Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang ausländischer
Studienbewerber (DSH) an der RWTH Aachen
Beispiel für einen Lesetext und für wissenschaftssprachliche Strukturen: Bearbeitungszeit: 90 Min.
Wachstum und Verantwortung
„Heiligendamm’“ – dieser Name steht für ein Ereignis, das im Juni 2007 durch die Medien
ging. Hier saßen Staatschefs der acht führenden Industrienationen wieder einmal zu einem
Gipfeltreffen zusammen, um einige der brennendsten Probleme der Welt zu diskutieren.
Schwerpunkte waren – neben einigen anderen Themen – zweifellos der weltweite
Klimaschutz und die globale Ungleichheit.
Das Treffen, das erstmalig 1975 auf Initiative des damaligen deutschen Kanzlers Helmut
Schmidt und des französischen Präsidenten Valérie Giscard d’Estaing in Paris als ‚Gruppe der
Sechs’ stattfand, besteht mittlerweile aus acht Teilnehmerstaaten: Frankreich, Großbritannien,
die USA, Italien, Japan, Kanada, Deutschland und seit 1998 auch Russland.
In diesen G 8-Ländern leben zwar nur 14% der Bevölkerung, doch dort entstehen 2/3 des
globalen Einkommens und auch ein Großteil der Umweltbedrohung.
Als so genannte Schwellenländer sind Indien zusammen mit China, Brasilien, Südafrika und
Mexiko anwesend, doch obwohl diese Länder 43% der Weltbevölkerung stellen, sitzen sie
nicht mit gleichen Rechten am Tisch der Acht, um gemeinsam konstruktive Ideen bei Themen
wie Umwelt- und Entwicklungspolitik, den Zugang zu Trinkwasser, fairen Welthandel oder
Hunger und Infektionskrankheiten zu entwickeln.
Gerade die andere Perspektive der so genannten Schwellen- und auch Entwicklungsländer
kann einen wertvollen Beitrag leisten, wie das Beispiel der Mikrokredite zeigt.
Mikrokredite sind Kleinstkredite von einem Euro bis unter 1.000.- Euro an kleine Händler,
Handwerker oder Bauern in Entwicklungsländern. Diese Finanzdienstleistungen werden in
der Regel von spezialisierten nicht staatlichen Organisationen meist zur Förderung der
Entwicklung privater Initiativen vergeben.
Diese Mikrokredite sind ein Instrument der Entwicklungspolitik. Schon 1976 gab es in
Bangladesch ein derartiges Programm, das von Muhammad Yunus ins Leben gerufen wurde.
Yunus erhielt im Jahr 2006 für die „wirtschaftliche und soziale Entwicklung von unten“ den
Friedensnobelpreis.
1995 gründete die Weltbank Beratungsgruppen für die Unterstützung der Armen mit dem
Ziel, 200 Millionen US-Dollar für die Vergabe von Mikrokrediten zu mobilisieren. Die
Vereinten Nationen sehen in der Entwicklung ein wichtiges Instrument zur Reduktion der
Armut. In Anerkennung der Bedeutung dieser Finanzdienstleistungen haben sie 2005 zum
Jahr der Mikrokredite ausgerufen.
Mikrokredite sollen denjenigen, die es aus eigenen Kräften nicht schaffen, eine reelle Chance
geben, sich eine Existenz aufzubauen. Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass die
Rückzahlung und das weitere Verfahren in einer sozial akzeptablen Weise nach folgenden
Prinzipien möglich ist:
1) Nach einem ersten Kredit wird ein Folgekredit in Aussicht gestellt, damit den
Kreditnehmern eine langfristige Planung möglich ist.
2) Durch Vernetzung mehrerer Kreditnehmer, die jeweils abwechselnd einen Kredit
erhalten, ihre Projekte miteinander besprechen und auch füreinander bürgen, werden
die Geschäfte und Vorhaben der Mitglieder auf eine sicherere Basis gestellt.
3) Die Mikrobank lernt alle Kreditnehmer persönlich kennen und prüft ihre
Geschäftsmodelle gründlich, um die Rückzahlungsintervalle, also die Zeiträume, in
denen das geliehene Geld zurückzuzahlen ist, und auch die Höhe der Kreditraten dem
Geldfluss, d.h. den Einnahmen des Unternehmens anzupassen. Sie prüft z.B., ob für
einen Teilnehmer eine wöchentliche oder monatliche Rückzahlung günstiger ist.
4) Der Zinssatz ist von der Art des Kredits abhängig: Kredite für
Unternehmensgründungen werden mit bis zu 20% verzinst, für Baukredite nimmt die
Bank 8% und für Bildungskredite für die Hochschulausbildung der Kinder erwartet
die Bank nur 5% Zinsen.
5) Viele Mikrofinanzorganisationen vergeben zur Stärkung der Familien und
Alleinerziehenden Kredite nur an Frauen.
Durch Einhaltung dieser Regeln und durch ständige Beobachtung der einzelnen Projekte
erzielen viele Mikrofinanzinstitute oft Rückzahlungsquoten von 95 bis 100 Prozent. Günstig
ist auch, dass durch die relativ niedrigen Kreditsummen die Zinslasten vergleichsweise gering
ins Gewicht fallen.
Die armutsmindernde Wirkung von Mikrokrediten ist durch wissenschaftliche Studien belegt.
Arme Kleinunternehmer haben in der Regel keine Möglichkeit, die üblichen Bankkredite zu
erhalten, da sie keine Sicherheiten wie Häuser oder ein festes Einkommen bieten können und
deshalb das Risiko den üblichen Banken zu hoch erscheint, so dass sie oft von privaten
Geldverleihern oder gar „Kredithaien“ mit in der Regel zu hohen Zinsen abhängig sind.
Durch Mikrokredite wird die wirtschaftliche Tätigkeit der Kunden erhöht und damit indirekt
auch ihr Lebensstandard: Sie können auf dem Markt kaufen und verkaufen, haben eine
geregelte Arbeit und dadurch auch Ansehen und eine betriebswirtschaftliche Kompetenz.
Wundermittel sind Mikrokredite jedoch nicht, weil sie einen gewissen Grad an
Selbstständigkeit voraussetzen und damit die Ärmsten der Armen meist nicht erreichen
können.
Diese kommen als Kreditnehmer nicht in Frage, da es ihnen an Möglichkeiten mangelt,
Einkommen zu erzielen und Kredite zurückzuzahlen.
Mikrokredite sind also ein erster Schritt für Menschen, die schon durch Eigendynamik eine
gewisse unternehmerische Kompetenz gezeigt haben oder erwarten lassen. Doch in den
meisten Fällen sind diese Kreditnehmer auch nach Jahren nicht in der Lage, reguläre
Sparkonten bei Geschäftsbanken zu eröffnen und so das durch Mikrokredit wirtschaftlich
Erreichte völlig selbstständig zu sichern.
Zunehmend wird hingegen das Konzept der Mikrokredite auch auf Industrieländer
übertragen. So schlug Hillary Clinton im Rahmen ihrer sozialpolitischen Konzepte bereits vor
Jahren vor, Mikrokredite auch zur Armutsbekämpfung in den Slums US-amerikanischer
Großstädte einzusetzen.
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