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Sechstes Kapitel Puck
日期:2020-08-25 09:35  点击:251

Die Mittagshitze dieses schönen Sommertags machte die kleine Maja recht müde, sie flog gemächlich an grell beschienenen Gartenbüschen vorüber, bis die großen Blätter eines riesigen Kastanienbaums ihr Schutz und Kühle boten. Es standen Tische und Bänke unter der Kastanie auf dem zertretenen Rasen; offenbar war es eine Sommerwirtschaft, die unter der Baumkrone aufgeschlagen war. In der Nähe schimmerte das rote Ziegeldach eines Bauernhauses, aus dessen Schornsteinen ein bläulicher Rauch in den Sonnenschein emporzog.

Nun schien es der kleinen Maja ganz unvermeidlich, daß sie endlich einem Menschen begegnen müßte, war sie nicht bis unmittelbar in sein Machtbereich vorgedrungen? Sicherlich war dieser Baum sein Eigentum, und die seltsamen Holzgeräte im Schatten drunten gehörten zu seinem Stock.

Da summte es neben ihr, und eine Fliege ließ sich auf ihrem Blatt nieder. Sie lief eine Weile auf dem grünen Geäder herum, immer in kleinen Stößen, so daß man die Bewegungen ihrer Beine nicht sah und fast glauben konnte, sie rutschte rasch und aufgeregt hin und her. Dann flog sie von einem Teil des großen gefingerten Blattes zum andern, aber so schnell und unversehens, daß jeder geglaubt hätte, sie wäre gesprungen statt geflogen. Aber es sah nur so aus. Offenbar war ihr daran gelegen, herauszubekommen, auf welchem Teil des Blattes es am angenehmsten war. Zuweilen schwang sie sich für ein ganz kleines Stückchen urplötzlich in die Luft, brummte dabei geradezu leidenschaftlich, als sei etwas Unerhörtes geschehen, oder als bewegte sie das größte Vorhaben der Welt, ließ sich aber dann wieder nieder und machte wieder ihre sprunghaften Laufstrecken, als sei nichts geschehn, dann wieder saß sie ganz still, als ob sie plötzlich erstarrt wäre.

Maja sah zu, was die Fliege da in der Sonne tat. Endlich näherte sie sich ihr und sagte höflich:

„Ich wünsche guten Tag und heiße Sie auf meinem Blatt willkommen; soviel ich weiß, sind Sie eine Fliege.“

„Was denn sonst?“ fragte die Kleine, „ich heiße Puck, ich bin sehr beschäftigt. Wollen Sie mich vertreiben?“

„O nein. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen“, entgegnete Maja.

„Das glaub’ ich“, sagte Puck nur, und versuchte sich den Kopf abzureißen.

„Um Gottes willen,“ rief Maja, „schonen Sie sich!“

„Das muß sein, davon verstehn Sie nichts“, entgegnete Puck gelassen, und fuhr sich mit den Beinen über die Flügel, so daß sie sich hinten tief um den Leib bogen. „Ich bin übrigens eine Stubenfliege,“ fügte sie nicht ohne Stolz hinzu, „ich weile hier nur in der Sommerfrische.“

„Wie interessant,“ rief die kleine Maja glücklich, „da kennen Sie sicherlich den Menschen?“

„Den kenne ich wie meine Hosentasche,“ warf Puck geringschätzig ein, „ich sitze täglich darauf. Ja, aber wissen Sie denn das nicht? Ihr Bienen seid doch sonst so gescheit, ihr glaubt es wenigstens zu sein.“

„Ich heiße Maja“, antwortete die kleine Biene etwas schüchtern. Sie begriff nicht recht, wo die andern Insekten ihr Selbstbewußtsein, ihre Sicherheit und oft sogar ihre Frechheit hernahmen.

„Es ist schon gut,“ wehrte Puck ab, „heißen Sie, wie Sie wollen, dumm sind Sie jedenfalls.“

Puck saß da, wie eine Kanone, die grade abgefeuert werden soll, der Kopf und die Brust ragten empor, und die unterste Spitze ihres Leibes berührte das Blatt. Dann plötzlich duckte sie sich zusammen, so daß es aussah, als habe sie keine Beine.

„Vorsichtig muß man sein,“ sagte sie, „darauf kommt es an.“

Aber in der kleinen Maja wallte es nach der Kränkung, die Puck ausgesprochen hatte, zornig empor. Ohne daß sie recht wußte, was sie eigentlich trieb, schwang sie sich blitzschnell auf Puck zu, ergriff sie beim Kragen und hielt sie fest.

„Ich werde Sie lehren, gegen eine Biene höflich zu sein“, rief sie.

Puck fing ein fürchterliches Geschrei an.

