»Na, Sie ham Nerven«, sagte Frau Schmackes, die die Cafeteria
betreute.
»Ich weiß«, sagte ich freundlich, »deshalb war es auch nur mir
möglich, ins Rheinland zu gehen.«
»Übertreim Se mal nich, ick bin da ooch schon jewesen«, sagte Frau
Schmackes, »aber ick kann diese Kölner ooch nich leiden. Wat darf et
sein?«
»Ein Päckchen von Ihrem Traubenzucker, bitte.«
»Denn krieg ick 80 Cent von Ihnen«, sagte sie, bevor sie sich fast
verschwörerisch vorbeugte: »Sie wissen, dat der Kärrner vorhin extra
jekommen is? Der is schon da, der is schon im Konferenzsaal, hab ick
jehört.«
»Soso«, sagte ich und bezahlte, »und wer ist das?«
»Na, ick sach mal so«, sagte Frau Schmackes, »det is der Chef
vons Ganze. Det merkt man sonst nich so, weil die Bellini ja
normalerweise den Laden schmeißt, und wenn Se mich fragen, die hat
die Sache sowieso besser im Griff. Aber bei großen Katastrophen
kommt der Kärrner selbst.« Sie schob mir 20 Cent Rückgeld über den
Tisch. »Bei großen Erfolgsmeldungen natürlich ooch. Aber die müssen
denn schon ziemlich jroß sein. Der Flashlight jeht’s ja nicht
schlecht …«
Ich wickelte sorgsam ein Stück Traubenzucker aus und schob es mir
in den Mund.
»Sollten Sie sich nicht langsam mal auf den Weg machen?«
»Das haben im Winter 1941 auch alle gesagt«, winkte ich ab,
schlenderte aber dann doch gemessenen Schrittes in die richtige
Richtung. Es galt ja, auch den Eindruck zu vermeiden, dass diese
Veranstaltung mir Angst bereitete und ich ihr deshalb fernblieb.
Inzwischen hatten sich auf den Fluren die Gruppen noch vermehrt.
Es war fast wie ein Spalier aus Mitarbeitern, an dem ich entlangschritt
wie beim Abnehmen einer Parade. Ich lächelte freundlich einigen
jungen Damen zu, klappte den rechten Arm hin und wieder grüßend
zurück, hörte gelegentlich ein Kichern, aber auch ein »Sie machen das
schon!«.
Selbstverständlich. Es fragte sich nur, was.
Die Tür zum Konferenzraume war noch geöffnet, Sawatzki stand im
Türrahmen. Er sah mich schon von Weitem nahen und machte mit der
Hand eine unmissverständliche Geste, ich möge mich beeilen. Es war
ganz klar, dass er mich damit nicht tadelte – sein zuversichtliches
Gesicht signalisierte mir vielmehr sofort, dass er dringend, furchtbar
dringend wissen wollte, worum es ging. Ich reduzierte das Lauftempo
nochmals ein wenig, wie nebenbei einer jungen Dame ein Kompliment
für ein wirklich sehr hübsches Sommerkleid machend. Meine
Geschwindigkeit erinnerte mich fast etwas an das Paradoxon von
Achilles und der Schildkröte, die dieser nie einholen kann.
»Guten Morgen, Herr Sawatzki«, sagte ich fest, »haben wir uns
heute überhaupt schon gesehen?«