Ich muss zugeben: Ich war überrascht. Nicht von der wirren
Wirklichkeitswahrnehmung einer Zeitung, das kennt man ja zur
Genüge, man weiß, dass die größten Dummköpfe eines Landes mit
Vorliebe in seinen Redaktionen zu finden sind. Allerdings hatte ich
doch in jener »Bild«-Zeitung eine insgeheim verwandte Institution
wahrgenommen, etwas verklemmt zwar, mit einer spießbürgerlichen
Duckmäuserhaftigkeit, die vor dem entschlossenen klaren Wort immer
noch ein wenig zurückschreckt, aber dennoch in zahlreichen
inhaltlichen Positionen in eine ähnliche Richtung gehend. Davon war
hier zunächst wenig zu spüren. Ich hörte die Walküren reiten und griff
zum Telefon.
»Hitler.«
»Ich bin entsetzt«, sagte die Dame Bellini, »die haben uns nicht im
Mindesten vorgewarnt!«
»Was erwarten Sie denn von einer Zeitung?«
»Ich rede nicht von der ›Bild‹, ich rede von MyTV«, ereiferte sich die
Dame Bellini. »Die haben ja mit der Fahrendonk geredet, da hätte von
denen wenigstens mal eine Vorwarnung kommen können.«
»Was hätte das denn geändert?«
»Nichts«, seufzte sie, »da haben Sie wohl recht.«
»Letzten Endes ist es nur eine Zeitung«, sagte ich, »das interessiert
mich alles nicht.«
»Sie vielleicht nicht«, sagte die Dame Bellini, »aber uns schon. Die
wollen Sie abschießen. Und wir haben in Sie einiges investiert.«
»Das bedeutet was?«, fragte ich scharf.
»Das heißt«, sagte die Dame Bellini fast kühl, »dass wir eine
Anfrage von ›Bild‹ vorliegen haben. Und dass wir reden müssen.«
»Ich wüsste nicht worüber.«
»Ich schon. Wenn die Sie auf dem Kieker haben, dann werden die
jeden Stein umdrehen. Ich möchte wissen, ob es da etwas gibt, was
die finden könnten.«
Es ist immer wieder erheiternd zu beobachten, wann unsere
Wirtschaftsführer es mit der Angst bekommen. Wenn das Geschäft
nur verlockend genug erscheint, kommen sie in großer Freude
gerannt und können einem kaum genug Geld hinterherwerfen. Wenn
alles gut läuft, sind sie auch die Ersten, die ihren Anteil vergrößern
möchten mit dem Hinweis, sie hätten schließlich das ganze Risiko
getragen. Doch sobald irgendetwas gefährlich aussieht, sind sie als
Allererstes dabei, dieses doch so verdienstreiche Risiko auf andere
abzuwälzen.
»Wenn das Ihre Sorge ist«, spottete ich, »dann kommt die reichlich
spät. Meinen Sie nicht, dass Sie so was früher hätten fragen sollen?«
Die Dame Bellini räusperte sich. »Ich fürchte, wir müssen Ihnen
etwas beichten.«
»Und das wäre?«
»Wir haben Sie überprüfen lassen. Also, verstehen Sie mich nicht
falsch: Wir haben Sie nicht beschatten lassen oder so. Aber wir haben
mal eine Spezialagentur engagiert. Ich meine, man muss ja
sichergehen, ob man einen überzeugten Nazi beschäftigt.«
»Na«, sagte ich gereizt, »dann wird Sie das Ergebnis sicher beruhigt
haben.«
»Einerseits schon«, sagte die Dame Bellini, »wir haben nichts
Nachteiliges gefunden.«
»Und andererseits?«
»Andererseits haben wir überhaupt nichts gefunden. Also – es war,
als hätten Sie vorher überhaupt nicht existiert.«
»Und? Möchten Sie jetzt von mir wissen, ob ich vielleicht vorher
doch schon mal existiert habe?«
Die Dame Bellini machte eine kurze Pause.
»Bitte, jetzt verstehen Sie uns nicht falsch. Wir sitzen alle in einem
Boot, wir wollen ja nur vermeiden, dass wir am Ende«, und hier lachte
sie etwas gezwungen, »dass wir – natürlich ohne es zu wissen – so
was wie den echten Hitler hier …« Dann machte sie eine ganz kurze
Pause, bevor sie schloss: »Ich kann kaum glauben, was ich hier
sage.«