Ich meine: Allein die Belagerung Leningrads!
Zwei Millionen Zivilisten eingeschlossen, ohne jede
Lebensmittellieferung. Es gehört schon ein gewisses
Pflichtbewusstsein dazu, da täglich auch noch tausend Bomben
hineinzuwerfen, zum Beispiel auch und sogar gezielt auf die
Lebensmittellager. Die Leute da, die waren zum Schluss so weit, die
haben sich gegenseitig den Schädel eingeschlagen, nur um die Erde
fressen zu dürfen, in die der verbrannte Zucker hineingeschmolzen
war. Natürlich, diese Zivilisten waren rassisch nicht erhaltenswert,
aber der einfache Soldat hätte sich doch leicht denken können: Diese
armen, armen Leute! Zumal der Landser auch in vielen Fällen
außergewöhnlich tierlieb ist.
Ich habe das selbst in den Schützengräben miterlebt, da sind Leute
in das schlimmste Sperrfeuer gerannt, um ihre »Maunzi«
zurückzuholen, oder die haben ihre wochenlang aufgesparten
Rationen noch geradezu brüderlich mit einem zugelaufenen »Bello«
geteilt. Da sieht man auch wieder, dass der Krieg im Menschen nicht
nur die härtesten, sondern auch die weichsten, wärmsten Gefühle
entfacht, dass der Kampf eben in vielfacher Hinsicht das Beste aus
dem Menschen herausmeißelt. Als unbehauener Block geht der
einfache Mann in die Schlacht, und heraus kommt er als einwandfreier
Tierfreund mit dem unerbittlichen Willen, das Notwendige zu
vollziehen. Und daran, dass diese einfachen Menschen, diese
Hunderttausende von Soldaten und Katzenfreunden dann aber nicht
sagen: »Lassen wir’s doch ruhiger angehen, schlimmstenfalls
verhungern die Leningrader eben etwas langsamer«, sondern dass sie
stattdessen sagen: »Nur munter hinein mit der Bombe! Der Führer
wird sich bei seinem Befehl schon das Richtige gedacht haben!«,
daran erkennt man eben, dass man die richtigen Mitarbeiter hatte.
Oder auch von Neuem hat, überlegte ich, während ich Fräulein
Krömeier zusah, wie sie den Schluss meiner letzten Führerrede
abtippte. Insgesamt war ich mit den Leistungen des Fräulein Krömeier
sehr zufrieden. An ihrer Arbeit gab es überhaupt nichts auszusetzen,
ihr Einsatz war vorbildlich, neuerdings stand sie mir sogar ganztags
zur Verfügung. Lediglich das Aussehen war verbesserungswürdig.
Nicht, dass sie nicht gepflegt gewirkt hätte, aber dieses aller
Freundlichkeit zum Trotze doch recht düstere Auftreten, diese fast ein
wenig todesnahe Bleichheit war einer so fröhlichen, lebensbejahenden
Bewegung, wie sie der Nationalsozialismus unbestreitbar darstellt,
wenig förderlich.
Andererseits muss ein Führer über derlei auch hinwegsehen
können. Von Ribbentrop etwa war vom Aussehen her ein durch und
durch repräsentabler Herrenmensch, ein vorbildliches Kinn,
erstklassiges Genmaterial – doch letzten Endes war der Mann
zeitlebens eine Wurst. Und damit ist dann auch niemandem gedient.
»Sehr schön, Fräulein Krömeier«, sagte ich, »ich denke, das war es
für heute.«
»Ick druck Ihnen det noch rasch aus«, sagte sie. Sie tippte etwas in
ihren Computer. Dann holte sie einen kleinen Spiegel aus ihrer
Tasche, dazu ihren dunklen Lippenstift, um sich den Mund
nachzuziehen. Dies schien mir eine passende Gelegenheit, das
Thema anzusprechen.