollte es nicht glauben. Grüß dich Gott, Nils Holgersson, grüß dich Gott! Dies ist der erste frohe Augenblick, den ich seit langer Zeit gehabt habe.“
 
„Ich danke dir, Majros,“ erwiderte der Junge, sehr angenehm überrascht über die freundliche Begrüßung. „Erzähl mir nun, wie es meinem Vater und meiner Mutter geht!“
 
„Seit du fort bist, haben sie nichts als immerfort Kummer und Unglück gehabt,“ sagte Majros. „Das schlimmste aber ist die Sache mit dem teuren Pferd, das nun den ganzen Sommer nichts tun konnte und immer nur gefressen hat. Dein Vater kann es nicht übers Herz bringen, es zu erschießen, und verkaufen kann er es auch nicht. Des Pferdes wegen haben Stern und Gull-Lilja verkauft werden müssen.“
 
Der Junge hätte eigentlich etwas ganz andres gerne gewußt; aber er scheute sich, geradeheraus zu fragen. Deshalb sagte er: „Meine Mutter war wohl sehr ärgerlich, als sie entdeckte, daß der Gänserich Martin davongeflogen war?“
 
„Wenn sie gewußt hätte, wie alles gekommen war, hätte sie sich über den Verlust des Gänserichs Martin wohl nicht so sehr gegrämt. So aber trauert [496] sie Tag und Nacht darüber, daß ihr eigener Sohn von daheim fortgelaufen sei und den Gänserich mitgenommen habe.“
 
„Wie, glaubt sie denn, ich habe die Gans gestohlen?“ rief der Junge.
 
„Ja, was soll sie denn sonst glauben?“
 
„Vater und Mutter meinen wohl, ich hätte mich den Sommer hindurch wie ein gemeiner Landstreicher herumgetrieben?“
 
„Sie denken, es stehe schlimm mit dir,“ sagte Majros, „und sie haben um dich getrauert, wie man trauert, wenn man sein Liebstes verloren hat.“
 
Als der Junge dies hörte, verließ er rasch den Kuhstall und ging zu dem Pferde hinein. Der Pferdestall war ein kleiner, aber hübscher Raum. Der Junge sah wohl, der Vater hatte sich alle Mühe gegeben, es dem Pferde bei seiner Ankunft so recht behaglich zu machen. Und es stand auch wirklich ein wunderschönes Pferd im Stall, das von Gesundheit strotzte.
 
„Guten Tag, guten Tag!“ sagte der Junge. „Wie ich höre, soll ein krankes Pferd hier sein. Damit bist du doch wohl nicht gemeint, denn du siehst ja ganz frisch und ganz gesund aus?“
 
Das Pferd wendete den Kopf und sah den Jungen nachdenklich an.
 
„Bist du der Sohn des Hauses?“ fragte es. „Von dem hab ich sehr viel sprechen hören. Aber du siehst so gut aus, und wenn ich nicht wüßte, daß du in ein Wichtelmännchen verwandelt worden bist, würde ich nie geglaubt haben, du seiest der kleine Nils Holgersson.“
 
„Ich weiß wohl, ich habe hier einen schlechten Ruf hinterlassen,“ entgegnete der Junge. „Meine Mutter glaubt, ich hätte mich als ein Dieb fortgeschlichen; das ist nun freilich einerlei, denn ich bleibe nicht lange hier. Bevor ich wieder gehe, möchte ich aber doch noch wissen, was dir eigentlich fehlt.“
 
„Wie schade, daß du nicht hier bleibst!“ sagte das Pferd. „Ich bin überzeugt, wir zwei wären sehr gute Freunde geworden. Mir fehlt gar nichts, als daß ich mir etwas in den Fuß hineingetreten habe, eine Messerspitze, oder was es sonst sein mag. Es sitzt so tief drinnen, daß es der Doktor nicht entdeckt; aber es sticht und sticht, und deshalb kann ich durchaus nicht auftreten. Wenn du nur Holger Nilsson mitteilen würdest, was mir fehlt, dann würde er mir gewiß helfen können. Ich möchte doch für all das Futter auch etwas leisten und schäme mich wirklich, hier nichts zu tun, als immer nur zu fressen.“
 
„Wie gut, daß du keine eigentliche Krankheit hast!“ rief der Junge. „Ich muß dafür sorgen, daß du kuriert wirst. Es täte dir wohl nicht weh, wenn ich mit meinem Messer ein wenig auf deinen Huf kritzelte?“
 
Nils Holgersson war mit dem Pferde eben fertig geworden, als er draußen auf dem Hofe Stimmen hörte. Er öffnete vorsichtig einen Spalt an der Stalltür und lugte hinaus: Sein Vater und seine Mutter waren es, die von der Landstraße her auf das Haus zukamen. Ach ja, Nils Holgersson sah ihnen wohl an, wie niedergedrückt sie waren! Seine Mutter hatte mehr Runzeln im [497] Gesicht, als sie im Frühjahr gehabt hatte, und sein Vater war ganz grau geworden; die Mutter versuchte eben den Vater zu überreden, von seinem Bruder Geld zu entlehnen.
 
„Nein, ich will nicht noch mehr Geld entlehnen,“ sagte der Vater gerade in dem Augenblick, wo die beiden am Stall vorübergingen. „Schulden haben ist das allerschlimmste, dann lieber noch den Hof verkaufen.“
 
„Ich hätte auch nicht so sehr viel gegen den Verkauf, wenn es nicht des Jungen wegen wäre,“ erwiderte die Mutter. „Aber wo soll er sich hinwenden, wenn er nun, wie man sich denken kann, eines Tages arm und elend zurückkehrt und wir dann nicht mehr da sind?“ 

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