»Dann hier«, sagte der Reinigungsmischling ungewissen Grades
und läutete erneut mit der flachen Hand. Ich hatte plötzlich große
Lust, die SA vorbeizuschicken, um ihm das Trommelfell mit seiner
eigenen Glocke zerfetzen zu lassen. Oder noch besser: beide
Trommelfelle, dann konnte er künftig seiner Kundschaft erklären, wo
sie beim Eintreten zu winken hatte. Ich seufzte. Es war schon
ärgerlich, wenn man der einfachsten Hilfskolonnen entraten musste.
Die Angelegenheit hatte wohl zu warten, bis einiges in diesem Lande
wieder geradegerückt war, aber im Geiste begann ich schon einmal
eine Liste der Volksschädlinge aufzustellen, und »Reinigung’s-Yilmaz«
stand hiermit ganz oben. Einstweilen blieb mir nichts übrig, als
grimmig die Thekenglocke aus seiner Reichweite zu ziehen.
»Sagen Sie mal«, fragte ich harsch, »machen Sie auch Sachen
sauber? Oder ist da, wo Sie herkommen, das Reinigungsgewerbe eine
ausschließlich läutende Tätigkeit?«
»Was Sie wolle?«
Ich legte meinen Beutel auf die Theke und holte die Uniform hervor.
Er schnupperte leicht in die Luft, dann sagte er: »Ah, Sie
Tankstellemann«, und nahm die Uniform gleichmütig an sich.
Es hätte mir gleichgültig sein können, was irgendein fremdrassiger
Nichtwähler glaubte, aber dennoch konnte ich nicht ganz darüber
hinwegsehen. Gut, der Mann war nicht von hier, aber konnte ich
derart in Vergessenheit geraten sein? Andererseits kannte das Volk
mich schon früher häufig nur von den Pressefotos, die mich
üblicherweise aus einem besonders günstigen seitlichen Winkel
zeigten. Und die leibhaftige Begegnung wirkt dann doch davon oft
überraschend verschieden.
»Nein«, sagte ich bestimmt, »ich bin nicht der Tankstellenmann.«
Daraufhin blickte ich leicht an ihm vorbei nach oben, um ihm dank
des fotogeneren Blickwinkels deutlicher zu zeigen, wen er da vor sich
hatte. Der Reiniger musterte mich nicht sehr interessiert, mehr
anstandshalber, jedoch schien ich ihm auch nicht völlig fremd. Er
beugte sich dann nach vorne über die Theke und sah auf meine
tadellos in die Schaftstiefel gesteckte Hose.
»Ich weisnich … Sie berühmte Angelmann?«
»Jetzt geben Sie sich doch mal Mühe«, rief ich energisch und auch
nicht wenig enttäuscht. Sogar bei dem Zeitungskrämer, auch er mit
Sicherheit kein Genie, hatte ich doch auf ein gewisses Vorwissen
bauen können. Nun das! Wie sollte ich zurück in die Reichskanzlei,
wenn ich niemandem ein Begriff war?
»Moment«, sagte der zugewanderte Trottel, »hole ich Sohn. Immer
schaut fern, immer schaut Intanet, kennt alles. Mehmet! Mehmet!«
Es dauerte nicht lange, bis jener Mehmet nach vorne kam. Ein groß
gewachsener, mäßig reinlich wirkender Jüngling schlurfte zusammen
mit einem Freund oder Bruder nach vorne. Das Erbgut dieser Familie
schien nicht zu unterschätzen, die beiden trugen die alten Sachen von
noch größeren, offenbar wahrhaft gigantischen Brüdern auf. Hemden
wie Bettlaken, unvorstellbar große Hosen.
»Mehmet«, sagte sein Erzeuger und wies auf mich, »kennstu
Mann?«
In den Augen des kaum mehr Knaben zu nennenden Knaben war
ein Leuchten zu erkennen.
»Ey, Mann, Alter, klar! Das ist der, der immer die Nazisachen
macht …«
Na, wenigstens etwas! Das war zwar fraglos ein wenig salopp
formuliert, aber doch letzten Endes nicht ganz unzutreffend. »Es heißt
Nationalsozialismus«, korrigierte ich ihn wohlwollend, »oder
nationalsozialistische Politik, das kann man auch sagen.« Zufrieden
blickte ich bestätigt zu »Reinigung’s-Yilmaz«.
»Das ist der Stromberg«, sagte Mehmet bestimmt.
»Krass«, sagte sein Kamerad. »Stromberg in eurer Wäscherei!«
»Nee«, verbesserte sich Mehmet, »das ist der andere Stromberg.
Der aus Switsch.«
»Hamma«, variierte der Kamerad seine Aussage leicht, »der andere
Stromberg! In eurer Wäscherei.«
Ich hätte dem gerne etwas entgegnet, muss aber gestehen, dass
ich schlichtweg zu erschüttert war. Wer war ich noch mal?
Tankstellenmann? Angelmann? Strommann?
»Krich’n Autogramm?«, fragte Mehmet erfreut.
»Ey ja, Herr Stromberg, mir auch eins«, bat der Kamerad, »und
Fotto!« Dabei wedelte er mit einem kleinen Apparat, als wäre ich ein
Dackel und der Apparat ein besonderer Leckerbissen.
Es war zum Mäusemelken. Ich ließ mir einen Abholschein geben, ließ noch ein Erinnerungsfoto
mit den seltsamen Gesellen über mich ergehen und verließ die
Blitzreinigung, nicht ohne mit einem mir gereichten Farbstift zwei
Bogen Einwickelpapier signiert zu haben. Es gab noch eine kurze
Krise in der Autogrammproduktion, als bemängelt wurde, dass ich
nicht mit »Stromberg« unterzeichnet hatte.
»Ach, is ja klar«, beruhigte der Kamerad, wobei nicht eindeutig war,
ob er Mehmet beschwichtigen wollte oder mich, »das is ja gar nicht
der Stromberg!«
»Stimmt«, assistierte Mehmet, »Sie sind’s ja gar nicht. Sondern der
andere.«
Ich muss zugeben, dass ich doch die Größe der Aufgabe
unterschätzt hatte. Damals, nach dem Weltkrieg, war ich wenigstens
der namenlose Mann aus der Mitte des Volkes gewesen. Jetzt war ich
Herr Stromberg, aber der andere. Der Mann, der immer die
Nazisachen machte. Der Mann, bei dem es völlig egal war, welchen
Namen er auf einen Bogen Einwickelpapier setzte.
Es musste etwas geschehen.
Dringend.