»Ach«, sagte sie, »habe ich Sie womöglich schon mal gesehen?«
»Ich denke nicht«, schätzte ich, »das war damals auch hier in Berlin,
im Olympiastadion …«
»Sie waren der Anheizer für den Mario Barth?«
»Ich war was?«, fragte ich noch, aber sie hörte schon längst nicht
mehr zu.
»Sie sind mir gleich aufgefallen, das war super, was Sie da
abgezogen haben. Das freut mich voll, dass Sie’s auch selber
geschafft haben. Das ist aber was anderes, was Sie jetzt machen,
oder?«
»Etwas … ganz anderes«, bestätigte ich zögernd, »die Spiele sind ja
jetzt auch schon seit Längerem beendet …«
»Da wären wir schon«, sagte Fräulein Jenny und öffnete eine Tür,
hinter der sich ein Schminktisch befand, »ich lasse Sie jetzt bei Elke.
Elke – das ist … äh … onkel Rolf.«
»Wolf«, verbesserte ich, »onkel Wolf.«
Elke, eine ordentlich aussehende Frau um die vierzig, runzelte die
Stirn und blickte auf mich, dann auf einen Zettel neben ihren
Schminksachen. »Wolf habe ich hier keinen. Bei mir auf der Liste
steht jetzt Hitler«, sagte sie. Dann hielt sie mir die Hand hin, sagte:
»Ich bin die Elke«, und dann: »Du bist der …?«
Hier war ich wohl wieder im duzenden Schützengraben angelangt,
allerdings schien mir Frau Elke in einem etwas zu fortgeschrittenen
Alter für onkel Wolf.
»Herr Hitler«, entschied ich.
»Also gut, Herr Hitler«, sagte Frau Elke, »setz dich schon mal.
Irgendwelche Sonderwünsche? Oder soll ich einfach mal machen?«
»Ich vertraue Ihnen voll und ganz«, sagte ich und setzte mich. »Ich
kann mich ja nicht um alles kümmern.«
»So ist es recht«, sagt Frau Elke und hängte mir zum Schutze der
Uniform einen Kittel um. Dann besah sie mein Gesicht. »Sie haben
eine prima Haut«, lobte sie und griff zur Puderdose, »viele Menschen
in Ihrem Alter trinken einfach zu wenig. Sie sollten mal das Gesicht
vom Balder sehen …«
»Ich trinke am liebsten viel stilles Wasser«, bestätigte ich ihr. »Es ist
unverantwortlich, dem Volkskörper zu schaden.«
Frau Elke machte ein prustendes Geräusch und versenkte den
kleinen Raum und uns beide in einer gewaltigen Puderwolke.
»Entschuldigung«, sagte sie, »ich bringe das sofort wieder in
Ordnung.« Dann begann sie mit einem kleinen Sauggerät die Wolke
ein- und meine Uniformhose abzusaugen. Als sie gerade dabei war,
große Teile meiner Frisur abzustauben, öffnete sich die Tür. Im
Spiegel sah ich Ali Wizgür eintreten. Er hustete.
»Gehört der Nebelwerfer zum Programm?«, fragte er.
»Nein«, sagte ich.
»Das war mein Fehler«, sagte Frau Elke, »aber wir kriegen ihn
schon wieder hin.« Das gefiel mir. Keine falschen Ausflüchte, keine
Ausreden, sondern standhaft sich zu Fehlern bekennen und diese
eigenverantwortlich ungeschehen machen – es war immer wieder
erfreulich, dass auch in den vergangenen Jahrzehnten das deutsche
Rassegut nicht vollkommen im demokratischen Erbsumpfe versunken
war.
»Super«, sagte Wizgür und hielt mir die Hand hin. »Frau Bellini hat
mir schon gesagt, dass du die Knaller nur so raushaust. Ich bin der
Ali.«
Ich raschelte meine unverpuderte Hand unter dem Friseurkittel
hervor und schüttelte die seine. Kleine Lawinen rieselten mir aus dem
Haar.