Prüfungsteil 2.a: Leseverstehen
Antibiotika-Resistenz – die Superseuche der Zukunft
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt schon seit Langem vor einer „post-
5 antibiotischen Ära“, einer Zeit nach längerer, bedenkenloser Einnahme von Antibiotika. Es
wäre der Rückfall in eine Welt, in der schon gewöhnliche Infektionen und kleinere
Verletzungen tödlich endeten.
Auch der schottische Entdecker des weltweit ersten Antibiotikums, Alexander Fleming, der
dafür mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, warnte bereits 1945 in seiner Rede
10 auf der Preisverleihung in Stockholm vor den Folgen eines unkontrollierten Gebrauchs seines
Wundermittels: „Die Zeit wird kommen, in der Penicillin von jedermann gekauft werden kann.
Dadurch besteht die Gefahr, dass der Unwissende das Penicillin in zu niedrigen Dosen
verwendet. Indem er die Mikroben nun nicht tödlichen Dosen aussetzt, macht er sie resistent.“
Fleming hat Recht behalten, denn genau dieses Problem beschäftigt die Mediziner in der
15 ganzen Welt. Die Zahlen sind dramatisch: An Infektionen durch sogenannte multiresistente
Keime, also Keime, gegen die viele Antibiotika wirkungslos sind, sterben weltweit 700.000
Menschen pro Jahr – 15.000 sind es alleine in Deutschland. Ohne wirksame
Gegenmaßnahmen könnte sich die Zahl der Todesopfer rund um den Globus bis 2050 laut
einer Studie der Charité* in Berlin auf zehn Millionen pro Jahr erhöhen. Nach dieser
20 Hochrechnung würden künftig jährlich mehr Menschen an den multiresistenten Keimen
sterben als derzeit jährlich an Krebs und Diabetes zusammen.
Multiresistente Keime entstehen unter anderem durch viel zu häufige Verschreibung und zu
frühe Absetzung von Antibiotika. Das fördert die Resistenzbildung der Keime. Denn ein
Antibiotikum tötet nicht alle Erreger gleich schnell. Während empfindliche Keime schneller
25 absterben, halten sich durch Mutation** resistent gewordene Keime Bakterien, deutlich länger
– und können sich ohne die lästige Konkurrenz durch andere Mikroben sogar noch besser
ausbreiten. Der massenhafte Einsatz von gegen mehrere Bakterien gleichzeitig wirkenden
Breitbandantibiotika, fördert diese Entwicklung noch. Doch Schnelltests, die eine gezieltere
Verabreichung ermöglichen würden, sind längst nicht für alle Erreger verfügbar – und nur in
30 Ausnahmefällen sind die Krankenkassen bisher bereit, dafür die Kosten zu übernehmen.
Besonders gravierend ist das Problem der multiresistenten Erreger in Krankenhäusern, wo die
gefährlichen Keime bei immungeschwächten Patienten ein leichtes Spiel haben. Zu trauriger
Berühmtheit hat es vor allem MRSA gebracht, ein Bakterium, das weltweit für die meisten
Infektionen mit multiresistenten Keimen in Krankenhäusern verantwortlich ist und besonders
35 schwere Fälle von Lungen-entzündungen sowie Blutvergiftungen auslöst.
Dass zumindest ein Teil dieser schweren Erkrankungen oder sogar Todesfälle vermeidbar
wären, zeigt das Beispiel der Niederlande und Dänemarks. In beiden Ländern herrschen
deutlich strengere Hygienevorschriften als in vielen anderen Ländern Europas. Anders als in
Deutschland werden nicht nur Risikopatienten vor ihrer Einlieferung auf resistente Erreger
40 getestet und im Fall eines positiven Befunds isoliert gepflegt. Auch das Krankenhauspersonal,
das mit solchen Patienten Kontakt hat, wird regelmäßig auf die gefährlichen Keime hin
untersucht. Zudem wird auch die Verwendung von Antibiotika strenger kontrolliert.Der Erfolg gibt den Niederländern recht: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein deutscher Patient
MRSA hat, ist höher als bei einem niederländischen Patienten.
45 Doch nicht nur der großzügige Umgang mit den Antibiotika in der Humanmedizin ist
problematisch. Noch gravierender ist der massenhafte Einsatz in der Tierhaltung.
Ausgerechnet jene Wirkstoffe, die die Menschen vor dem Schlimmsten bewahren sollen,
werden in der Masthaltung tonnenweise an Kühe, Schweine und Hühner verfüttert. Ziel ist, die
Infektionsrate in den Ställen, wo die Tiere auf engstem Raum leben, gering zu halten, was die
50 Massentierhaltung vereinfacht – und so billige Fleischpreise garantiert.
Dabei, so schimpfen Ärztevertreter, würde in der konventionellen Tiermast im Vergleich zur
Humanmedizin fast die doppelte Menge an Antibiotika verabreicht. Offiziellen Schätzungen
zufolge sind es jährlich 1450 Tonnen in der Tiermast – und 700 bis 800 Tonnen in der
Humanmedizin.
55 Zwar wird auf EU-Ebene momentan an einem neuen Tierarzneimittelgesetz gearbeitet. Doch
ein Verbot für den großflächigen Einsatz der Bakterienkiller wird es allem Anschein nach auch
diesmal nicht geben.
Stattdessen ist die Welt regelmäßig auf die Entwicklung neuer wirksamer Antibiotika
angewiesen. Doch ausgerechnet dieser wertvolle Nachschub ist in den vergangenen Jahren
60 ins Stocken geraten. Große Pharma-Konzerne zogen sich Ende der 90er sogar vollständig
aus der Antibiotikaforschung zurück. Arzneimittelforschung ist nämlich kostspielig, gut eine bis
eineinhalb Milliarden Euro muss ein Unternehmen in der Regel von der Entwicklung bis zum
Verkauf investieren, ein Prozess, der mindestens zehn Jahre dauert.
Doch anders als bei Medikamenten gegen chronische Leiden wie Diabetes oder
65 Bluthochdruck, die ein Leben lang eingenommen werden müssen, sind die Profite bei
Antibiotika deutlich geringer – insbesondere wenn es um die Entwicklung von so genannten
„Reserveantibiotika“ geht, die nur dann zum Einsatz kommen sollen, wenn die üblichen
Arzneien versagen.
Die Weltgemeinschaft hat also die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die „Wundermedizin“, mit
70 der Fleming und seine Nachfolger einst die Medizin revolutionierten, ihre Wirkung nicht verliert.
*größtes und ältestes Universitätskrankenhaus von Berlin
** dauerhafte genetische Veränderung
nach: Antibiotika-Resistenz – die Superseuche der Zukunft
von Anja Ettel, veröffentlicht am 08.06.2015Aufgaben Prüfungsteil 2.a: Leseverstehen
Bitte beantworten Sie die Aufgaben auf der Basis des Textes!
1) Nennen Sie die konkrete Gefahr für den Menschen in einer „postantibiotischen
Ära“!
2) Alexander Fleming: Ergänzen Sie die Tabelle zu dem Wissenschaftler!