»Ich auch nicht«, sagte ich, »das ist Hochverrat!«
»Können Sie mal einen Augenblick ernst bleiben?«, fragte die Dame
Bellini. »Ich möchte nur, dass Sie mir eine Frage beantworten – sind
Sie sicher, dass die bei ›Bild‹ nichts ausgraben können, was gegen
Sie verwendet werden kann?«
»Frau Bellini«, sagte ich, »ich habe in meinem Leben nichts getan,
dessen ich mich schämen müsste. Ich habe mich weder
ungerechtfertigt bereichert noch überhaupt irgendetwas im eigenen
Interesse getan. Das wird im Umgang mit der Presse jedoch wenig
nützen. Wir müssen in jedem Fall damit rechnen, dass diese Zeitung
einen Berg an üblen Schwindeleien erdichten wird. Vermutlich wird
man mir wieder uneheliche Kinder herbeilügen, das ist ja bekanntlich
das Schlimmste, was der spießbürgerlichen Verleumdungspresse
einfällt. Aber ich kann mit diesem Vorwurf leben.«
»Uneheliche Kinder? Sonst nichts?«
»Was denn sonst?«
»Wie sieht es mit einem nationalsozialistischen Hintergrund aus?«
»Der ist einwandfrei«, beruhigte ich sie.
»Sie waren also nie in einer rechten Partei?«, hakte sie nach.
»Wo denken Sie hin?«, lachte ich über diese plumpe Fangfrage.
»Ich habe die Partei praktisch mitbegründet! Mitgliedsnummer 555!«
»Bitte?«
»Nicht, dass Sie glauben, ich sei da womöglich nur Mitläufer
gewesen.«
»War das vielleicht eine Jugendsünde?«, versuchte die Dame Bellini
noch einmal reichlich plump meine tadellose Gesinnung zu entkräften.
»Wo denken Sie hin! Rechnen Sie doch mal mit. 1919 war ich
dreißig. Ich habe mir den Schwindel sogar mit ausgedacht: Die 500
davor haben wir erfunden, damit die Mitgliederzahl besser aussieht!
Das ist ein Schwindel, auf den ich durchaus stolz bin. Also ich
versichere Ihnen: Das Schlimmste, was demnächst in dieser Zeitung
über mich stehen kann, ist: Hitler fälschte seine Mitgliedsnummer. Ich
denke, damit kann ich leben.«
Am anderen Ende der Leitung entstand wieder eine Pause. Dann
sagte die Dame Bellini:
»1919?«
»Ja. Wann denn sonst? Man kann nur einmal in eine Partei
eintreten, wenn man nicht austritt. Und ausgetreten bin ich ja wohl
nicht!«
Sie lachte, es klang erleichtert: »Damit kann ich auch leben.
›Youtube-Hitler: 1919 schummelte er beim Parteieintritt!‹ Für die
Schlagzeile würde ich beinahe sogar bezahlen.«
»Also, dann gehen Sie auf Ihren Posten, und halten Sie die Stellung.
Wir geben keinen Meter preis!«
»Jawohl, mein Führer«, hörte ich die Dame Bellini lachen. Dann
beendete sie das Telefonat. Ich ließ die Zeitung auf den Tisch sinken
und sah plötzlich in zwei strahlend blaue Kinderaugen unter einem
blonden Schopf, ein Bub, der die Hände schüchtern auf dem Rücken
hatte.
»Ja, wen haben wir denn da?«, fragte ich. »Wie heißt denn du?«
»Ich«, sagte der Knirps, »ich bin der Reinhard.« Es war wirklich ein
herziger Bub.
»Wie alt bist denn du?«, wollte ich wissen. Er hob zögerlich eine
Hand hinter dem Rücken hervor und zeigte drei Finger, bevor er
zögernd einen vierten hinzufügte. Hinreißend.
»Ich kannte mal einen Reinhard«, sagte ich und fuhr ihm sanft über
den Kopf, »der hat in Prag gewohnt. Das ist eine sehr schöne Stadt.«
»Hast du den gemocht?«, fragte der Knirps.