Ich weiß nicht mehr, wie ich in dieser Situation noch die Kraft zu
einem eigenen Gedanken aufbringen konnte, allein – es durchzuckte
mich eine Eingebung: Dieser organisierte Irrsinn war ein raffinierter
Propagandatrick. Das Volk sollte offenkundig selbst angesichts
furchtbarster Nachrichten den Mut nicht verlieren, weil die ewig
laufenden Bänder beruhigend signalisierten, was der Sprecher gerade
verlas, sei nicht so wichtig, als dass man sich nicht genauso gut für
die Sportmitteilungen darunter entscheiden konnte. Ich nickte
anerkennend. Mit dieser Technik hätte man zu meiner Zeit mancherlei
dem Volke beiläufig vermitteln können. Vielleicht nicht unbedingt ein
Stalingrad, aber doch, sagen wir, die Landung alliierter Truppen in
Sizilien. Und dann würde man umgekehrt bei Erfolgen der eigenen
Wehrmacht schlagartig die Textbänder entfernen und in die Stille
hinein sagen: Heute haben heldenhafte deutsche Truppen dem Duce
die Freiheit zurückgeschenkt!
Das wäre ein Effekt!
Um mich zu erholen, schaltete ich zurück zu ruhigeren Sendern, und
aus einer gewissen Neugier heraus zu dem Kanal mit der dicken Frau.
Ob sie wohl ihre heruntergekommene Tochter inzwischen in eine
Verwahranstalt eingewiesen hatte? Wie mochte wohl der Ehegatte
dieser Frau aussehen? War er einer dieser lauwarmen Gesellen, die
sich so gerne im Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps
versteckten?
Das Programm erkannte sofort meine Wiederkehr und begann
eilfertig, das Geschehen für mich zusammenzufassen. Die 16-jährige
Menndi, so erzählte die Reporterstimme von vorhin im Tonfall größter
Bedeutung und Dringlichkeit, hatte ihren Ausbildungsplatz verloren,
das liebevoll zubereitete Essen ihrer Mutter mochte sie nach der
Heimkunft nicht kosten. Die Mutter hingegen sei unglücklich und habe
sich an eine Nachbarin um Hilfe gewandt.
»Da sind Sie aber noch nicht recht viel weitergekommen«, beschied
ich tadelnd dem Reporter, versprach ihm aber, später noch einmal
vorbeizusehen, wenn etwas mehr geschehen sei. Auf dem Weg
zurück zum Nachrichtenkanal besuchte ich erneut kurz die Stummfilm-
Hommage an Buffalo Bill. Auch dort begrüßte mich ein Sprecher und
erzählte mir, was der vorgebliche »Anwalt« im bisherigen Verlaufe der
Sendung verrichtet hatte. Offenbar war es an der Ausbildungsstätte
einer gewissen Sinndi, die sechzehn Jahre alt war, zu sittlichen
Ungehörigkeiten gekommen. Nach dem Übeltäter, einem
Ausbildungsleiter, wurde unter unablässigem Absondern des
haarsträubendsten Gewäschs gesucht. Ich lachte erneut herzhaft auf,
so ein Schmarren war das Machwerk. Um den wahllos
zusammenkolportierten Schwank auch nur halbwegs glaubhaft zu
machen, hätte es ja wohl eines schmierigen Juden bedurft, und wo
hätte der heutzutage denn noch herkommen sollen, nachdem Himmler
wenigstens in dieser Beziehung zuverlässig gewesen war?
Ich schaltete zurück zum Nachrichtenchaos und von dort aus weiter.
Hier wurden nun Herren beim Billardspiel gezeigt, was zwischenzeitlich
als Sport galt. Dies ließ sich, wie ich inzwischen bemerkt hatte, am
Namen des Kanals feststellen, der in einer oberen Ecke des
Apparates im Bild klebte. Ein weiterer Kanal brachte ebenfalls Sport,
dort allerdings verfolgte die Kamera Menschen beim Kartenspiel.
Wenn das der heutige Sport war, konnte einem angst und bange
werden um die Wehrfähigkeit. Ich dachte für einen Moment, ob aus
dem stumpfsinnigen Geschehen, das sich da vor meinen Augen
abspielte, eine Leni Riefenstahl mehr hätte zaubern können, aber es
gibt selbst für die größten Genies der Geschichte Grenzen ihrer
Kunst.