„Stechen Sie nicht,“ schrie sie, „das ist das einzige, was Sie können, aber es schadet. Bitte nehmen Sie Ihren Hinterleib weg, soweit als möglich, darin sitzt der Stachel. Und lassen Sie mich los, wenn es Ihnen möglich ist, ich will alles tun, was Sie wollen. Verstehen Sie denn keinen Scherz!? Es weiß doch jeder, daß Ihr Bienen unter den Insekten die angesehensten seid, die mächtigsten und die zahlreichsten. Nur nicht töten, wenn ich bitten darf, es wäre nachher nicht mehr gutzumachen. Herrgott, daß niemand für meinen Humor Verständnis hat.“

„Gut,“ sagte Maja, nicht ohne ein wenig Verachtung im Herzen, „ich werde Sie leben lassen, wenn Sie mir vom Menschen alles sagen, was Sie wissen.“

„Gern,“ rief Puck, „ich hatte es ohnehin vor, aber jetzt lassen Sie los.“

Maja tat es. Es war ihr plötzlich gleichgültig geworden, sie hatte Vertrauen und Achtung vor der Fliege verloren. Was so ein Gesindel in Erfahrung bringt, dachte sie, hat für ernste Leute wenig Wert, ich werde wohl doch selbst sehen müssen, welche Beschaffenheit es mit dem Menschen hat.

Aber die kleine Fliege Puck wurde doch um vieles erträglicher, nachdem sie diese ernste Lehre empfangen hatte. Zu Anfang ordnete sie unter Gebrumm und Schelten ihre Fühler, Flügel und die Härchen ihres schwarzen Körpers. Alles war sehr in Unordnung geraten, denn die kleine Maja hatte fest zugepackt. Zum Schluß ließ Puck seinen Rüssel ein und aus fahren, etwas, das Maja noch niemals gesehn hatte.

„Verstaucht! Total verstaucht ist der Rüssel,“ rief sie schmerzlich, „das kommt von dieser Erregtheit, mit der Sie vorgehen. Sehen Sie selbst, unten die Saugplatte sieht aus wie ein verbogener Blechteller!“

„Haben Sie eine Saugplatte?“ fragte Maja.

„Ach Gott, selbstverständlich! Was wollen Sie also über den Menschen wissen? Das mit dem Rüssel wird sich schon geben. Ich denke, am besten erzähle ich Ihnen aus meinem Leben. Da ich unter Menschen groß geworden bin, werden Sie schon erfahren, was Sie wissen wollen.“

„Sie sind unter Menschen groß geworden?“

„Aber ja doch. In ihre Stubenecke legte meine Mutter das Ei, aus dem ich gekrochen bin, auf ihren Gardinen habe ich die ersten Gehversuche gemacht, und von Schiller bis Goethe probierte ich die Kraft meiner Flügel zum erstenmal.“

Maja fragte, was Schiller und Goethe seien, und Puck erklärte es ihr überlegen. Das seien die Statuen zweier Menschen, die sich offenbar besonders ausgezeichnet hätten. Sie stünden unter dem Spiegel, rechts und links, und würden von niemand beachtet.

Nun wollte Maja wissen, was ein Spiegel sei und warum diese beiden Statuen darunter stünden.

„Im Spiegel sieht man sich an seinem Bauch, wenn man darauf kriecht“, erklärte Puck. „Es ist sehr amüsant. Wenn die Menschen vor ihn hintreten, fahren sie sich entweder in die Haare, oder sie reißen an ihrem Bart. Wenn sie allein sind, lächeln sie hinein, aber wenn noch jemand im Zimmer ist, so machen sie ernste Angesichter. Den Zweck weiß ich nicht, ich habe ihn nie ergründen können, er scheint eine unnötige Spielerei der Menschen zu sein. Ich selbst habe in meinen ersten Lebenstagen sehr darunter gelitten, weil ich hineinflog und natürlich auf das heftigste zurückgeschleudert wurde.“

Es war der kleinen Puck sehr schwer, Maja weitere Fragen über den Spiegel genau zu beantworten. „Sehen Sie,“ sagte sie endlich, „Sie sind doch sicher einmal über eine blanke Wasserfläche geflogen? So etwa ist ein Spiegel, nur aufrecht und hart.“

Die kleine Fliege wurde um vieles freundlicher, nun da sie merkte, daß Maja ihr zuhörte und daß ihre Erfahrungen Beachtung fanden. Und wenn Maja auch keineswegs alles glaubte, was sie von der Fliege hörte, so bereute sie es doch, so gering von ihr gedacht zu haben. Andere sind oft um vieles gescheiter, als wir anfangs glauben, dachte sie.

