O Gott, rief Kreisler, indem sein Gesicht in dem mannig122faltigsten Muskelspiel vibrierte, wie es allemal zu geschehen pflegte, wenn der Humor aufstieg in dem Innern, o Gott, gnädigste Prinzessin! — wie ganz bin ich ärmster Kapellmeister Ihrer gütigen gnädigen Meinung! — Ist es nicht gegen alle Sitte und Kleiderordnung, die Brust mit all' der Wehmut, mit all' dem Schmerz, mit all' dem Entzücken, das darin verschlossen, anders in die Gesellschaft zu tragen, als dick verhüllt mit dem Fichu vortrefflicher Artigkeit und Konvenienz? Taugen denn alle Löschanstalten, die der gute Ton überall bereitet, taugen sie wohl was, sind sie wohl hinlänglich, um das Naphthafeuer zu dämpfen, das hie und da hervorlodern will? Spült man noch so viel Tee, noch so viel Zuckerwasser, noch so viel honettes Gespräch, ja noch so viel angenehmes Dudeldumdei hinunter, doch gelingt es diesem, jenem freveligen Mordbrenner, eine Congrevische Rakete ins Innere zu werfen, und die Flamme leuchtet empor, leuchtet und brennt sogar, welches dem puren Mondschein niemals geschieht! — Ja! gnädigste Prinzessin! — ja, ich! — aller Kapellmeister hienieden unseligster, ich habe schändlich gefrevelt mit dem entsetzlichen Duett, das wie ein höllisches Feuerwerk mit allerlei Leuchtkugeln, Schwanzraketen, Schwärmern und Kanonenschlägen durch die ganze Gesellschaft gefahren ist, und leider merk' ichs, fast überall gezündet hat! — Ha! — Feuer — Feuer — Mordio! — es brennt — Spritzenhaus auf — Wasser — Wasser — Hilfe — rettet!
Kreisler stürzte zu auf den Notenkasten, zog ihn hervor unter dem Flügel, öffnete ihn — warf die Noten umher — riß eine Partitur heraus, es war Paesiellos Molinara, setzte sich an das Instrument, begann das Ritornell der bekannten hübschen Ariette: La Rachelina, Molinarina, mit der die Müllerin auftritt. —
Aber lieber Kreisler! sprach Julia ganz schüchtern und erschrocken.
Doch Kreisler warf sich vor Julien nieder auf beide Knie, und flehte: „Teuerste, holdseligste Julia! erbarmen Sie sich der hochverehrten Gesellschaft, gießen Sie Trost in die hoffnungslosen Gemüter, singen Sie die Rachelina! — Tun Sie es nicht, so bleibt mir nichts übrig, als mich hier vor Ihren sichtlichen Augen hinabzustürzen in die Verzweiflung, an deren Rand ich mich bereits befinde, und Sie halten den verlornen Maitre de la Chapelle vergebens am Rockschoß, denn indem Sie gutmütig rufen: Bleibe bei uns o Johannes! so ist er schon hinabgefahren zum Acheron, und wagt im dämonischen Shawltanz die allerzierlichsten Sprünge: darum singen Sie Werte!“
123Julia tat, wiewohl, so schien es, mit einigem Widerwillen, warum Kreisler sie gebeten.
Sowie die Ariette geendet, begann Kreisler sofort das bekannte komische Duett des Notars mit der Müllerin. —
Julia's Gesang, in Stimme und Methode, neigte sich ganz zum Ernsten, Pathetischen, demungeachtet stand ihr eine Laune zu Gebote, wenn sie komische Sachen vortrug, die die reizendste Liebenswürdigkeit selbst war. Kreisler hatte sich den seltsamen aber unwiderstehlich hinreißenden Vortrag der italienischen Buffi zu eigen gemacht, das ging heute aber beinahe bis zur Übertreibung, denn indem Kreisler's Stimme nicht dieselbe schien, da sie dem höchsten dramatischen Ausdruck in tausend Nuancen sich fügte, so schnitt er dabei auch solche absonderliche Gesichter, die einen Cato zum Lachen gebracht hätten.
Es konnte nicht fehlen, daß alle laut aufjauchzten, losbrachen in schallendem Gelächter.
Kreisler küßte Julien entzückt die Hand, die sie ihm ganz unmutig schnell wegzog. „Ach, sprach Julie, Kapellmeister, ich kann mich nun einmal in Ihre seltsame Launen — abenteuerliche möcht ich sie nennen, ich kann mich nun einmal gar nicht darin finden! — Dieser Todessprung von einem Extrem zum andern zerschneidet mir die Brust! — Ich bitte Sie, lieber Kreisler, verlangen Sie nicht mehr, daß ich mit tief bewegtem Gemüt, wenn noch die Töne der tiefsten Wehmut widerklingen in meinem Innern, daß ich dann Komisches singe, sei es auch noch so artig und hübsch! Ich weiß es — ich vermag es, ich setze es durch, aber es macht mich ganz matt und krank. — Verlangen Sie es nicht mehr! — nicht wahr, Sie versprechen mir das, lieber Kreisler?“
Der Kapellmeister wollte antworten, in dem Augenblick umarmte aber die Prinzessin Julien stärker, ausgelassener lachend, als es irgendeine Oberhofmeisterin für schicklich halten, oder verantworten kann.