»Ja, gewiss«, sagte ich, »Sie wissen es, und ich weiß es. Aber nun,
also: Sehen Sie sich doch einmal mit den Augen eines Mannes in den
besten Jahren! Immer diese schwarze Garderobe. Dieser dunkle
Lippenstift, dieses Gesicht, von dem ich den Eindruck habe, dass Sie
es immer besonders blass zurechtmachen … Ich, also, Fräulein
Krömeier, ich bitte Sie, fangen Sie jetzt nicht wieder zu weinen an,
aber ich habe an der Westfront 1916 Tote gesehen, die wirkten
fröhlicher als Sie! Die dunklen Augen, und das bei Ihren schwarzen
Haaren. Sie sind doch eine reizvolle junge Frau, warum tragen Sie
nicht einmal ein paar fröhliche Farben? Eine hübsche Bluse oder einen
lustigen Rock? Oder ein buntes Sommerkleid? Sie werden sehen, wie
sich dann die Männer nach Ihnen umdrehen!«
Fräulein Krömeier sah mich reglos an. Dann fing sie an, herzlich zu
lachen.
»Ick hab mer det jrade vorstellen müssen«, erklärte sie, »wie ick in
dem Kleidchen da rumloofe wie die Heidi vom Alm-Öhi, mit Blümchen
im Haar und allet, und wie ick ihm denn in der Fußgängerzone übern
Weg loofe, ihm und dieser schicken Tante, und wie ick dabei
rausfinde, det der – det der Scheißtyp verheiratet is. Ick muss echt
sagen, da hätt ick noch blöder dajestanden als so schon, nee, det Bild
is richtich ulkich. Det is lieb, det Se mich aufheitern«, sagte sie. »Und
jetzt mach ick Feierabend.« Sie richtete sich auf, nahm ihren
Rucksack und hängte ihn über die Schulter.
»Die Rede hol ick Ihnen noch ausm Drucker und leg se dann in Ihr
Fach«, sagte sie, schon die Türklinke in der Hand, »noch’n schön’
Abend, meen Führa! Nee, echt, ick innem Kleidchen …« Und damit
ging sie hinaus.
Ich überlegte, was ich an diesem Abend machen wollte. Vielleicht
sollte ich den neuen Apparat im Hotel anschließen lassen, den mir
Sensenbrink hatte zukommen lassen. Man sollte damit Filme über das
Fernsehgerät abspielen lassen können, Filme, die praktischerweise
auch nicht mehr auf Rollen aufbewahrt wurden, sondern auf kleinen
Plastikscheiben, von denen die Firma Flashlight ganze Regale voll
besaß. Und Filme habe ich ja stets geschätzt, ich war durchaus
neugierig, was ich wohl in den letzten Jahren verpasst hatte.
Andererseits erwog ich auch, den künftigen Weltraumflughafen für
Berlin zu entwerfen, es hatte sich ja gezeigt, dass man dann während
der aktiven Kriegführung nur noch selten dazu kommen würde,
insofern lag es nahe, jetzt verstärkt meiner alten Leidenschaft
nachzugehen. Da öffnete sich die Tür noch einmal, und Fräulein
Krömeier legte mir einen Brief auf den Schreibtisch.
»Der war noch im Postfach«, sagte sie, »der ist nicht mit der Post
jekommen, den hat wohl einfach wer in’n Firmenbriefkasten jeworfen.
Schön’n Abend nochmal, meen Führa!«
Der Brief war in der Tat an mich adressiert, der Absender hatte
jedoch meinen Namen in Anführungszeichen gesetzt, so als ob es sich
um eine Rundfunksendung dieses Namens handelte. Ich roch daran,
es war in der Vergangenheit nicht selten der Fall gewesen, dass
Frauen mir eine gewisse Verehrung ausdrücken wollten. Der Brief
roch neutral. Ich öffnete ihn.
Ich erinnere mich noch deutlich an die Begeisterung, als ich gleich
oben auf dem Brief ein tadelloses Hakenkreuz im weißen Felde sah.
Ich hatte so schnell nicht mit positiven Reaktionen gerechnet. Sonst
war zunächst nichts zu erkennen.
Ich entfaltete den Brief. Mit ungelenker, dicker schwarzer Schrift
stand dort:
»Hör auf mit der Scheise, Du verfluchdes Judenschwein!«
Ich hatte schon lange nicht mehr so gelacht.