Und Puck fuhr fort zu erzählen:

„Es dauerte lange, bis ich die Sprache der Menschen verstehen lernte. Man lernt sie schwer, ohne gewissermaßen mit den Menschen auf du zu stehen. Jetzt weiß ich endlich, was sie wollen. Viel ist es nicht, für gewöhnlich sagen sie jeden Tag dasselbe.“

„Aber das kann ich mir gar nicht denken“, sagte Maja. „Die Menschen haben doch so vielerlei Interessen, sie sind reich an Gedanken und groß an Taten. Ich habe von Kassandra gehört, daß sie Städte bauen, die größer sind, als daß man sie an einem Tag umfliegen kann, Türme, die so hoch sind wie der Brautflug unserer Königin, Häuser, die auf dem Wasser schwimmen, und andere, die schneller als ein Vogel über das Land dahingleiten, auf zwei schmalen silbernen Straßen.“

„Halt!“ sagte Puck energisch, „wer ist denn überhaupt Kassandra? Wer ist das, wenn ich fragen darf? Nun?“

„Ach so,“ sagte Maja, „es ist meine Erzieherin gewesen.“

„Eine Erzieherin,“ wiederholte Puck geringschätzig, „wahrscheinlich also eine Biene. Wer anders könnte zu solcher Überschätzung des Menschen kommen. Dieses Fräulein Kassandra, oder wie sie sich rufen läßt, hat keine geschichtliche Kenntnis. Die Einrichtungen der Menschen, von denen Sie eben gesprochen haben, sind sämtlich ohne besonderen Wert für uns. Wer wird die Welt so unpraktisch sehen, wie Sie es tun. Wenn Sie nicht von der Voraussetzung ausgehen, daß die Erde von den Fliegen beherrscht wird, daß die Fliegen das verbreitetste und wichtigste Geschlecht sind, werden Sie die Welt kaum richtig erkennen lernen.“

Puck machte ein paar aufgeregte Zickzackwege auf dem Blatt und riß an ihrem Kopf, so daß Maja ganz besorgt wurde. Aber die kleine Biene hatte nun doch gemerkt, daß sie nicht gar zuviel Gescheites von der Fliege erfahren würde.

„Wissen Sie, woran Sie sehen können, daß ich recht habe?“ fragte Puck, und rieb sich die Hände, als ob sie sie miteinander verknoten wollte, „zählen Sie in einer Stube die Menschen und die Fliegen. Das Resultat wird Sie in ungeahnter Weise in Erstaunen setzen.“

„Vielleicht haben Sie recht,“ sagte Maja, „aber darauf kommt es nicht an.“

„Glauben Sie übrigens, ich sei diesjährig?“ fragte Puck plötzlich.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Maja.

„Ich habe überwintert“, berichtete Puck stolz. „Meine Erfahrungen gehen bis in die Eiszeit. Sie führen gewissermaßen mitten hindurch. Darum weile ich hier jetzt zur Erholung.“

„Mut haben Sie jedenfalls“, meinte Maja.

„O ja“, rief Puck und machte einen kleinen Luftsprung in die Sonne. „Die Fliegen sind das kühnste Geschlecht, das die Erde bevölkert. Sie werden überall sehen, daß wir stets nur dann flüchten, wenn es besser ist, aber wir kommen immer wieder. Haben Sie schon einmal auf einem Menschen gesessen?“

Maja verneinte und sah schräg und mißtrauisch auf die Fliege. Sie wußte immer noch nicht recht, was sie von ihr halten sollte.

„Nein,“ sagte sie nun, „ich habe kein Interesse daran.“

„Weil Sie es nicht kennen, meine Liebe! Wenn Sie einmal das muntere Spiel beobachtet hätten, das ich daheim mit dem Menschen treibe, so würden Sie vor Neid auswandern. Trotzdem will ich es Ihnen erzählen. In meinem Zimmer wohnt ein älterer Mensch, der die Farbe seiner Nase durch ein eigenartiges Getränk pflegt, das in einem Eckschrank verborgen ist. Es duftet betäubend und süß; wenn er darauf zugeht, um es sich zu holen, lächelt er, und die Augen werden klein. Er nimmt ein Gläschen, und wenn er trinkt, schaut er zur Decke herauf, ob ich schon da bin. Ich nicke ihm zu, und er fährt sich mit der Hand über Stirn, Nase und Mund, um mir anzudeuten, wo ich später sitzen soll. Dann blinzelt er und reißt den Mund auf, so weit er kann, und zieht die Vorhänge am Fenster zu, damit die Nachmittagssonne uns nicht stört. Endlich legt er sich auf ein Ruhebett, das Sofa genannt wird, und stößt nach kurzer Zeit dumpfe krächzende Laute aus, die er sicher für schön hält. Darüber wollen wir ein andermal reden, es ist der Schlummergesang des Menschen. Für mich ist es das Zeichen, mich zu nähern. Zunächst nehme ich meinen Anteil aus dem Glase, den er für mich zurückgelassen hat. Solch ein Tröpflein hat etwas außerordentlich Belebendes, ich verstehe den Menschen. Dann fliege ich hinzu und nehme auf der Stirn des Ruhenden Platz. Sie liegt zwischen der Nase und dem Haar und dient zum Denken. Man sieht es an den langen Falten, die sich wie Furchen von rechts nach links ziehen, und die beim Denken bewegt werden müssen, wenn etwas Rechtes dabei herauskommen soll. Auch wenn der Mensch verdrießlich ist, zeigt es sich dort, aber dann laufen die Furchen von oben nach unten und über der Nase bildet sich eine runzelige Erhöhung.

