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53 Die Reise nach Vemmenhög
日期:2020-09-21 14:53  点击:217
Donnerstag, 3. November
 
Zu Anfang November flogen die Wildgänse eines Tages über das Hallandgebirge nach Schonen hinein. Sie hatten sich einige Wochen auf den großen Ebenen bei Fallköping aufgehalten, und da sich mehrere andre Scharen Wildgänse auch dort niedergelassen hatten, war es eine schöne Zeit für alle gewesen; die Alten hatten viel miteinander geplaudert und die Jungen in allen Arten von Leibesübungen gewetteifert.
 
Was nun Nils Holgersson betrifft, so war er nicht so sehr erfreut über den langen Aufenthalt in Westgötland. Er gab sich alle Mühe, seinen Mut aufrecht zu erhalten, aber es wurde ihm sehr schwer, sich mit seinem Schicksal auszusöhnen.
 
„Hätte ich doch nur erst Schonen hinter mir und wäre glücklich im Ausland!“ dachte er. „Dann wüßte ich, daß ich nichts mehr zu hoffen hätte, und würde ruhiger werden.“
 
Eines Morgens in aller Frühe waren dann die Wildgänse aufgebrochen und nach Halland hinuntergeflogen. Im Anfang hatte der Junge keine große Lust, sich die Landschaft zu betrachten; er meinte, es werde da nicht viel Neues zu sehen sein. Der östliche Teil war ein hügeliges Land mit großen Heidestrecken, die an Småland erinnerten, und weiter gegen Westen ragten runde, kahle, durch Buchten getrennte Berggipfel auf, ungefähr wie in Bohuslän.
 
Als aber die Wildgänse immer weiter südwärts über den schmalen Küstenstrich hinflogen, beugte sich der Junge weit über den Hals des Gänserichs vor und verwandte kein Auge mehr vom Boden. Er sah, daß die Berge sich lichteten und die Ebene sich ausbreitete. Und zugleich sah er auch, daß die Küste weniger zerrissen war. Die Schären davor wurden spärlich und immer spärlicher, [490] bis sie schließlich ganz verschwanden und das weite offene Meer bis dicht ans Festland heranreichte.
 
Und dann hörte der Wald auf. Weiter droben im Lande hatte der Junge nun freilich schon viele schöne Ebenen gesehen; aber alle waren von Wäldern umrahmt gewesen. Der Wald hatte sich überall ausgebreitet. Es war, als ob das Land dort eigentlich nur den Bäumen gehörte, und das bebaute Land sah nur wie große gerodete Plätze im Walde aus. Und auf allen Ebenen hatten Baumgruppen und Gehölze gestanden, wie um zu zeigen, daß der Wald jeden Augenblick einschreiten und von dem Land wieder Besitz ergreifen könnte.
 
Aber hier war das ganz anders. Hier hatte das Flachland das Übergewicht. Unbeschränkt erstreckte es sich bis zum Horizont. Es gab wohl auch große, wohlgepflegte Forste, aber keinen wilden Wald. Und gerade daß das Land so offen dalag, mit einem Acker neben dem andern, erinnerte den Jungen an Schonen. Den offnen Strand mit seinen sandigen Ufern und Tanghaufen glaubte er auch wiederzuerkennen. Es wurde ihm froh und ängstlich zugleich ums Herz. „Jetzt kann ich nicht mehr weit von meiner Heimat entfernt sein,“ dachte er.
 
Die Landschaft veränderte sich aber doch wieder; große Bäche kamen aus Westgötland und Småland dahergeschäumt und unterbrachen die Einförmigkeit der Ebene; Seen, Moore, Heidestrecken, mit Flugsand bedeckte Felder versperrten den Äckern den Weg; aber diese breiteten sich doch immer weiter aus, bis hinunter zum Hallandgebirge, das an der Grenze von Schonen mit seinen schönen Schluchten und Tälern aufragt.
 
Schon mehrere Male hatten die jungen Gänse in der Schar die alten gefragt: „Wie sieht es im Auslande aus? Wie sieht es im Auslande aus?“
 
„Wartet nur, wartet nur! Ihr werdet es bald erfahren,“ hatten die Alten geantwortet, die das Land schon so oft auf und ab geflogen waren.
 
Als die jungen Gänse auf der Reise die langen bewaldeten Bergrücken um Wärmland her und die glänzenden Seen zwischen der Bohusläner Felsenwelt oder die schönen Hügel in Westgötland sahen, hatten sie sich verwundert gefragt: „Sieht die ganze Welt so aus? Sieht die ganze Welt so aus?“
 
„Wartet nur, wartet nur! Ihr werdet es bald erfahren, wie es in einem großen Teile der Welt aussieht,“ hatten die Alten geantwortet.
 
