Bereits ein erster näherer Blick gab interessante Aufschlüsse.
Zahlreiche bunte Blätter hingen an der Außenwand, in türkischer
Sprache. Offenbar verkehrten hier jüngst viele Türken. Mir musste in
meiner Bewusstlosigkeit eine längere Zeitspanne entgangen sein, in
der sich viele Türken nach Berlin begeben hatten. Das war
bemerkenswert. Zuletzt war der Türke, ein im Grunde treuer Gehilfe
des Deutschen Volkes, trotz erheblicher Bemühungen stets neutral
geblieben, zum Kriegseintritt an der Seite des Reiches war er nie zu
bewegen gewesen. Es schien nun aber so, dass während meiner
Abwesenheit wohl jemand, wahrscheinlich Dönitz, den Türken
überzeugt haben musste, uns zu unterstützen. Und die eher friedliche
Stimmung auf der Straße ließ darauf schließen, dass der türkische
Einsatz offenbar sogar eine kriegsentscheidende Wende herbeigeführt
hatte. Ich staunte. Gewiss, ich hatte den Türken stets respektiert,
aber derartige Leistungen hatte ich ihm nie zugetraut, andererseits
hatte ich die Entwicklung des Landes aus Zeitmangel nicht detailliert
verfolgen können. Die Reformen des Kemal Atatürk mussten dem
Land einen geradezu sensationellen Schub verliehen haben. Es schien
das Wunder gewesen zu sein, an das auch Goebbels stets seine
Hoffnungen geklammert hatte. Mein Herz schlug mir nun voll heißer
Zuversicht. Es hatte sich ausbezahlt, dass ich, dass das Reich auch in
der Stunde der vermeintlich tiefsten Dunkelheit niemals den Glauben
an den Endsieg aufgegeben hatte. Vier, fünf unterschiedliche
türkischsprachige Publikationen in bunter Farbe legten ein
unübersehbares Zeugnis ab von dieser neuen, von einer erfolgreichen
Achse Berlin-Ankara. Nun, da meine größte Sorge, die Sorge um das
Wohl des Reiches, auf so überraschende Weise gelindert schien, nun
musste ich nur noch herausfinden, wie viel Zeit ich wohl in diesem
merkwürdigen Dämmer auf dem brachliegenden Areal zwischen den
Häusern verloren hatte. Der »Völkische Beobachter« war nicht zu
sehen, er war vermutlich ausverkauft, ich warf daher einen Blick auf
das nächste, vertrauter wirkende Blatt, eine sogenannte »Frankfurter
Allgemeine Zeitung«. Sie war mir neu, doch verglichen mit manchem
anderen, was dort hing, erfreute mich die vertrauenerweckende Schrift
der Titelzeile. Keinen Blick verschwendete ich auf die Meldungen, ich
suchte das Tagesdatum.
Dort stand der 30. August.
2011.
Ich blickte auf die Zahl, fassungslos, ungläubig. Ich wandte den Blick
zu einem anderen Blatte, der »Berliner Zeitung«, auch diese versehen
mit einem tadellosen deutschen Schriftzug, und suchte das Datum.
2011.
Ich zerrte die Zeitung aus dem Halter, ich öffnete sie, ich schlug die
nächste Seite auf, die übernächste.
2011.
Ich sah, wie die Zahl zu tanzen begann, höhnisch fast. Sie bewegte
sich langsam nach links, dann rascher nach rechts, dann noch rascher
wieder zurück, dem Schunkeln gleich, wie es bei den Volksmassen im
Bierzelt beliebt ist. Mein Auge versuchte ihr zu folgen, sie zu fassen,
dann entglitt mir die Zeitung. Ich spürte, wie ich vornübersank, ich
suchte vergeblich Halt an den anderen Zeitungen im Regal, ich
klammerte mich an den verschiedenen Blättern entlang zu Boden.
Dann wurde mir schwarz vor Augen.