Sobald ich sitze und in den Furchen hin und her laufe, fängt der Mensch an, mit der Hand in die Luft zu greifen. Er meint, ich sei dort irgendwo. Weil ich auf seinen Denkfalten sitze, kann er nicht so rasch herausbringen, wo ich mich eigentlich befinde. Aber endlich kommt er dahinter. Er knurrt und greift nach mir. Na, wissen Sie, Fräulein Maja, oder wie Sie sich rufen lassen, da muß man sich vorsehen. Ich sehe die Hand kommen, aber ich warte bis zuletzt, dann mache ich rasch einen geschickten Flug zur Seite, setze mich und schau zu, wie er nachfühlt, ob ich noch da bin. So geht es oft eine halbe Stunde lang, Sie haben keine Ahnung, welch eine Ausdauer der Mensch hat. Endlich springt er auf und läßt allerlei Worte hören, die von seiner Undankbarkeit Zeugnis ablegen. Aber was wollen Sie? Ein edles Herz rechnet nicht auf Entgelt. Ich bin dann schon wieder oben an der Zimmerdecke und höre zu, wie er undankbar ist.“

„Ich kann nicht eben sagen, daß mir das sonderlich gefällt“, meinte Maja. „Ist es nicht recht unnütz?“

„Soll ich etwa eine Honigwabe auf seiner Nase anbauen?“ rief Puck. „Sie haben keinen Humor, meine Liebe. Was tun Sie denn Nützliches?“

Die kleine Maja wurde über und über rot. Aber sie faßte sich schnell, um Puck ihre Verlegenheit nicht merken zu lassen.

„Es wird ein Tag kommen, an dem ich etwas Schönes und Großes tue, das gut und nützlich ist,“ sagte sie schnell, „aber erst will ich sehn, was in der Welt vorgeht. Ich fühle es tief im Herzen, daß es so kommen muß!“

Und als die kleine Maja dies ausrief, fühlte sie, wie es heiß in ihr emporwallte vor Hoffnung und Begeisterung, aber Puck schien gar nicht zu verstehn, wie ernst es ihr war und was sie innerlich bewegte. Sie machte ihre aufgeregten kurzen Laufstrecken hin und her und meinte endlich:

„Haben Sie vielleicht etwas Honig bei sich, meine Gute?“

„Es tut mir sehr leid,“ antwortete Maja, „ich würde Ihnen gern etwas geben, zumal Sie mich so freundlich unterhalten haben, aber ich habe nichts. Dürfte ich vielleicht noch eine Frage stellen?“

„Schießen Sie los,“ sagte Puck, „ich antworte immer.“

„Ich möchte von Ihnen wissen, wie ich in die Behausung des Menschen gelangen kann.“

„Sie müssen hineinfliegen“, sagte Puck weise.

„Aber wie gelingt es mir ohne Gefahr?“

„Warten Sie, bis eins der Fenster geöffnet ist, aber merken Sie sich den Ausgang. Sollten Sie ihn nicht wiederfinden, so fliegen Sie später am besten dem Licht nach. Fenster finden Sie an jedem Haus genug, Sie brauchen nur darauf zu achten, wo die Sonne sich spiegelt. Wollen Sie denn schon fort?“

„Ja“, antwortete Maja und gab Puck die Hand. „Leben Sie wohl und erholen Sie sich recht. Ich habe noch allerlei vor.“

Und mit ihrem vertrauten leisen Summen, das immer ein wenig sorgenvoll klang, hob die kleine Maja ihre glänzenden Flügel und flog in den Sonnenschein hinaus auf die Blumenwiesen, um ein wenig Nahrung zu sich zu nehmen.

Puck sah ihr nach, überlegte alles vorsichtig, was man etwa noch äußern könnte, und sagte dann nachdenklich:

„Nun, schließlich, also! — Warum auch nicht?“ 

 


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