Nachdem die Wildgänse nun über das Hallandgebirge hingeflogen und schon ein gutes Stück nach Schonen hineingekommen waren, rief Akka: „Schaut jetzt hinunter und seht euch um! So sieht es im Ausland aus!“
 
Gerade da flogen sie über den Söderberg hin. Der ganze lange Höhenzug war mit Buchenwäldern bestanden, und mitten in den Wäldern lagen schöne mit Türmen und Zinnen geschmückte Schlösser. Zwischen den [491] Bäumen grasten Rehe, und auf den Waldwiesen spielten die Hasen. Jagdhörner klangen durch die Wälder, und scharfes Hundegebell drang bis zu der dahinfliegenden Schar herauf. Durch die Wälder führten schöne, breite Straßen, auf denen Herren und Damen in glänzenden Wagen dahergefahren oder auf wunderschönen Pferden geritten kamen. Am Fuß des Gebirges breitete sich der Ringsee aus mit dem alten Bosjökloster auf einer schmalen Landzunge. Die Skäralider Schlucht durchschneidet den Bergrücken, ein Bach plätschert auf ihrem Grunde, und die Felswände sind mit Gebüsch und Bäumen dicht bewachsen.
 
„Sieht es so im Ausland aus? Sieht es so im Ausland aus?“ fragten die jungen Gänse.
 
„Ja, wo waldige Bergrücken sind, sieht es gerade so aus!“ rief Akka. „Aber das ist nicht so sehr oft der Fall. Wartet nur, dann werdet ihr schon sehen, wie es gewöhnlich dort aussieht!“
 
Akka führte die Wildgänse weiter gen Süden nach Schonen auf die große Ebene. Da lag sie vor ihnen mit weiten Äckern, mit Rübenfeldern, auf denen die Arbeiter in langen Reihen beschäftigt waren, mit niedrigen, weißgekalkten, aneinandergebauten Höfen, mit unzähligen kleinen, weißen Kirchen, mit häßlichen grauen Zuckerfabriken und mit Bahnhöfen, umgeben von Marktflecken, die einen städtischen Anstrich hatten. Es gab auch viele Torfmoore mit langen Reihen ausgestochener Torfhügel und Steinkohlengruben mit schwarzen Kohlenbergen um sich her. Die Landstraßen liefen zwischen zwei Reihen gestutzter Weidenbäume hin, die Eisenbahnschienen liefen durcheinander und bildeten ein dichtes Netz über die ganze Ebene. Kleine buchenumkränzte Seen, jeder mit einem prächtigen Herrenhof am Ufer, blinkten da und dort hervor.
 
„Schaut jetzt hinunter! Seht euch gut um!“ rief die Anführerin. „So sieht es im Ausland aus, von der Küste der Ostsee an bis hinunter zu den hohen Bergen, und weiter als bis zu diesen sind wir nie gereist.“
 
Als die jungen Gänse die Ebene gesehen hatten, flog die Schar nach dem Öresund. Große sumpfige Wiesen fielen sanft gegen das Meer ab, und lange Wälle aus schwärzlichem Tang lagen vom Meere angeschwemmt auf dem Strand. An einigen Stellen waren hohe Uferwälle, an andern lauter Flugsand, der sich zu Dünen und ganzen Hügeln auftürmte. Die Fischerdörfer lagen am Ufer mit einer langen Reihe ganz gleichmäßig gebauter und gleichgroßer Backsteinhäuschen, einem kleinen Leuchtturm draußen am Wellenbrecher und großen mit braunen Netzen dicht behängten Trockenplätzen.
 
„Schaut hinunter! Seht euch wohl um!“ sagte Akka. „So sieht es im Ausland an den Küsten aus!“
 
 
Schließlich flog die Anführerin auch über einige der Dörfer hin, und die Gänse sahen eine Menge schlanker Fabrikschlote, lange, von hohen, rauchgeschwärzten [492] Häusern eingefaßte Straßen, prächtige, große Parke, durch die sich schöne Spazierwege schlängelten, sichere Häfen voller Schiffe, alte Festungswerke und Schlösser und ehrwürdige alte Kirchen.
 
„So sehen die Städte im Ausland aus, nur daß sie viel größer sind,“ sagte Akka. „Aber diese hier können auch noch wachsen, gerade wie ihr jungen Gänse.“
 
 
Nachdem Akka so umhergeflogen war, ließ sie sich auf einem Moor im Vemmenhöger Bezirk nieder. Der Junge aber konnte den Gedanken nicht loswerden, Akka sei nur deshalb in Schonen umhergeflogen, um ihm zu zeigen, daß er ein Land habe, das sich mit jedem andern im Ausland wohl messen könne. Aber das wäre nicht nötig gewesen; der Junge dachte nicht daran, ob das Land reich oder arm sei. Von dem Augenblick an, wo er die ersten Weidenhecken und die ersten niedrigen Fachwerkhäuser gesehen hatte, war sein Herz von heißem Heimweh erfüllt worden. 

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